MM würde jetzt 80. Sexbombe, Pop-Idol, Medienopfer: Marilyn Monroe beschäftigt die Welt immer noch. Das Kunsthaus widmet ihr jetzt eine Ausstellung: Am 1. Juni wäre sie 80 geworden. Eine Geburtstagsrede von Abendblatt-Korrespondent Cornel Faltin.

Ach, Marilyn, wie würdest Du jetzt wohl aussehen, so knapp vor Deinem 80. Geburtstag? Die grauen Haare wieder wasserstoffblond gefärbt? Das Gesicht zu jugendlicher Ebenmäßigkeit zurückgeliftet? Deine roten, vollen Lippen aufgebotoxt? Oder hättest Du Dich, ähnlich wie Brigitte Bardot, statt Männern streunenden Hunden und Katzen zugewandt?

Nein, Marilyn, das hättest du uns nicht angetan. Du wärst vermutlich auch im Alter noch eine Klassefrau wie Lauren Bacall, Sophia Loren oder Gina Lollobrigida. Kurz vor Deinem Tod am 4. August 1962 hast Du erklärt: "Ich will alt werden, ohne mein Gesicht liften zu lassen. Ich möchte den Mut haben, gegenüber dem Gesicht, mit dem ich geboren wurde, loyal zu sein." Das hätten wir Marilyn Monroe-Vergötterer so gerne erlebt, ganz gleich, wie Dein Gesicht dann ausgesehen hätte.

Aber zerrissen, wie Du immer warst, hast du uns fast zur gleichen Zeit auch wissen lassen: "Manchmal, denke ich, wäre es einfacher, das Altwerden zu vermeiden und jung zu sterben." Allerdings mit der Einschränkung: "Aber dann würde man niemals sein Leben vollenden. Man würde sich also niemals selbst vollständig kennen."

Genau dieses Problem haben wir Millionen "Hinterbliebene" nun. Wir kennen Norma Jean alias Marilyn Monroe nicht wirklich und würden doch so gerne jedes Detail über Dich inhalieren. Wie den Duft von Chanel No. 5, den Du immer aufgelegt hast. Nun kann man natürlich argumentieren, daß es eigentlich keine Einzelheit mehr geben dürfte, die nicht bekannt wäre über Dich. Kaum eine Person wurde mehr unter die Lupe genommen, wenn nicht gar seziert. In den 43 Jahren seit Deinem mysteriösen Tod wurden nicht weniger als 300 Bücher über Dich geschrieben, ein halbes Dutzend Filme gedreht, Theaterstücke inszeniert, Lieder komponiert. Andy Warhol machte Dich zur Pop-Ikone.

Dadurch haben wir Fakten und Farcen erfahren. So wissen wir, daß Du, die wahre Göttliche (sorry, Greta!), am 1. Juni 1926 in Los Angeles als Norma Jean Mortenson Baker als Tochter einer alkoholkranken Mutter und eines abgängigen norwegischen Vaters geboren wurdest und einen Großteil deiner Kindheit in Heimen verbracht hast. Biografien klären uns darüber auf, daß Du mit 16 einen viel älteren Arbeitskollegen in einer Flugzeugfabrik geheiratet hast. Der erste große Fehler? Viel Glück hast du auch mit den beiden anderen Ehen nicht gehabt, erst mit der Baseball-Legende Joe DiMaggio und dann mit dem Schriftsteller Arthur Miller.

Ja, und dann wissen wir, daß Du eine kurze, recht erfolgreiche Filmkarriere gemacht hast, in Streifen wie "Manche mögen's heiß", "Wie angle ich mir einen Millionär" , "Das verflixte 7. Jahr", "Blondinen bevorzugt" oder "The Misfits". Erfolgreich natürlich auch dank deines makellosen Körpers. Aber das war ja das Problem: Du wolltest als Schauspielerin anerkannt werden - alle sahen nur 94-61-89.

Das alles wissen wir. Nur wer Du wirklich warst, wie Du Dich wirklich gefühlt hast und warum wir nicht mehr den 80.Geburtstag mit Dir feiern können, wissen wir nicht. Selbst die Geschichte Deines Todes scheint zwischen uns und Dir zu stehen.

