Ronald Franke aus Bonn hat ein Auge auf Hamburg geworfen - von höherer Warte aus. Seine 70 Ölgemälde mit ungewöhnlichen Stadtansichten zeigt er jetzt im Germanischen Lloyd.

Der Gleiswärter näherte sich dem Bild voller Gleise mißtrauisch. "Alles falsch", sagte er dann, baute sich frontal vor Ronald Frankes Staffelei auf, betrachtete es noch einmal und stellte dann, verblüfft, fest: "Aber alles richtig."

Wahrscheinlich hat er in diesem Moment viel von dem begriffen, was Malerei bedeutet: Es muß nicht alles detailgetreu abgebildet sein, damit sich die Wirklichkeit, die Stimmung und das Wesen eines Objekts dem Betrachter übermittelt.

Ähnliches passierte Ronald Franke in Köln. Er malte wie immer draußen bei Wind und Wetter und hörte von hinten die Worte: "Das ist doch der Typ, der das häßliche Köln malt." Als das Pärchen näher kam, schlug das Urteil um: "Ach, wie schön!" So soll es sein in der Malerei: Jedes Bild ein kleines Wunder.

Selten genug, daß sich Talent, Fleiß und Hartnäckigkeit mit Raumgefühl und einem bißchen Glück verbinden wie bei Ronald Franke. Er gehört zu denen, die unbeirrt an ihren individuellen Stärken weiterstricken. Das Ergebnis kann man von Montag an im Germanischen Lloyd besichtigen: 70 Ölgemälde; und alle zeigen Hamburg von oben.

Glück und Können trafen bei ihm schon früh zusammen. Da war er Kunststudent in Köln. Der eigentlich langweilige Weg von Bonn in der Straßenbahn zur Universität öffnete Franke die Augen für Stadtlandschaften: Straßen, Gleise, Verkehrskreisel, Autobahnauffahrten. Also stieg er immer mal wieder eine halbe Stunde aus und hielt sie auf Papier fest. In Wasserfarben.

Einer seiner Professoren sah die Bilder und lud ihn prompt zu einer Ausstellung ein; die brachte Franke ein vierwöchiges Stipendium der Adenauer-Stiftung am Comer See ein. Dort herrschte Nebel - den ganzen Monat lang. "Da entwickelte sich meine Sensibilisierung auf Schwarz-Weiß und alle seine Abstufungen", erzählt Franke. Kaum saß er wieder im Zug durch die Alpen, hellte es auf. Er malte die Berge. "Landschaftsstenogramme oder Minutenaquarelle" nennt er sie heute. Die kleinen Formate brachten Anschlußaufträge. "Wenn Sie schon aus der Bahn heraus malen", fragte man Franke, "können Sie das doch auch vom Schiff aus tun?"

Franke, damals Anfang 20, verbrachte von nun an viele Sommermonate auf Binnenschiffen, die Waren von A nach B brachten. Als er die 30 überschritt, fand er das "einfach zu schön": die Ufer, die lauschigen Ecken der Flußläufe . . . Aber er wollte kein romantischer Landschaftsmaler sein. Häfen und Schleusen interessierten ihn mehr.

Der Durchbruch kam 1990 in Bremerhaven, als Franke die auf den Schiffen entstandenen Arbeiten neben Bremerhavener Stadtansichten zeigte: lange Betonpisten, die zum Containerhafen führten, und menschenleere Straßen. Das kam in den Grautönen gut rüber. Der Bremerhavener Bürgermeister stand vor einem Bild und fand: "Diese Öde, diese Leere, dieses Fisselwetter - das ist Bremerhaven. Das müssen wir kaufen." Dieses Erlebnis machte Franke deutlich, warum er in Deutschlands Norden mehr Anklang findet als weiter südlich. "Die Menschen im Norden stehen am Watt, es nieselt, und sie finden es toll. Die haben einfach mehr Auffassung für meine Bilder."

1993 fing er an, Stadtansichten zu suchen, wie sie nicht schon tausendmal geknipst, veröffentlicht und für Kunst oder Kommerz vereinnahmt worden waren. Seine Lieblingsmotive fand er in der Peripherie. "Ich entdeckte, daß es immer über Jahrhunderte gewachsene historische Spuren gibt: Früher war die Elbe ein Flußbett, das sich in Wiesen hinein erstreckte, dann wurden Flußarme befestigt und Kanäle gebaut. Man bekommt mit der Zeit ein Auge dafür, was sich in diesen Gebieten übereinander gelagert hat."

Auf Helgoland begegnete er dem Galeristen Walter Knaus, der fragte: "Willst du nicht mal wieder in Hamburg malen?" - "Hamburg war für mich bis dahin der Blick vom Stintfang aus", erzählt Franke. Eine seiner Schiffahrten hatte ihn 1984 hierher geführt: "Ich war völlig dem romantischen Blick erlegen." Mit Mitte 20 geht das noch, aber irgendwann entwickelt man sich, kann reduzieren aufs Wesentliche, weiß genauer, wo die eigenen Absichten liegen.

Jetzt, 20 Jahre Sehen, Malen und Denken später, versuchte er, die alten Hamburger Strukturen wiederzufinden. "Ich probierte, den Stadtplan auswendig zu lernen, habe über alten Plänen gesessen und entdeckt, wie sich das zunächst Weiche, Wabernde dieser Stadt langsam über Jahrhunderte verfestigt hat. Ich hab' auf dem Atlas die Idealperspektive gesucht und bin auf die hohen Punkte gekommen. Von da aus kann ich ein Gefühl dafür erzeugen, wie die Elbe zum Meer hinfließt."

Gefunden hat er drei Orte über Hamburg: die oberste Spitze des Michels, die von St. Petri und das Dach des Hotels Holiday Inn an den Elbbrücken. "St. Petri ist der dramatischste Ort", hat Franke festgestellt, "vom Michel aus hat man den stärksten Blick auf den Hafen, und vom Holiday Inn ist der Blick auf die Verkehrslandschaft am gewaltigsten."

Auf der Suche nach den Zusammenhängen kamen Erkenntnisse: "Zum Beispiel war mir zuerst gar nicht klar, daß die Alstermündung sich heute gegenüber der Speicherstadt befindet", sagt Franke. Und er kam auch auf die besondere Beziehung der Hamburger zu ihrem Hafen: "Der Hafen ist unglaublich citynah und wird von den Hamburgern geliebt. Ich kenne keine andere Stadt, wo der Hafen mit den anderen Teilen der Stadt so verbunden ist wie hier. Hamburg ist eine Stadt, die sich mit ihrem Hafen vermählt hat."

Ausstellung bis 6.1.2006 beim Germanischen Lloyd, Vorsetzen 35. Nur mittwochs nach Anmeldung. Tel. 040/361 49 71 88. E-Mail: manuela.raser@gl-group.com