Bühne frei für die neue deutsche Kabarett-Generation. Gesellschaftskritik ist für sie nur noch Nebeneffekt, gefragt sind grotesk-komische Alltagsgeschichten. Wir stellen einige profilierte Newcomer vor, die im März zum Zehnjährigen von Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg auftreten.

Der äußere Eindruck - in unserer hektischen, oft oberflächlichen Zeit wird er immer wichtiger. Gut, dass er manches Mal trügen kann. Sonst hätten sich die Besucher im Winterhuder goldbekHaus, für die noch zusätzliche Holzbänke herbeigeschafft werden mussten, nicht derart über den jungen Mann vom Typ "Bankangestellter" amüsiert, dass sie vor lauter Lachen sogar den Beifall unterdrückten.

Kai Magnus Sting sieht mit seinem Stoppelschnitt, dem blässlichen Teint und der leicht mopsigen Figur in seinem Anzug wahrlich nicht aus wie ein agiler Mittzwanziger. Aber sobald er den Mund aufmacht, hat er schon gewonnen. So lief das, als er Top-Gast der "Catbird Comedy Show" war; als er den Publikumspreis beim "Jugend kulturell"-Finale in den Kammerspielen gewann; und in Alma Hoppes Lustspielhaus, in dem Sting im Vorjahr mit dem Soloprogramm "Das Feinste vom Leben" begeisterte.

Darin erzählt der Duisburger im rasanten Wortschwall Absurditäten aus dem Alltag; etwa, wenn seine Freundin als "meine ständige Begleiterin" auftaucht, wenn die Brötchenverkäuferin ihm was eintütet ("Hier haben Sie noch eins mehr, weil Sie so klein sind") oder wenn er im Fitnessstudio einem Muskelprotz begegnet. "Sacht der zu mir: ,Ich kann 150 Kilo stemmen.' Sach ich: ,Aber ich kann lesen . . .'"

Sting ist die Humorspitze einer neuen deutschen Kabarett-Generation. "Um den Mann kommt man in den nächsten zehn Jahren nicht herum", meint Nils Loenicker (44), der als Intendant des Lustspielhauses im März zehntes und mit seinem Partner Jan- Peter Petersen (45) zugleich 20. Bühnenjubiläum als Kabarett-Duo Alma Hoppe feiert. "Damals hat man beim Kabarett viel mehr an Dogmen festgehalten als heute", sagt der Hamburger.

Mit Aufklärung hat die junge Garde kaum noch etwas im Sinn, die Gesellschaftskritik mit Lachanspruch ist für sie nur Nebeneffekt. Weniger diese Eigenschaft, sondern das Stibitzen von Pointen bei Kollegen wie Horst Schroth ("Herrenabend"), Volker Pispers und Harald Schmidt brachte Sting - sein Nachname ist echt! - schon ein paar Rüffel ein. Heute stützt er sich auch auf ein Autorenteam.

Denn im "Hauptberuf" studiert Sting nicht etwa das Leben, sondern dienstags bis donnerstags an der Uni Bochum Literaturwissenschaft, Linguistik, Dogmatik - und Fundamentaltheologie !

Einen ähnlichen Rhythmus hat der gebürtige Hamburger Bodo Wartke, der sich bis zur Wochenmitte in Berlin seinem Musikstudium widmet und von Donnerstag bis Sonntag bei Auftritten sein "Klavierkabarett in Reimkultur" pflegt. Ebenso wie Sting hatte Wartke schon als Teenager seine ersten Auftritte, etwa in der Hamburger SchlapplacHHalde. Heute spielt er virtuos mit seinem Publikum, mit seinem Instrument und mit der Sprache, indem er grotesk-komische Alltagsgeschichten zum Vortrage bringt. "Das, was um mich herum passiert, liefert die besten Ideen", sagt er. "Meistens denke ich nicht lange über Texte nach." Genie ohne Wahnsinn. Beispiele? "Schön, dass es in dieser schnelllebigen Zeit noch so etwas wie die Deutsche Bahn gibt." Oder: "Ich gehe ins Bauhaus und such 'ne Axt für meine Frau aus."

