Joe Cocker ist wieder auf Tour. Statt Alkohol und Drogen umkreist er jetzt das Kuchen- büffet. Aber keine Angst: Die Stimme ist geblieben!

Was für eine Begrüßung! "Joe", ruft sein Manager entzückt, "guck mal, wer hier ist." Joe guckt, eilt begeistert quer durch die Halle des Hotel Meurice in Paris. Erstickt meine Proteste in einer gewaltigen Schraubzwingen-Umarmung. Dann aber plötzlich - große Verlegenheit. Betretenes Schweigen. Ein Irrtum war's. Eine Verwechslung. Es gibt eine Doppelgängerin! Nur wer sie ist und was mit ihr war, verschweigen mir die beiden.

Joe - das ist Joe Cocker, die große Rock-Legende, der größte weiße Blues-Sänger aller Zeiten, der Mann mit der unverkennbaren wilden, rostig-röhrenden Stimme. Mit einfühlsamen Coverversionen aller großen Songs. Jetzt ist er wieder auf Tour.

Joe Cocker ist ein Urgestein. Mit viel Bauch und wenig Haar, einem zerlebten Gesicht und hinreißendem Blick. Ein bißchen ironisch, sehr melancholisch und im Moment ganz furchtbar gierig. Joe hat Kuchen entdeckt. Berge von Kuchen. Schokoladen-, Creme-, Zitronenschnitten. Er umkreist die Kuchenplatten, stöhnt, lacht schräg mit diesem satten Schuß Gosse. Setzt sich, steht auf. Setzt sich, rutscht auf dem Sessel hin und her.

Kuchen in seiner Nähe mache ihn ganz verrückt, sagt er. Diese Gier auf Süßes und dieser Bauch - verschämt zeigt er auf die nette Wölbung unter seinem verblichenen pinkfarbenen T-Shirt - das sei die Rache seines Körpers, weil er ihn all die Jahre so heruntergewirtschaftet habe. Diese Jahre, über die er eigentlich nicht mehr sprechen mag. Die Siebziger, in denen er volltrunken und vollgekifft von der Bühne fiel, von der Polizei in L.A. von der Straße gesammelt und eingelocht wurde, ihm das Geld in der Kehle zerrann und er üppige Schecks zerriß, ins Klo spülte und einfach total von der Rolle war.

Seit vier Jahren ist er clean, raucht und trinkt nicht mehr und ist verdammt stolz, daß er diesen Ausstieg allein geschafft hat. Ohne Klinik, ohne Psychiater - und ohne Rückfall wie bei früheren Versuchen. Gestützt hat ihn aber seine Frau Pam, von der er viel und sehr liebevoll spricht. Einmal hat sie ihm diesen vernichtenden Satz entgegengeschleudert: "Du hast dir dein Gehirn weggesoffen." Das hat ihn hart getroffen.

"Ich selbst war mein größter Feind", sagt er. "Und diese verdammten einsamen Nächte auf Tour in den Hotels. Das reißt dich runter. Du wirst melancholisch, trübsinnig. Ich bin so ein Blues-Typ. Da fällst du ins dunkle Loch, greifst zur Flasche." Pam sei seine Rettung gewesen, mit ihrer Liebe und damit, daß sie niemals ihre Meinung zurückhalte.

Jetzt wird er 61. Zusammen mit Pam hat er die "Cocker Kids Foundation" gegründet, kauft Computer für Schulen, baut Spielplätze. Am liebsten aber lebt er auf seiner Farm in Crawford, Colorado. Dort geht er stundenlang mit den Hunden spazieren, angelt, züchtet Watussi-Rinder und Tomaten: "An der Black Krim (lilabraun, mit großen Früchten) arbeite ich noch." Auch wenn Pam lieber Blumen gezüchtet hätte. Ein Restaurant und Pams Pferdezucht liefen nicht.

Wenn die Jagdsaison ausbricht, würde er die Bären am liebsten vor den wild um sich schießenden Amateurjägern beschützen. Im Winter spielt er Billard mit seinen Nachbarn und liest Bücher über den Zweiten Weltkrieg. "Ich habe darüber in der Schule nichts gelernt und möchte verstehen, warum es zu diesem Wahnsinn kommen konnte." Die Wände seiner Bibliothek sind voll davon, demnächst, hat Pam gedroht, werde sie den ganzen Kram auf den Müll werfen. "Ach, diese Frau", stöhnt er und rubbelt in komischer Verzweiflung seinen Stoppelbart. "Das alles hört sich nicht sehr nach Rock 'n' Roll an. Eher spießig, oder?"

Auf jeden Fall ist es Lichtjahre entfernt von der Tasker Road im englischen Sheffield, in dem alles begann. Joe, der kein Instrument spielen, aber singen konnte. Ein Horror für Vater Harold, der nicht rauchte, nicht trank, Partys haßte und Rock 'n' Roll nicht ausstehen konnte - dem Sohn aber trotzdem Benzingeld borgte, wenn der mit seiner Band durch die englischen Pubs tourte. "Wir hatten ein sehr distanziertes Verhältnis", sagt Joe Cocker. "Eine Umarmung war nicht drin. Dazu war er zu viktorianisch erzogen. Aber er war wirklich o.k." Bruder Vic ist Joes bürgerlicher Gegenpol. Das, was man in England Fat Cats nennt. Ein hochkarätiger Manager mit Orden von der Queen.

Der Tod seines Vaters im letzten Jahr und der seines großen Idols und Mentors, der Blues-Legende Ray Charles, lassen ihn leise werden: "Als Ray Charles starb, war plötzlich ein dunkler Nebel um mich herum." Am selben Tag ist er in den Radiosender im Nachbarort gefahren und hat die ganze Nacht Ray-Charles-Platten gesendet. "Es war eine sehr, sehr traurige Nacht."

Auch das ist Joe Cocker. Sanft, verhalten, verlegen, die Stimme leise und verloren. Wo ist der auf der Bühne holprig stampfende Schaufelbagger geblieben? Diese ungebärdige, krächzend-kreischige Stimme? Aus und vorbei? "Oh nein", sagt er. "Keine Chance. Ich fühle mich gut. Solange meine Maschine läuft, mache ich weiter." Er bleibe ein Blues-Sänger, das stecke in den Genen und müsse raus. "Blues. Liebe. Schmerz. Das ist mein Leben."

Zum Abschied gibt's eine Schokoschnitte, einen Händedruck, eine Entschuldigung für die Verwechslung und ein Versprechen, daß so was nie wieder passieren wird. Schade!

Joe Cocker Live :

Heart & Soul, 11. Mai, 20 Uhr, Color Line Arena, Tickets ab 37,90 Euro in den Abendblatt-Centern, Ticketline: 040/303 73 20.