Innerhalb weniger Monate ist Annett Lousian zu einer der populärsten deutschen Popsängerinnen geworden. Mit dem Journal sprach sie darüber, wie es ist, ein Star zu sein - und was sie von ihrem “Lolita“-Image hält.

Es wird Küßchen geben, Bussi hier, Bussi da. Yvonne Catterfeld und Oliver Geissen, die Moderatoren der Echo-Verleihung 2005 in Berlin, werden schier außer sich sein. In ihrer Mitte steht die Gewinnerin, alle Scheinwerfer auf sie gerichtet: Annett Louisan, Shootingstar der deutschen Musikszene, im Rampenlicht. Applaus und Jubel von den Fans. Louisan trägt eine Baskenmütze, darunter ihr blondes Haar, offen und lang. Dazu etwas Schwarzes, einen Rock mit Stiefeln. Als Dankeschön singt sie ihren Hit "Das Spiel". Am Ende verläßt die Sängerin mit drei Echos unter dem Arm die Bühne.

So könnte sie laufen, die 14. Echo-Verleihung der Deutschen Phono-Akademie an diesem Sonnabend, dem 2. April. Denn Annett Louisan ist unter anderem in den Kategorien "Newcomer" und "Künstlerin des Jahres national" nominiert. Und das alles auch noch an ihrem 26. Geburtstag.

Ende März in einer Hotel- Lobby in Kassel. Annett Louisan ist müde. Das Leben auf einer Deutschland-Tour ist anstrengend. An diesem Vormittag fehlt ihr Markenzeichen, die Baskenmütze. Sie sitzt in einem bequemen Sessel, trinkt Cola light und Cappuccino. Ihr schwarzer Pullover fällt diagonal über das Dekollete, die rechte Schulter liegt frei. Das Haar reicht bis zu den Hüften, sie trägt eine schwarze weite Hose und Turnschuhe. Ihre Stimme klingt genauso weich und jugendlich wie auf der Bühne, wenn sie singt. Für einen Popstar sieht sie an diesem Vormittag etwas nachlässig aus. "Ich weiß, daß ich auch jetzt perfekt gestylt sein müßte, aber das fällt mir manchmal ziemlich schwer."

Erst vor fünf Monaten hat der Rummel um Annett Louisan begonnen. Ihr erstes Album wurde am 25. Oktober 2004 veröffentlicht, dazu sagt sie: "Der Tag hat mein Leben komplett verändert."

Davor versuchte sich Annett Louisan in Rap-, Triphop- und Soulbands mit schönen Namen wie "Melontoast Experience". Nebenher studierte sie in Hamburg Gestaltung und Design und jobbte als Background- und Studiosängerin. "Ich habe meine Stimme wie ein Instrument verkauft." Das sagt sie abgeklärt und zündet sich eine Zigarette an. Sie kenne das Musikgeschäft, schließlich habe sie genug Zeit gehabt, es zu beobachten. Überhaupt scheint es ihr Talent zu sein, genau hinzuschauen und die Erkenntnisse für sich einzusetzen.

"Kleine Frauen werden unterschätzt", sagt die 1,52-Meter-Frau, "viele denken: ,ach, so eine kleine Süße' und nehmen einen nicht ernst." Tatsächlich sei das aber ein Vorteil. "So kann man überraschen und Menschen viel leichter von sich überzeugen." Natürlich werde sie oft auf ihre Größe angesprochen, nur damit sich andere, die "ein paar Zentimeter mehr haben", profilieren könnten. Annett Louisan lächelt, wenn sie davon erzählt. Der Überraschungseffekt habe auch bei Frank Ramond, ihrem Produzenten, gewirkt. Ihm steckte sie auf einer Party einen Zettel zu. Darauf soll gestanden haben: "Ich bin Annett. Klein, blond, lustig. Ruf mich an, wenn du eine Sängerin brauchst." Er rief an.

Gemeinsam mit ihm schreibt sie jetzt ihre Texte. Sie liefert die Ideen, ihr Wissen von Männern und Frauen. Von Beziehungen, Enttäuschungen und Liebe, so auch für den Song "Das Gefühl": "es beschleicht mich wieder das Gefühl/ fragt mich leise, was ich wirklich will/ und dann schickt es mich in den April . . ." Ein Umstand, auf den Annett Louisan Wert legt. "In erster Linie steht mein Name auf dem Album, die Musik trägt den Louisan-Stempel." Und weil sie im Moment ständig an neuen Liedern arbeite und auch noch auf Tour sei, habe sie für eigene Gefühle oder für Männer überhaupt keine Zeit: "Es wäre ungerecht, mit meinem Lebensstil eine Beziehung zu führen." So, wie sie das sagt, klingt es nicht arrogant, sondern glaubhaft. Ihre Erfahrungen hat sie in zwei langjährigen Beziehungen gemacht. Louisan wird offener: "Trennungen sind zu schmerzhaft, so was möchte ich nicht mehr erleben."

