Vor dem Teamgeist kommt das Wagnis. Aber warum sollte man durch ein brennendes Fenster springen oder sich von einem Auto anfahren lassen? Zum Beispiel fördert es das Wir-Gefühl. Wir haben mitgemacht.

Gerade habe ich den Kaffee vor die beiden Gäste hingestellt, frage "noch was, die Herrschaften?", da passiert es: Einer klatscht. Das ist das Zeichen. Der Wagen fährt auf mich zu, ich schleudere das Tablett wie ein Frisbee zur Seite und werde angefahren. Ich rolle über die Kühlerhaube Richtung Scheibe, da bleibt das Auto auch schon stehen. Alles halb so schlimm, ich bin unversehrt, denn ich habe das geübt. Außerdem ist die Kühlerhaube dick gepolstert.

Wir sind in der Blomeschen Wildnis. Das liegt nicht irgendwo in der Walachei, sondern in einem ganz gewöhnlichen Industriegebiet bei Glückstadt. Eine weiße Halle ist das Trainingszentrum und die Werkstatt von Endorfine Deutschland, einem Unternehmen, das Stuntmen ausbildet. Endorphine, ein Wort für schmerzlindernde Substanzen, ist hier auch irgendwie Programm: Keiner soll sich wehtun. Hier springen Leute durchs Feuer und verkokeln sich kein Haar, hier stürzen sie aus fünf Meter in die Tiefe und tragen keinen blauen Fleck davon.

Klingt verrückt, verfolgt aber einen ganz bestimmten Zweck: Vergessen wir Regenwürmer-Essen im Dschungel, Überlebenstraining in den Sümpfen Lateinamerikas, Bergsteigen für Führungskräfte und die beliebten Hochseilgärten. Lassen wir auch Firmenausflüge zum gemeinsamen Kegeln oder Kartfahren mal beiseite: Stuntman werden ist der neueste Trend bei den Teambildungsmaßnahmen.

Es muß ja nicht fürs Leben sein, aber wenigstens für einen Tag. Das jedenfalls schlägt Elke Overdick vor. Sie stellt für Unternehmen sinnvolle Coachings und Trainings zusammen, damit sie effektiver arbeiten, und bietet seit kurzem auch die Stunttage an. Da lernen die Teilnehmer, aus dem Fenster zu fallen, eine Schlägerei anzuzetteln oder sich von einem Golf anfahren zu lassen.

"Wenn zum Beispiel zwei Firmen zusammenwachsen sollen, halte ich den Stunttag für einen geeigneten Einstieg, einander näherzurücken und sich besser kennenzulernen", sagt Elke Overdick. "Heute ist es auch ein Problem, daß viele Kollegen aus verschiedenen Abteilungen großer Unternehmen sich kaum oder nur vom Telefon kennen, obwohl sie ja zusammenarbeiten. Da verschenken die Firmen zuviel Potential." Für sie steht fest: "Beim Stunt kann man die beiden zentralen Aufgaben von Teams trainieren - zu mehreren an einem Strang ziehen und etwas erreichen sowie einzelne Teammitglieder unterstützen."

Heute sind zwölf Willige hier erschienen, um "Stuntman für einen Tag" zu sein. "Keine Angst, es kann nichts passieren, versichert Stunt-trainer Josh gleich zur Beruhigung.

Am Anfang steht heute vermeintlich Einfaches: das Anfassen. Und zwar im Gesicht. "Etwas sehr Privates, fast schon Intimes", erklärt Special-Effect-Makeup-Chef Ulrich Ritter. Deshalb eignet es sich gut, "um gegenseitige Scheu abzubauen". Aber es geht nicht nur ums Berühren, sondern darum, einem anderen Verletzungen ins Gesicht zu fabrizieren, und zwar ganz schmerzlos.

Der Raum sieht aus wie ein Friseursalon. Sechs Täter, sechs Opfer.

