Der tägliche Umgang mit Tod und Sterbenden erscheint vielen Menschen unvorstellbar deprimierend. Müssen die Helfer in einem Sterbehospiz Heilige sein, oder haben sie ein Helfer-Syndrom? Sabine Tesche fragte vier Mitarbeiter des Sinus-Hospizes, warum sie genau diesen Beruf gewählt haben.

Andreas Possler (39), Krankenpfleger

Eigentlich wollte Andreas Possler Professor für das Alte Testament werden. Schon als Kind. Er hat Theologie studiert, dazu Latein und Geschichte - zehn ellenlange Jahre war er gefangen im Elfenbeinturm der Wissenschaft, um dann doch in der Krankenpflege seine Erfüllung zu finden. "Für meine Eltern war dieser Wechsel nur ein weiterer Schock, nachdem sie schon akzeptieren mußten, daß ich schwul bin", sagt der 39jährige mit diesem ironischen Unterton, der ihn ständig während seiner Arbeit begleitet. Possler liebt es, die Gäste des Hospizes zu necken, sich mit ihnen zu reiben - und intensive Gespräche zu führen.

Denn dort, wo der Tod das vorherrschende Thema ist, fühlt er auch die "Lebensfreude der Sterbenden". Zum Beispiel, wenn sie nach langen Jahren der Einsamkeit im Hospiz nun wieder eine Gemeinschaft erleben. Possler freut sich mit an kleinen Dingen, wenn eine Wunde abheilt oder ihm ein Griesbrei gut gelungen ist und ein Todkranker ihn dann genußvoll ißt. Zeit für die Gäste zu haben, ihnen eine Heimat zu bieten, wenn auch nur kurz - das befriedigt den Pfleger. "Im Krankenhaus müssen alle reibungslos funktionieren, auch Sterbende. Da heißt es: früh wecken, waschen im Akkord, der Arzt reißt die Bettdecke weg - das ist eine Zumutung für einen Todkranken", sagt Andreas Possler, der sich schaudernd an seine Ausbildung im Krankenhaus erinnert.

Possler ist tief gläubig, er macht sich viele Gedanken über den Tod und das Loslassen vom Leben, das manchen Gästen im Hospiz so schwerfällt. "Ich versuche, mich immer vom Schmerz des Leidenden nicht überwältigen zu lassen, sonst bin ich ihm ja keine Hilfe." Er heule nie, sagt Possler. Dennoch werden seine Augen feucht, als er von der 40 Jahre alten Mutter erzählt, die ihre fünf Kinder zurücklassen mußte. Ausgleich sucht er beim Flötenspiel, in der Oper; oder bei einem Kloster-Besuch.

Doch es gibt Situationen, wo kein Humor, keine Tapferkeit hilft: wenn der Sterbende beim Verbandswechsel vor Schmerzen schreit oder wenn "ein Mensch, der mir nahe ging, gerade gestorben ist". Dann geht Andreas Possler aus dem Zimmer, sucht Halt an einer Wand, holt tief Luft oder betet. Dennoch ist diese Arbeit seine Berufung, er könnte sich nichts anderes vorstellen: "Sie bereitet viel mehr Lust als Frust."

Dr. Christoph Lenzen (43), Schmerztherapeut

Christoph Lenzen hatte gleich zu Beginn seines Medizin-Studiums ein Schlüsselerlebnis: Während seines Pflege-Praktikums in einem konfessionellen Krankenhaus lag eine junge, krebskranke Frau sterbend im Zimmer. "Keiner wollte was mit ihr zu tun haben. Die Schwestern und Ärzte machten einen Riesenbogen um sie. Das fand ich entsetzlich, so sollte keiner sterben. Ich habe mich dann um sie gekümmert", erinnert sich Lenzen.

Doch bald lernte er, daß dieses distanzierte Verhalten unter vielen Kollegen üblich ist - Gesprächsführung ist schließlich kein Pflichtfach im Studium. "Ich arbeitete früher auf der Intensivstation, da gehört Tod zum Alltag. Aber kaum einer der Kollegen wollte mit den Angehörigen darüber reden, also hatte ich das übernommen", sagt Lenzen. Er ist sowohl Facharzt für Anästhesiologie als auch Schmerztherapeut mit eigener Praxis in Eppendorf. Statt einer Uni-Karriere hat er sich bewußt für die private Betreuung Sterbenskranker entschieden.

Der 43jährige mag die intensiven Gespräche mit den Patienten während seiner Visiten im Hospiz. Er hört gerne zu, spürt Unausgesprochenes und läßt sich auf die Menschen ein. Er fühlt sich dann nicht alleine als Arzt, sondern auch als Seelsorger. "Ich versuche, die medizinische Seite verständlich zu erklären, jeder Schritt muß für den Todkranken nachvollziehbar sein."

Mit ihm bespricht er, wie das Sterben am angenehmsten sein könnte. "Will ein Sterbender bis zum Ende alles bewußt mitbekommen, ist das genauso o.k. wie die Dämpfung des Bewußtseins durch Opiate und Beruhigungsmittel", sagt Lenzen. Die aktive Sterbehilfe lehnt der gläubige Katholik allerdings rigoros ab. Lieber versucht er, dem Sterbenden die Angst vor dem Schmerz zu nehmen, indem er sagt: "Hier ist meine Handynummer, ich bin Tag und Nacht für Sie erreichbar."