Nach der offiziellen Version hat Dich Deine Haushälterin am 4. August 1962 morgens in Deinem Haus gefunden, 12305 Fifth Helena Drive in Brentwood/Los Angeles. "Nackt, auf dem Bauch liegend mit dem Telefonhörer in der Hand", heißt es im Polizeibericht. Todesursache war angeblich eine Überdosis des Beruhigungsmittels Nembutal. "Selbstmord" sollst Du begangen haben. Manche glauben eher an einen Unfall: daß Du aus Versehen 40 oder mehr Tabletten von dem Zeug genommen hast. Die in Amerika allgegenwärtigen Verschwörungstheoretiker sind hingegen überzeugt, die Mafia, der Secret Service oder die CIA hätten Dich umgebracht, weil Du ein Verhältnis mit John F. Kennedy hattest. Und auch mit dessen Bruder Bobby. Was wiederum die nationale Sicherheit gefährdete.

Für diese Annahme spricht zumindest, daß der jetzt 87jährige ehemalige Generalstaatsanwalt von Los Angeles, John Miner, kürzlich erklärte, es sei an der Zeit, das Ermittlungsverfahren zu Deinem Tod wieder zu eröffnen und Deine Leiche zu exhumieren.

Damit endlich geklärt wird, ob Du nicht doch unfreiwillig aus dem Leben geschieden bist.

Vielleicht war Dein Lover und Idol JFK tatsächlich der einzige Mann neben Arthur Miller, den Du je wirklich geliebt hast und von dem Du zurückgeliebt wurdest. In jeder Monroe-Doku sehen wir hingerissen Deinen Auftritt bei seiner Geburtstagsparty im Madison Square Garden, in jener heißen Mainacht 1962, genau 66 Tage vor Deinem Tod: als Du für ihn Dein unsterbliches "Happy Birthday Mister President" gesäuselt hast und jeder Deine Liebe für diesen Mann spürte. JFK wollte angeblich zu Deinem Begräbnis kommen, durfte aber nicht.

Die gravierte Rolex ("Jack, mit Liebe wie immer - von Marilyn, 29. Mai 1962"), die du ihm geschenkt hast, wurde kürzlich für 120 000 Dollar in New York versteigert. Dein hautenges Kleid von damals brachte sogar mehr als eine Million. Ja, Erinnerungsstücke. Jeder möchte gerne etwas von Dir haben. Alles von Dir, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in den vergangenen Jahren auf Auktionen verhökert. Von Bademantel und BH über das Telefon bis zu einem Aquarell, das Du für JFK gemalt und signiert hattest.

So absurd es klingt, Dein früher Tod hat Dir posthum zu der Anerkennung verholfen, um die Du zu Lebzeiten oft so verzweifelt gekämpft hast. Ein vorzeitiger Tod ist bekanntlich eine der essentiellen Ingredienzien für Märtyrertum und Ruhm, davon haben auch James Dean und Elvis Presley profitiert.

Zu Lebzeiten warst Du die Sexbombe, das Symbol für das ewig Weibliche. Die Feministinnen der 70er und 80er-Jahre entdeckten Dich als Opfer des Patriarchats und machten Dich zu ihrer Ikone. Marilyn Monroe stand plötzlich nicht mehr für Sex & Fun, sondern für Mythos, Metapher und Frauenbefreiung.

Selbst in Dissertationen zerbrechen sich Intellektuelle heute plötzlich den Kopf über den tieferen Sinn in vielen Deiner Sätze, die Du vielleicht ohne großes Nachdenken gegenüber Journalisten oder Fans gesagt hattest. Was meintest Du genau mit "Ich bin eine Mischung aus Simplizität und Komplexen"? Oder mit "Ich regeneriere mich, wenn ich alleine bin"? Wolltest du Dich auch in jener Nacht zum 4. August 1962 regenerieren?

Kurz bevor Du starbst oder gestorben wurdest, hast Du geklagt: "Ich bin als Frau eine Versagerin. Meine Männer erwarten soviel von mir wegen des Bildes, das sie sich von mir - und ich mir selbst von mir - gemacht haben als Sexsymbol und das ich nun nicht erfüllen kann."

Jetzt hast du's geschafft. Keiner sieht in Marilyn Monroe eine Versagerin. Du bist in etlichen Ländern auf Briefmarken verewigt und im Land Deines Vaters sitzt Du als Bronzeplastik am Hafen und schaust aufs Meer hinaus.

Zu gerne würde die Welt mit Dir Deinen Achtzigsten feiern und "Happy Birthday dear Marilyn" singen, wissend, daß Du uns gehörst.

Schließlich hast Du selbst gesagt: "Ich weiß, daß ich der Öffentlichkeit und der Welt gehöre. Nicht etwa, weil ich talentiert oder gar schön bin, sondern, weil ich nie jemandem oder etwas anderem gehört habe." Das immerhin ist tröstlich.