Märchen haben die Menschen seit vielen hundert Jahren begleitet. Die Geschichten um Gut und Böse, die immer mit dem Sieg des wahren Helden endeten, wurden Generationen von Kindern erzählt, um sie auf das Leben vorzubereiten. Sind Märchen einfach eine geniale Volkserfindung, oder haben sie einen wahren Kern? Spiegel TV geht in einer dreiteiligen Dokumentation dem Thema nach ("Märchen und Sagen - Botschaften aus der Wirklichkeit", 9., 16. und 23. Oktober, ZDF, 19.30 Uhr). Die Autorin Kirsten Hoehne (35) hat sich, zusammen mit zwei ZDF-Redakteurinnen, drei Jahre lang auf Spurensuche begeben.

JOURNAL: Spiegel TV ist bekannt für investigative Recherchen. Wollen Sie uns jetzt die Märchen vermiesen?

KIRSTEN HOEHNE: Nein. Wir haben einfach mal Märchen mit dem journalistischen Blick betrachtet: Märchen sind gespickt mit historischen Begebenheiten und Personen. Doch ihre Magie bleibt davon völlig unangetastet.

JOURNAL: Ist "Schneewittchen", das in Ihrer Dokumentation untersucht wird, eine reale Figur?

HOEHNE: Bei Schneewittchen half uns ein Heimatforscher aus dem Kreis Waldeck auf die Spur. Der hatte Quellen über eine Frau aufgespürt, die in einem Grafenhaus wohnte und einen ähnlichen Konflikt erlebt hat wie Schneewittchen. Außerdem sahen früher die Bergarbeiterkinder mit ihren Mützen so aus, wie die Zwerge im Märchen beschrieben sind. Da stoßen Sie auf verblüffende historische Parallelen.

JOURNAL: Was ist mit dem Sterntaler-Märchen, wo es Taler vom Himmel regnet?

HOEHNE: Bis ins 19. Jahrhundert haben die Menschen tatsächlich geglaubt, daß Gold vom Himmel fällt. Denn manchmal fanden sie sogenannte "Regenbogenschüsselchen" in der Erde, das waren Münzen aus der Keltenzeit. Sie haben die dann für ein Gottesgeschenk gehalten, mit dem Gott brave Leute - oder im Märchen das brave Mädchen - belohnt. Das Sterntaler-Märchen ist auf einer zweiten Ebene ein religiöses Gleichnis, das das biedermeierliche, christliche Ideal von der Tugend des Gebens illustriert.

JOURNAL: Sie finden heute historische Bezüge. Aber haben denn die Gebrüder Grimm in ihrer Umgebung recherchiert?

HOEHNE: Na klar. Sie haben akribisch alte Märchen und Sagen gesammelt. Sie wollten den alten Volksglauben und das kulturelle Erbe bewahren. Sie waren Juristen, das hat natürlich ihr Denken geprägt, aber durch und durch waren sie leidenschaftliche "Sprachversessene". Sie waren beseelt von der Kraft der Sprache, dem geistigen Erbe gerade alter Texte und Geschichten, sie waren auf der Suche nach deutscher Identität.

JOURNAL: Was haben Sie überhaupt gedreht?

HOEHNE: Sowohl Dokumentarisches als auch viele Spielfilm-Elemente. Bei Schneewittchen standen wir 16 Stunden bei klirrender Kälte im Wald. Beim Rattenfänger haben wir mit dressierten Ratten gedreht. Doch die büchsten trotz des anwesenden Tiertrainers immer aus, da war voller Körpereinsatz gefragt.