Überhaupt haben junge Klavierkabarettisten hierzulande Konjunktur: Auch der bübisch-blondmähnige Kölner Tom van Hasselt (26) wandelt auf den Spuren von Georg Kreisler ("Taubenvergiften im Park"), dem Wiener Altmeister des schwarzen Humors, wenn er das Lied des "Mädchens mit den drei blauen Augen" interpretiert oder von den "besoffenen Philosoffen" singt. Der Niedersachse Matthias Brodowy, geboren, "als Joschka Fischer seine kriminelle Karriere beendete und Kohl seine begann", zählt zur selben Gattung. Im Vorjahr trotz relativ reifen Alters von 30 mit dem "Jugend kulturell"-Förderpreis ausgezeichnet, löst er sich zeitweise auch von seinem Instrument und entwickelt - trotz einer gewissen Beliebigkeit - allein mit Worten politischen Biss.

Chansons und Couplets aber erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Mit dem Klavier, mit Musik allgemein lassen sich Texte eben leicht(er) verdaulich servieren. Dieses Metier beherrscht "Klaviator" Lars Reichow (40) aus Mainz perfekt und nennt seine Kunst daher auch "übersprochenes Klavierspiel". Der Kleinkunstpreisträger von 1997 arbeitete bis vor vier Jahren sogar noch halbtags als Musiklehrer.

Zur Spezies der Pädagogen - von jeher fixes Angriffsziel der Kabarettisten - hätte fast auch Andreas Rebers (45) gehört. Der Grund- und Hauptschullehrer zog einst im Weserbergland mit den Los Promillos umher, wurde dann jedoch musikalischer Leiter des Schauspiels Braunschweig, ehe er in den 90ern zur Münchner Lach- und Schießgesellschaft stieß. Der Spätentwickler, für den "Spiegel" ein "aufsteigender Stern der zeitkritischen Kleinkunst-Unterhaltung", hat Klavier, Akkordeon und Perkussion in sein Soloprogramm integriert und liefert feines Handwerk. Rebers selbst sieht sich mit seiner Liebe zu Marschmusik und Spülmaschinen in der "Brecht-Bohlen-Tradition".

Mag "Diedäää" für Kulturbanausen von Marne bis Mallorca sogar Kultstatus haben - in Bayern hat ihn Erwin Pelzig längst. Der bekennende Störenfried mit "Cord-Hütli" und Herren-"Täscheli" springt zwischen der Enge der Schankwirtschaft und der globalisierten Welt herum, wettert gegen Konzernvorstände wie gegen Umweltschützer. Und weil das an bissiger Satire noch nicht reicht, verkörpert sein Alter Ego Frank-Markus Barwasser zudem noch den Stammtischphilosophen Hartmut und den manierierten Dr. Göbel. Den Norden muss die nörgelnde Dreifaltigkeit erst jedoch noch erobern.

Sein Landsmann Jess Jochimsen (33) fand unlängst im Lustspielhaus eine eigene Form: "Flaschendrehen und andere miese Bräuche" heißt sein Programm mit dem Musiker Sascha Bendiks - eine Mischung aus Kabarett, Stand-up-Comedy, Lesung eigener Texte, Dia-Show und Rock 'n' Roll. Zeitgemäßes Kabarett sozusagen. Tabus kennt er nicht, Biss ist selten. Aber dem Publikum - deutlich jünger als bei vielen anderen Kabarett-Veranstaltungen - gefiels. Und gekleidet wie Sting war auch keiner . . .

KABARETT-FEST

28. 2. bis 28. 3., jew. 20 Uhr, in Alma Hoppes Lustspielhaus (Ludolfstr. 53, Karten-Tel. 48 66 55, Internet: www.almahoppe.de); Gäste (u. a.): Henning Venske/Alma Hoppe (28./29. 2.), Hamburg-Premieren von Andreas Rebers (4. 3.), Kai Magnus Sting (6. 3.), Thomas Reis (8. 3.), Konrad Beikircher (10. 3.), Die Distel (11. 3.), Erwin Grosche (16. 3.), Heinrich Pachl (19. 3.) sowie Gastspiel Herr Pelzig (17. 3.).