Mit 64 Jahren kann man sich in den Ruhestand verabschieden, man kann eine Weltreise planen - oder eine Sinfonie komponieren! Schubert wurde gerade mal 31, Mozart 35, Beethoven 56. Hinrich Rodatz fängt mit 64 erst richtig an.

Morgens, meist noch im Halbschlaf, kommen ihm die tönenden Ideen. "Wer innerlich nichts hört, kann auch nichts aufschreiben", sagt der ehemalige Rechtsanwalt aus Lüneburg, der als Gasthörer an der Hamburger Musikhochschule eingeschrieben ist. Jetzt hat Rodatz schon die zweite "klassische" Sinfonie geschrieben, in g-Moll ( Largo, Andante, Allegro ma non troppo und A la marcia , Dauer: eine halbe Stunde).

Musikprofessor Rainer Hecht sagt im Tonstudio der Hochschule: "Ein erstaunliches Werk, wenn man bedenkt, daß er noch lernt." Professor Manfred Stahnke, bei dem Rodatz "Komposition" studiert, nannte die Musik ihm gegenüber "frisch, gerade, aufrecht".

Die musikalischen Wurzeln des Spätberufenen sind klar: "Meine Mutter war Klavierlehrerin - sie hat mich aber nie unterrichtet." Lange Zeit blieb die Musik immer eine Nebensache. Bis 2002. Da kam die Wende, aus einem ganz banalen Anlaß: "Meine Praxis hat sich schlicht nicht mehr rentiert", sagt Rodatz. "Da habe ich sie aufgegeben."

Zunächst schrieb er "kleine Sachen", Trink- und Weihnachtslieder, Schlager, eine Klaviersonate. Dann kam erst eine kleine, jetzt die große Sinfonie, eine Partitur vom Volumen eines Aktenordners. Gemeinsam mit dem gut zehn Jahre jüngeren Dirigenten Johann Holzer hat er dreieinhalb Jahre an dem Projekt gearbeitet. "Wir kämpften um jede Note." Die Aufnahme ist synthetisch auf einem Synthesizer eingespielt, ein Werk aus 4500 Schnipseln.

Rodatz ist geschieden, Vater von vier Kindern und lebt in Gerdau bei Uelzen, wo er noch "einer kleinen Teilzeitbeschäftigung rechtlicher Art" nachgeht. Ansonsten parkt sein 20 Jahre alter VW-Bus (550 000 km), umgebaut zum Wohnmobil mit Bett und Küche, in der Nähe der Musikhochschule an der Alster.

Sein nächstes Projekt ist eine Überarbeitung von Mozarts Kleiner Nachtmusik : "Ich will den verlorengegangenen fünften Satz nachschreiben." Und seine Sinfonie soll natürlich auch aufgeführt werden. "Ein teurer Spaß", sagt er. Für Orchester und Konzertsaal kommen schnell 10 000 Euro zusammen.

Ach ja: Die Frage, ob Musik und Jura irgendetwas verbindet, beantwortet Hinrich Rodatz völlig unromantisch: "Da gibt es nichts gemeinsames. Das eine sind hölzerne Regeln auf einem ethischen Minimum - das andere ist etwas Göttliches."

Die CD (Rodatz/Holzer: Sinfonie g-Moll, opus 8) zu bestellen bei: DRMV, Lüneburg, Kolberger Straße, Tel. 04131/315 17 (15 Euro).