Nach “Der Vater“ legt Niklas Frank nun die Abrechnung mit seiner Mutter vor, die in der Nazi-Zeit nach Macht gierte.

Immer durchschaut sie meine Verklemmungen", erkennt er verzweifelt. Da liegt seine 64jährige Mutter im Sterben. Der Sohn ist gerade zwanzig, und ihn schaudert es angesichts ihrer noch immer funktionierenden List und Tücke im Spiel mit seinem Gefühlsleben. Jetzt, mit 66 Jahren, zieht der Sohn das bittere Resümee dieser verzweifelten und zerstörenden Beziehung, in der er, noch immer fassungslos, für seine Mutter Verachtung und Liebe zugleich empfindet.

Der langjährige "stern"-Journalist und Autor Niklas Frank hat vor zwanzig Jahren schon in seinem Buch "Der Vater" mit seinem Vater abgerechnet: mit Hans Frank, dem Schergen Adolf Hitlers und Generalgouverneur von Polen, gehängt im Oktober 1946 als Kriegsverbrecher in Nürnberg. Genauso erbarmungs- und schonungslos nimmt er sich nun seine Mutter vor: Brigitte Maria Frank, die sich als "Königin" von Polen feiern ließ und zwölf Jahre nach der Hinrichtung ihres Mannes verarmt, erschöpft und ausgebrannt stirbt; ohne Reue und immer noch in Erinnerungen schwelgend an die Zeit auf der Burg in Krakau, wo sie sich mächtig aufblähte an der Seite eines fünf Jahre jüngeren, gebildeten, aber ängstlichen, schwachen und verführbaren Mannes.

Brigitte Frank war ein negativer Moloch. So beschreibt sie ihr Sohn: ungebildet, ohne Moral, verlogen, habgierig, eiskalt, berechnend und rücksichtslos. Total unpolitisch, aber die braunen Machthaber und der schwache Hitlerverehrer Hans Frank kamen ihr gerade recht: sie waren der Garant für den Weg nach oben. Raus aus dem Muff des Örtchens Forst a. d. Neiße in der Niederlausitz, wo ihr Vater seine Frau und fünf Kinder in bitterer Armut zurückgelassen hatte und in den Mühlbach gegangen war. Auf der Totenfeier beschließt die 13jährige Brigitte Maria, daß nur eines wichtig ist: sich durchzubeißen im Leben. Egal um welchen Preis.

An der Seite des Juristen Hans Frank geht es schnell. Sie wird Frau Reichsminister, Frau Präsident, Frau Reichsrechtsführer inklusive Diplomatenpaß und dann, nach Kriegsbeginn 1939, die mächtigste Frau Polens. Hier kann sie aus dem Vollen schöpfen, bereichert sich an Pelzen und Schmuck aus den Ghettos, hat zahlreiche Affären. Sie rafft, giert und genießt, blind für den Meuchelmord an Hunderttausenden fast vor ihren Augen. Als Hans Frank sich von ihr trennen will, geht sie zu Adolf Hitler und denunziert die Geliebte ihres Mannes. Nach dem Krieg wird sie mit den Frauen anderer Nazigrößen in ein Internierungslager gesteckt, und auch hier hat sie schnell wieder alle Fäden in der Hand. Eine Stehauf-Frau.

Aus mehr als 3000 Seiten stenographierter Aufzeichnungen seiner Mutter, aus den Notizen des Vaters, aus Briefen von beiden, eigenen Erinnerungen, Gesprächen und Tagebüchern hat der jüngste Sohn Niklas Frank einen beklemmend haßverzerrten Lauf gemacht. Das Buch liest sich scheußlich, weil es stellenweise obszön, emotional überladen, im Ton von fast spätpubertärem Gegeifer ist, ähnlich wie das Buch über den Vater. Bei allem Ärger darüber, daß der Autor Fakten und Fiktion durcheinanderwirft, wird klar: Hier kämpft jemand gegen den übermächtigen Schatten eines von Horror geprägten Namens und gleichzeitig schmerzhaft gegen sich selbst.

Vierzig Jahre nach dem Tod seiner Mutter fragt sich der Sohn immer noch, ob diese Frau perfekt im Verdrängen war oder vielleicht gar nichts verdrängen mußte. Die Frage bleibt offen. Der Schrecken bleibt der gleiche. "Ich liebte und liebe noch heute diese ungemein starke verdorbene, abgefeimte deutsche Mutter. Verzweifelt", schreibt er im Vorwort. In manchen Wunden muß man immer wieder herumbohren aus Angst, sie könnten sich schließen und vergessen werden. Deshalb ist das Buch trotz aller Vorbehalte lesenswert.

Niklas Frank: Meine deutsche Mutter. C. Bertelsmann, 478 Seiten, 22,90 Euro.