Für Andrea Stange war der viel zu frühe Tod ihres Vaters wie ein Wink des Schicksals. So oft sie konnte, war die Krankenschwester von Hamburg nach Berlin gefahren, um den Krebskranken zu pflegen. "Nach seinem Tod wußte ich: wenn ich ihn pflegen konnte, kann ich das auch für andere Sterbende tun. Also bewarb ich mich beim Hospiz Sinus", sagt die 30jährige, die mit ihrem schönen Gesicht und der schlanken Figur auch als Model durchgehen würde. Zuvor hatte sie sechs Jahre lang in Krankenhäusern gearbeitet, und den tabuisierenden Umgang mit dem Tod dort empfand sie einfach nur furchtbar und unwürdig. "Es gab weder Raum noch Zeit für Sterbende, die Pflegekräfte und Ärzte haben sie gemieden - schließlich paßt der Tod nicht ins Konzept eines Krankenhauses", sagt Andrea Stange.

Im Hospiz geht es darum, die Todkranken zu verwöhnen, ihnen kleine Wünsche zu erfüllen. Sie sind keine Patienten, sondern Gäste mit Einzelzimmer, eigener Kleidung und individuellem Essen. "Bedürfnisorientiertes Pflegen", heißt das im Pflegedeutsch.

"Mich gibt es im Hospiz nicht nur als Krankenschwester, sondern auch als Mensch", sagt Stange. "Ich gestatte mir, wütend zu sein oder zu weinen. Die Leute hier wollen gar nicht, daß man nur stark ist - besonders die Angehörigen nicht."

Der Umgang mit den Angehörigen, deren Unterstützung und Trost macht für Stange einen besonderen Reiz der Arbeit aus. Sie kann sich gut in ihren Schmerz und in die Hilflosigkeit einfühlen - manchmal jedoch fällt es ihr schwer, die Distanz zu bewahren, etwa wenn die Sterbenden noch sehr jung sind oder kleine Kinder haben. "Wenn ich zuviel von mir preisgebe, kostet das zuviel Kraft, man stirbt ein Stückchen mit - das geht in dem Job einfach nicht." Es gibt auch immer wieder Momente, in denen sie sich hilflos fühlt, weil sie einen Gast trotz aller Medikamente nicht von seinen Schmerzen befreien kann. Dann sucht sie Hilfe beim Team des Hospizes. Die Pfleger arbeiten interdisziplinär mit Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern zusammen. Die eigene Wahrnehmung ist gefragt, anders als "im Krankenhaus, wo ich nur ausführendes Organ war". Im Hospiz hat Andrea Stange gemerkt, daß sie gut ist im Organisieren, daß ihr Verantwortung Spaß macht. Deswegen hat sie parallel zur Arbeit angefangen, an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften "Pflege" zu studieren. Seit kurzem ist sie Vollzeit-Studentin.

Ihr Ziel ist die Leitung eines Hospizes, sie würde aber auch gern überregional etwas bewegen. "Der Bedarf an Hospizplätzen ist so enorm, daß es schon Wartelisten gibt. Das ist absurd - der Tod wartet doch nicht."

Sie ist es, die für die harmonische, warmherzige Stimmung im Hospiz und für die gute Teamarbeit unter den Mitarbeitern sorgt. Seit sieben Jahren leitet Gabriela Holmer-Cichosz das Sinus-Hospiz, und "im Vergleich zu den Prostituierten und Drogenabhängigen, die ich vorher betreut habe, ist dies eine recht normale und vor allem erfüllende Arbeit". Allerdings ist es eine Arbeit, die extrem an die Substanz geht, "und die zur Folge hat, daß ich ständig an den Tod denke".

Doch die Diplom-Sozialpädagogin mag "das große Spektrum von intensiven Begegnungen" im Hospiz. Auch wenn das bedeutet, daß sie sich bei manchmal bis zu 30 neuen Gästen pro Monat auf unglaublich viele verschiedene Menschen einstellen muß.

Von ihren Mitarbeitern verlangt sie, daß sie offen sind, zuhören können, viel Lebensfreude haben, krisenfest sind und gut auf sich achten. "Pfleger mit Helfer-Syndrom halten diese Arbeit nicht durch, die brennen aus", sagt die 40jährige, die sich am liebsten bei einem Ritt durch den Wald erholt.