Grelles Neonlicht erhellt den Raum im Ordinariat für Holzbiologie der Universität Hamburg. Im Archiv stapeln sich Papierrollen in Kartons mit Aufschriften wie "Niederländische Meister", "Flämisch 16./17. Jahrhundert" oder "Rembrandt". Peter Klein nimmt einige Rollen heraus, auf denen Kurven zu sehen sind. Es sind Jahrringkurven - die Grundlage seiner Arbeit.

Vom 14. bis 18. Jahrhundert wurden in Europa verschiedene Holzarten als Malgrund verwendet. Der Diplom-Holzwirt Klein untersuchte seit 1978 mehr als 4000 Gemäldetafeln aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. "Ich verwalte eine Datenbank, die es sonst nirgends gibt", sagt er. "Museen und Kunsthändler wissen, daß wir das umfangreichste Vergleichsmaterial haben."

Klein, auch Professor in Hildesheim im Fachbereich Restaurierung, nutzt Erkenntnisse der Dendrochronologie, mit denen sich das Alter von Holzarten bestimmen läßt. Das Verfahren beruht darauf, daß die Breite der Jahresringe einen Wachstumsverlauf zeigt, der für alle Bäume in einem bestimmten Klimabereich und Jahr gleich ist: So können anhand der Ringbreiten Hölzer chronologisch eingeordnet werden. Der Abstand von einem Frühjahr zum nächsten ergibt einen Jahrring. Die Abstände der Jahrringe ergeben eine Jahrringkurve. Ein Vergleich mit bereits datierten Hölzern kann das Fälldatum eines Baumes bestimmen. Bis zu 150 Jahrringe liegen auf einem Brett. Passen die Kurven zweier Bretter exakt zusammen, sind sie vom gleichen Baum.

Klein arbeitet für mehr als 140 Museen: den Pariser Louvre, das New Yorker Metropolitan Museum of Art oder die Berliner Gemäldegalerie. Rubens- oder Rembrandt-Werke hat Klein schon viele unter die Lupe genommen. Diesmal hat er einen Auftrag aus London. Im Begleitschreiben des Kunsthändlers Hazlitt, Gooden & Fox heißt es "Portraits of a Gentleman and a Lady", zwei Bilder. Klein sitzt in seinem Büro hinter einem der Gemälde und kratzt mit einer Rasierklinge an der Kante der Holztafel. "Ich säubere die Fläche von Firnis und Staub, damit ich die Jahrringe sehen kann", sagt er.

Größte Vorsicht ist geboten. Schließlich soll es sich um einen Peter Paul Rubens (1577-1640) handeln, rechts unten steht das Jahr 1601. Klein soll die Bilder aus Privatbesitz überprüfen. Mit einer Lupe mit Skaleneinteilung mißt er, eine Mitarbeiterin notiert die Ergebnisse. "Das Fälldatum des Baumes muß mit der Datierung zusammenpassen", sagt Klein. Wenn der letzte Jahrring um 1585 liege, könne es ein Rubens sein. Das Telefon klingelt. Er rollt mit dem Stuhl zum Tisch, hält mit einer Hand das Gemälde, mit der anderen hebt er ab. Als wäre es das Normalste von der Welt, einen Rubens im Büro zu haben.

Klein redet langsam, mit leicht süddeutschem Akzent. Hektik kommt nicht auf, die Arbeit erfordert Konzentration. Manchmal mißt er am Tag ein paar tausend Jahrringe. Wenn er 200 Jahrringe zählt, und in der Mitte mißt er womöglich nicht einen, sondern zwei, ergibt das eine falsche Kurve.

Fälschungen kommen vor. So sei ein angeblicher Jan van Eyck (1386-1441) auf eine Tafel gemalt worden, deren Holz jedoch nach Überprüfung aus dem 17. Jahrhundert stammte, "eine alte Schrankrückseite". Bei anderen Bildern wie dem "Massaker der Unschuldigen" von Rubens, das 2002 bei Sotheby's für über 77 Millionen Euro als eines der teuersten Gemälde aller Zeiten versteigert wurde, konnte er die Echtheit der Eichenholz-Tafel bestätigen.

Original, Kopie oder Fälschung: Bei der Einordnung ist die Dendrochronologie "nur der erste Schritt". Ausschlaggebend sei eine kunstgeschichtliche Interpretation, bei der auch modernste Technik hilft: Röntgenaufnahmen, Infrarot- sowie UV-Licht. Sie lassen Übermalungen erkennen und zeigen malerische Details. Der Aufwand ist deutlich höher als bei Kleins Analysen. Seine Ausrüstung paßt in eine umfunktionierte CD-Tasche. Der Inhalt: Rasierklingen, zwei Lupen, ein Schweizer Taschenmesser und eine Bürste. Außerdem braucht er Erfahrung und kunsthistorischen Spürsinn. "Man bekommt einen Blick dafür, ob das alt sein kann oder nicht."

Inzwischen hat er für die beiden Gemälde zwei Kurven angefertigt. Das Ergebnis: Beide Tafeln sind aus je einem Brett hergestellt - und stammen von der gleichen Eiche. Als Fälldatum errechnet er 1588. "Vom Holz her kann es ein Rubens sein", sagt er und stellt das Gemälde behutsam zur Seite.