Sie ist ein wandelnder Kostümfundus: Keine Rolle, die sie nicht spielte, kein Skandal, den sie ausgelassen hätte. Hinter dem dienstältesten Superstar ist die Person längst verschwunden. Jetzt wurde Madonna 47 - und ist immer noch für Überraschungen gut.

Jeder Performer ist doch ein Exhibitionist. Es macht keinen Sinn, überhaupt in diesem Geschäft zu sein, wenn man KEIN Exhibitionist ist." Madonna

Für die MTV-Generation, die heute 20- bis 30jährigen, ist sie immer schon dagewesen: Madonna war der erste und ist inzwischen der dienstälteste Superstar des Musiksenders. Für die Älteren ist sie seit den 80ern eine ähnlich prägende Konstante wie Helmut Kohl, wenn auch stimmlich weit aufregender.

Dabei ist nicht einmal sicher, daß sie als Musikerin in die Geschichte eingehen wird. Eher als letzte Allround-Performerin des 20. Jahrhunderts. Fast alle Frauenrollen, die das nachfeministische Zeitalter ermöglicht, hat sie uns seit 20 Jahren vorgespielt, von der Hure bis zur Pazifistin. War das immer glaubwürdig? Nein. Ist das verwerflich? Auch nicht. Es ist nur die beste Methode, eine Frage offen zu lassen: Wer ist eigentlich Madonna selbst ?

Als aufsässige Göre und Vorstadt-Tramp fing sie an. Ist nicht "Papa Don't Preach" (Papa, schimpf nicht) der Stoßseufzer aller Teenager, die nachts um drei nach Hause kommen und ihrem mosernden Vater in die Arme laufen? Und von Anfang an war Madonna modisch stilbildend. 1985 schnitten die Mädchen sich die Finger von den Handschuhen, um so schicke Fingerlinge zu haben wie Madonna in dem Film "Susan - verzweifelt gesucht".

Die Sängerin selbst baute, wie wir wissen, überflüssige Textilien noch weit zügiger ab. 1989 tanzte sie auf ihrem Video "Like A Prayer" in schwarzen Dessous in einer Kirche und verhalf einem schwarzen Jesus zur erotischen Auferstehung. Die gottesfürchtige "American Family Association" schäumte, Madonna aber setzte noch eins drauf mit gefährlich zugespitzten Tütenbusen-Korsagen, die buchstäblich aus dem Fernseher zu stechen schienen. "Ich liebe es, die Menschen zu verblüffen, sie zu provozieren und ihr Weltbild auf den Kopf zu stellen", sagte sie. Keine andere Künstlerin hat in den 90er Jahren so offensiv Sexphantasien visualisiert. Zwar empörte sie sich darüber, daß sie in den Medien nur auf ihren Sexappeal reduziert werde: "Redet irgend jemand über all die Frauen, mit denen es Prince treibt?" Nur war es nicht Prince, sondern Madonna, die zu ihrem Album "Erotica" (1992) den Fotoband "Sex" herausgegeben hatte. In den USA sorgten die eher harmlosen Nacktfotos wie auch Madonnas Film "Body Of Evidence" (1993) für gehörigen Aufruhr.

Madonna sei der klassische "Aufmerksamkeits-Junkie", schrieb der "Rolling Stone" 1996 hellsichtig. Sie habe sich aber immerhin "öffentlich zu Reizthemen wie sexuelle Selbstbestimmung, Kirche und Aids geäußert, als Amerika noch vorgab, alles sei in Butter". Sie spielte ganz gern die mutige Vorkämpferin und Förderin der amerikanischen Independent-Szene. 1992 hatte sie mit Time Warner, dem weltgrößten Medienkonzern, einen Vertrag über die Gründung ihrer eigenen Produktionsgesellschaft Maverick abgeschlossen. Diese Unabhängigkeit nutzte sie geschickt, nahm für Maverick u. a. Alanis Morisette und Me'Shelle NdegeOcello unter Vertrag und bemühte sich um Bands wie Rage Against The Machine und Courtney Loves rebellische Frauencombo Hole.

Aber schon war eine neue Madonna auf dem Weg. So, wie sie sich selbst von der Rock- und New Wave-Szene entfernte, so wurde auch ihre Musik immer poppiger und elektronischer. Das war klug. Denn trotz ihrer provozierenden Shows war die arbeitswütige Tochter eines Automobilingenieurs aus Michigan keine "Alternative" und stimmlich nie eine Rock-Röhre. Mit den hauchig-zartbitteren Balladen auf ihrem Album "Something To Remember" landete sie weit größere Verkaufserfolge als etwa mit "Erotica".

Als sie 1996 nach einer vorübergehenden funktionalen Beziehung mit ihrem Fitnesstrainer Carlos Leon ihr erstes Kind bekam (Carlos danach hinkend ab ins Off), war sie in der Öffentlichkeit wieder die eiskalte Strategin, die Männer benutzt. Wenig später überraschte sie mit der Einsicht, daß ihr früheres Leben "eine einzige egoistische Nummer" gewesen sei und daß sie in der Kabbala-Bewegung nun auf uralte Weisheiten stoße, die zur inneren Balance führten. Welche Weisheiten? Man erfuhr es nie, nur trug sie jetzt Bändchen am Handgelenk und nannte sich Esther. Vorübergehend.

Denn inzwischen erleben wir Madonna als Kinderbuchautorin, Mutter und Erziehungsexpertin. 1999 lernte sie bei einem Dinner im Haus von Sting den britischen Regisseur Guy Ritchie kennen und gründete eine Familie. Die Frau, die keinen Skandal ausließ, räumt jetzt ihrem Mann die Socken hinterher, verbietet ihren Kindern das schädliche Fernsehen - Mama, Don't Preach! - und heißt wieder Madonna.

Aber vielleicht ist das auch nur ein Übergangsstadium. Am 15. November soll ihr nächstes Album "Confessions on a Dance Floor" erscheinen. "Keine Botschaft, keine Balladen, nur Spaß" heißt es auf ihrer Homepage. Gerade wurde sie 47, am 15. August. Aber es sieht nicht so aus, als hätte sie sich aufs Altenteil zurückgezogen.