Und dann geht's auch schon los mit den Entscheidungen: Kopf- oder Streifschuß? Brandverletzung, suppende oder Schürfwunde? Oder doch lieber eine geplatzte Augenbraue? Robert und ich entscheiden uns für Kopfschuß. Mitten auf meine Stirn. Und siehe da: Er hat Talent!

Beim Carhit, wie der simulierte Autounfall sich nennt, schieben immer drei Teilnehmer das Auto. Zwei trinken Kaffee, und einer ist der Kellner. Jeder ist mal dran, angefahren zu werden, und alle lösen die Sache bravourös. Offenbar, ohne sich groß Gedanken zu machen, obwohl es furchterregend aussieht.

Stichwort Gefahr. "Das Vorurteil, Stunts seien gefährlich, ist groß", sagt Sönke Korries, der seit 20 Jahren Stunts - auf deutsch übrigens "Kunststücke" - macht. "Jeder kann auch im normalen Leben ausrutschen, hinfallen, über eine Matratzenecke stolpern. Beim Stunt dagegen ist alles so genau konzipiert und so oft von Fachleuten ausprobiert worden, daß wir seit 1998, von Anfang an, keinen Unfall hatten."

Er sieht den Stunttag weniger psychologisch als pragmatisch: "Was will ich mehr, als einen Tag lang mit meinen Kollegen Spaß zu haben?" Endorfine sei da, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen: "Das bringt Leistungssteigerung."

Irgendwann steht er in fünf Meter Höhe auf dem Gabelstapler mit Sibylla, der es nun doch angst macht, sich rückwärts ins Nichts fallenzulassen - wo sie noch nicht mal vom Fünfmeterbrett ins Wasser springt. Es dauert. Korries flüstert. Die anderen warten. Als Sibylla dann endlich auf dem riesigen luftgefüllten Kissen landet, ist der Applaus groß: "Bravo! Super gemacht!"

Henk Wams kommt, der Gründer der Endorfine-Muttergesellschaft in Holland. "Stuntmen are Sissies" haucht er uns zu - "Stuntmen sind Angsthasen. Wir reden den ganzen Tag über Angst." Und Korries gibt zu: "Für uns ist es gar nicht mehr nachvollziehbar, wie es im Alltagsleben überhaupt ohne das Sprechen über Angst geht. Hier kommt es ganz automatisch."

In Betrieben ist Zurückhaltung üblich. Beim Zusammenwachsen von Firmen etwa spielen Ängste eine große Rolle (Was wird aus mir? Kann ich mit den neuen Kollegen auskommen?). Normalerweise setzt man sich aber kaum mit der eigenen Angst auseinander, geschweige denn mit Kollegen. "Hier, im geschützten Raum des Trainings, das ja auch nur vermeintlich gefährlich ist, sind die Teilnehmer alle in der gleichen Situation und bereit, Ängste zuzugeben und über sie zu sprechen", sagt Korries.

Was wir heute nicht sehen, hat er als Trainer schon mehrfach erlebt: "Wer sagt: ,Ich will nicht, letztendlich', bekommt einen besonderen Applaus von mir, wegen der ungewöhnlichen Leistung, sich trotz Drucks von außen gegen die Erwartungshaltung zu stellen." So entstehen vielleicht Mitarbeiter-Persönlichkeiten, die keine Mitläufer sind.

Der Stunttag ist zu Ende. Wir haben viel gelacht, unsere "Verletzungen" nach wie vor im Gesicht und sprechen beim Kaffee noch mal alles durch. Elke Overdick freut sich, daß es gut gelaufen ist: So ein Stunttag ist schon etwas Außergewöhnliches. "Dazu muß man die meisten nicht lange überreden", erzählt sie und hat Fotos geschossen. Falls jemand eine Erinnerung an seine mutige Phase oder seine Platzwunde haben möchte. Was das angeht, bleibt mir nur eine Feststellung: Noch nie hat mir jemand eine so schöne Verletzung beigebracht!

Info: www.coaching-und-training.de