Alles, was sie über die Liebe weiß, scheint sie ihren Fans auf ihren Konzerten mitteilen zu wollen. Dann sieht sie perfekt aus, auf den Bühnen in Hamburg oder in Kassel.

Wer dann, wie ein Kritiker kürzlich schrieb, "französischen Landpomeranzenlook" erwartet, wird enttäuscht. Statt dessen ein grauer Anzug, silberne High Heels, dezentes Make-up und die Haare unter der Baskenmütze, das einzig Französische an ihrem Look. Sie singt, begleitet von ihrer fünfköpfigen Band, mit einer zarten Mädchen-Stimme - und rund 1000 Zuhörer folgen andächtig. Dazu sitzt sie auf einem Barhocker oder jammt etwas verhalten zu den Soli ihres Gitarristen. Allein die Musik soll im Vordergrund stehen. Daher mag sie beim Singen auch nicht sexy aussehen - jedenfalls nicht absichtlich. "Meine Musik ist Kopfkino. Davon soll mein Outfit nicht ablenken."

Lektionen, die sie in ihren zahlreichen Auftritten in der Hamburger Musikszene gelernt hat. "Die Leute sollen auf die Texte hören", sagt sie. Und die gefallen den Fans, ein Ehepaar schrieb ihr kürzlich in einer E-Mail: "Ihre Lieder sind besser als jede Paartherapie." Annett Louisan ist begeistert von solchen Reaktionen: "Mehr geht doch nicht, oder?"

Auf ihren Konzerten moderiert sie zwischen den Liedern. Liest aus Paul Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein" oder erzählt von den ewig perfekten Freundinnen, "meine Eve, ihr hätte man längst den Laufpaß geben sollen". Ganz im Stile einer Chansonette plaudert und singt sie über das Leben. Edith Piaf, "auch klein", ist eines ihrer Vorbilder. "Daß du dich verliebst/ weil du's mit mir tust/ daß es dich so trifft/ hab ich nicht gewußt/ es war nie geplant/ daß du dich jetzt fühlst/ wie einer von vielen" , lautet die Liedzeile aus "Das Spiel", ihrem ersten Chartbreaker. In der Stadthalle singen auch 60jährige ihren Text auswendig mit.

Doch der Erfolg ihrer ersten Single hatte nicht nur positive Folgen. Mit dem "Spiel" war auch ihr Lolita-Image geboren. Teilweise sogar selbstverschuldet durch ein entsprechendes Musikvideo. "Diese ganze Lolita-Sache wurde total ausgereizt. Ich bin wie ich bin. Ich habe die Art gewählt, den Song zu singen, weil es mich und andere bewegt hat. Es sollte ausgeglichen und ruhig klingen." Sollen die Medien das Bild vom "männerfressenden Vamp" doch weiter ausreizen! Das sei ihr egal. Sagt sie. Vor Ärger aber raucht sie noch eine. "Weißt du, was ich denke?" meint sie dann, "nun ist aber auch mal gut. Lolita go home!"

Louisan hat sich in Rage geredet. "Und überhaupt diese Kritiker . . ." Ihr seien die Fans am wichtigsten. Das beweist sie nach jedem Auftritt. Schon eine Viertelstunde danach gibt sie Autogramme. "Ich finde, das gehört dazu. Die Menschen kommen ja auch zu mir." In Kassel konnte sie erstmals nach einem Konzert noch etwas mit ihren Musikern trinken gehen. "Ich habe mir die Leute zusammengesucht, mit denen ich arbeiten wollte." Einer ihrer Musiker schleppt einen großen schwarzen Koffer in Richtung Drehtür - sie haucht ihm ein "Hallo" entgegen und sagt, wie ein Kompliment für ihn: "Mein Cellist." Und der Cellist freut sich.

Annett Louisan sieht gut aus und hat Erfolg. Was wünscht sie sich noch? Was, wenn sie doppelt so alt ist wie heute? Sie überlegt, tatsächlich: Mit 50 Jahren will sie eine Familie und Enkelkinder haben und vielleicht noch Musik machen. Momentan, und "jetzt kommen wir in den banalen Bereich", sagt sie, "ist die Musik für mich einfach noch alles".

Der Rest, damit meint sie den Rummel um ihre Person, sei ihr schon zu viel. Und das nach nur einem knappen halben Jahr Prominenz. Sie sagt: "Ich möchte mich verändern dürfen" und erzählt von David Bowie, der das Musikgeschäft und das Interesse der Medien an seiner Person nur ertragen könne, weil er sich ständig neue Images zugelegt habe "wie ein Chamäleon". Annett Louisans erster Farbwechsel kündigt sich an. Vielleicht schon an diesem Sonnabend.

Annett Louisan ist bis zum 9. Mai auf Deutschlandtournee. Am 23. Mai Zusatzkonzert in der Laeiszhalle Hamburg. Tickethotline: 01805-570 000.