Der tägliche Umgang mit dem Tod hat für den Familienvater keinerlei Schrecken, im Gegenteil: "Wenn ich das Feedback bekomme, daß die Menschen sich von mir gut betreut fühlten und ein Patient harmonisch sterben konnte, ist das ein schönes Gefühl."

Für ihn ist es eine Arbeit, die Sinn macht und befriedigend ist. Allerdings, gibt Christoph Lenzen zu, sei es immer auch schön, nach Hause zu kommen, seine Kinder in die Arme zu nehmen und "ihr quicklebendiges Lachen zu hören".

Andrea Stange (30), Krankenschwester

Für Andrea Stange war der viel zu frühe Tod ihres Vaters wie ein Wink des Schicksals. So oft sie konnte, war die Krankenschwester von Hamburg nach Berlin gefahren, um den Krebskranken zu pflegen. "Nach seinem Tod wußte ich: wenn ich ihn pflegen konnte, kann ich das auch für andere Sterbende tun. Also bewarb ich mich beim Hospiz Sinus", sagt die 30jährige, die mit ihrem schönen Gesicht und der schlanken Figur auch als Model durchgehen würde. Zuvor hatte sie sechs Jahre lang in Krankenhäusern gearbeitet, und den tabuisierenden Umgang mit dem Tod dort empfand sie einfach nur furchtbar und unwürdig. "Es gab weder Raum noch Zeit für Sterbende, die Pflegekräfte und Ärzte haben sie gemieden - schließlich paßt der Tod nicht ins Konzept eines Krankenhauses", sagt Andrea Stange.

Im Hospiz geht es darum, die Todkranken zu verwöhnen, ihnen kleine Wünsche zu erfüllen. Sie sind keine Patienten, sondern Gäste mit Einzelzimmer, eigener Kleidung und individuellem Essen. "Bedürfnisorientiertes Pflegen", heißt das im Pflegedeutsch.

"Mich gibt es im Hospiz nicht nur als Krankenschwester, sondern auch als Mensch", sagt Stange. "Ich gestatte mir, wütend zu sein oder zu weinen. Die Leute hier wollen gar nicht, daß man nur stark ist - besonders die Angehörigen nicht."

Der Umgang mit den Angehörigen, deren Unterstützung und Trost macht für Stange einen besonderen Reiz der Arbeit aus. Sie kann sich gut in ihren Schmerz und in die Hilflosigkeit einfühlen - manchmal jedoch fällt es ihr schwer, die Distanz zu bewahren, etwa wenn die Sterbenden noch sehr jung sind oder kleine Kinder haben. "Wenn ich zuviel von mir preisgebe, kostet das zuviel Kraft, man stirbt ein Stückchen mit - das geht in dem Job einfach nicht." Es gibt auch immer wieder Momente, in denen sie sich hilflos fühlt, weil sie einen Gast trotz aller Medikamente nicht von seinen Schmerzen befreien kann. Dann sucht sie Hilfe beim Team des Hospizes. Die Pfleger arbeiten interdisziplinär mit Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern zusammen. Die eigene Wahrnehmung ist gefragt, anders als "im Krankenhaus, wo ich nur ausführendes Organ war". Im Hospiz hat Andrea Stange gemerkt, daß sie gut ist im Organisieren, daß ihr Verantwortung Spaß macht. Deswegen hat sie parallel zur Arbeit angefangen, an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften "Pflege" zu studieren. Seit kurzem ist sie Vollzeit-Studentin.

Ihr Ziel ist die Leitung eines Hospizes, sie würde aber auch gern überregional etwas bewegen. "Der Bedarf an Hospizplätzen ist so enorm, daß es schon Wartelisten gibt. Das ist absurd - der Tod wartet doch nicht."

Gabriela Holmer-Cichosz (40), Hospiz-Leiterin

Sie ist es, die für die harmonische, warmherzige Stimmung im Hospiz und für die gute Teamarbeit unter den Mitarbeitern sorgt. Seit sieben Jahren leitet Gabriela Holmer-Cichosz das Sinus-Hospiz, und "im Vergleich zu den Prostituierten und Drogenabhängigen, die ich vorher betreut habe, ist dies eine recht normale und vor allem erfüllende Arbeit". Allerdings ist es eine Arbeit, die extrem an die Substanz geht, "und die zur Folge hat, daß ich ständig an den Tod denke".

Doch die Diplom-Sozialpädagogin mag "das große Spektrum von intensiven Begegnungen" im Hospiz. Auch wenn das bedeutet, daß sie sich bei manchmal bis zu 30 neuen Gästen pro Monat auf unglaublich viele verschiedene Menschen einstellen muß.

Von ihren Mitarbeitern verlangt sie, daß sie offen sind, zuhören können, viel Lebensfreude haben, krisenfest sind und gut auf sich achten. "Pfleger mit Helfer-Syndrom halten diese Arbeit nicht durch, die brennen aus", sagt die 40jährige, die sich am liebsten bei einem Ritt durch den Wald erholt.