Auf den Krippenbildern gehört er noch zur Heiligen Familie: Josef, der Mann von Maria. Aber dann allmählich verschwindet er aus dem Leben des Jesus. Warum? Eine ungewöhnliche und ungeklärte Vater-Sohn-Beziehung.

Ein wenig sorgenzerfurcht sieht er meistens aus. Nachdenklich und blass. Außerdem deutlich älter als seine Frau und insgesamt nicht gerade ein Bild männlicher Kraft und Schönheit. Wenn er nicht sogar ganz ausgespart wird auf den zahllosen Gemälden, die die Heilige Familie darstellen. Nein, Josef hat es nicht leicht. Meist im Hintergrund, oft gar völlig ignoriert, insgesamt eher ein künstlerisches Beiwerk.

Die Bibel marginalisiert ihn sowieso. Der Mann, der nicht ganz freiwillig Vater des berühmtesten Kindes der westlichen Zivilisation wurde, wird gerade dreimal in der Heiligen Schrift erwähnt.

Vater? Da fangen seine Probleme schon an. Denn im leiblichen Sinne ist er es ja nicht. Jesus ist Gottes Sohn, wie wir im Neuen Testament erfahren, entstanden durch einen biologisch wundersamen, nichtkörperlichen Vorgang (der später "Unbefleckte Empfängnis" genannt wurde); angekündigt immerhin durch einen leibhaftigen Engel, geboren von einer jungen Frau (aus der später die "Jungfrau" Maria wurde).

Und Josef? Wenigstens über seine edle Herkunft erfahren wir etwas: Ein lückenloser Stammbaum verbindet ihn mit David, dem König der Juden, und geht sogar zurück bis zu Abraham, dem Gründervater des Geschlechtes, wie der Evangelist Matthäus auflistet. Musste man von Josef, bei dieser exklusiven Abstammung, nicht ganz selbstverständlich einen Stammhalter erwarten?

Aber statt des Stammhalters kommt ein Bruch. "Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von welcher geboren ist Jesus", heißt es bei Matthäus (1,20) dürftig über das Ende der makellosen Erbenlinie.

Nach dem äußeren Eindruck war Jesus also ein Kuckuckskind, wenn auch ein ganz besonderes. Eines, das mit seiner Güte, seinem Glauben und seinen Gaben die Welt verändern sollte. Was sagte der Dichter Jean Paul über Eltern? "Die Mütter geben unserem Geiste Wärme und die Väter Licht."

Im Fall von Jesus gab der (himmlische Vater) nicht nur im übertragenen Sinne Licht, er war sogar derjenige, der am Anfang der Zeiten gesagt hatte: "Und es werde Licht!" Einem wie Josef blieb da gerade mal die Rolle des geduldigen Adoptivvaters. Josef wusste von dem angekündigten Kind frühzeitig, dass es nicht sein leibliches war. Vielleicht war er darüber nicht begeistert. Vielleicht empfand er aber auch gerade deshalb eine Verpflichtung, diesem Kind ein guter Vater zu sein - "soziale" Väter, die sich liebevoll um die mitgebrachten Kinder ihrer Partnerin kümmern, gab es damals ja auch schon. Aber über Josefs Gedanken und Motive lesen wir in der Bibel nichts.

Es ist eine bizarre Situation, die den Menschen vor 2000 Jahren genauso erklärungsbedürftig erschienen sein dürfte wie uns heute. Wie mag Maria, nachdem ihr der Engel mit der wundersamen Botschaft erschienen war, ihrem Verlobten Josef die bevorstehende Geburt ihres Sohnes Jesus eröffnet haben?

Etwa so? "Hör mal, Liebling. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute: Ich bin schwanger. Die schlechte: Du bist nicht der Vater." Doch anzunehmen, dass Josef am Boden vernichtet gewesen wäre ob dieser Eröffnung - das würde den stark religiösen Überbau dieser Weihnachtsgeschichte völlig außer Acht lassen.

Denn Josef, obwohl schlichter Zimmermann, war Bestandteil der Heiligen Familie und damit den weltlichen, profanen Gesetzen seiner Zeit und seiner Kultur entzogen. Auf Grund dieser weltlichen Gesetze hätte seiner Frau vielleicht die Steinigung wegen ehelicher Untreue gedroht. Zumindest hätte ein Verdacht auf ihr gelegen. Aber die Bibel berichtet davon nichts, als sei es für die Geschichte nicht von Belang.

Josef jedenfalls stand zu ihr. Er kümmerte sich um Maria und ihr Kind, gab sich offiziell als der Vater aus und rettete Jesus mit der Flucht vor dem mordenden Herodes sogar das Leben. "Erst als ich Vater wurde, habe ich Gott verstanden", wird Honore de Balzac zitiert. Vielleicht hat ja auch Josef Gott erst verstanden, als er unfreiwillig Ziehvater wurde. Jedenfalls füllte er seine schwierige Rolle sehr umsichtig und fürsorglich aus.

So sieht das auch Detlev Gause, Jugendbildungsreferent und Studienleiter an der Evangelischen Akademie Nordelbien. "Josef hat viel auf sich genommen, er lebt eine würdige Rolle", meint der Pastor. "Manche sagen vielleicht: Ihm war im Traum ein Engel erschienen; er wusste, worum es geht, und hat sich gefügt. Ich betrachte das auch historisch-kritisch. Es ist natürlich nicht belegt, aber ich stelle mir Josef als einen sehr großmütigen und gelassenen Mann vor, der in sich ruht. Er steht für Weitblick, Rücksicht und Fürsorge." Damit sieht Gause in Josef eine Art Vorläufer des so genannten "neuen Mannes". Einer, der mehr sein will als nur Ernährer, der "eine ganz weiche Seite hat. Einer, der liebevoll und zuwendungsfähig" sein kann.

Der alte Josef - eine Ikone der modernen Männlichkeit? Da möchte man doch gleich mehr über ihn wissen. Aber außer seinem Namen erfahren wir in der Heiligen Schrift gerade mal seinen Beruf: Zimmermann eben. Trotz seiner bedeutenden Ahnen kein reicher Mann - das war wichtig für die ersten Christen. Es sollte zeigen, dass Jesus, Gottes Sohn, von Anfang an auf der Seite der einfachen Leute und der Bedürftigen stand, dass er genau so wie sie fern von Luxus und Sorglosigkeit aufwuchs und lebte.

Josef übte also ein ehrbares Handwerk aus. Zuerst scheint Jesus beruflich in seine Fußstapfen getreten zu sein. Vielleicht, weil das so üblich war für den Erstgeborenen einer Familie (und Jesus hatte ja, nach der neueren Bibelforschung, noch mehrere jüngere Brüder und Schwestern). Oder vielleicht einfach aus Liebe zu seinem Ziehvater. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass ein enges Band entstanden ist in den Jahren der Lehre.

Doch muss auch Josef früh gemerkt haben, dass die Schreinerei nicht die eigentliche Bestimmung dieses Jungen war. Nach einer Pilgerreise zum Passahfest nach Jerusalem bleibt der zwölfjährige Jesus unbemerkt in der Stadt; Maria und Josef, schon auf dem Heimweg, kehren um und finden ihn drei Tage später im Tempel der Stadt, "mitten unter den Lehrern sitzend, auf sie hörend und sie befragend" (Lukas, 2,46 ff).

Maria und Josef waren fassungslos, und seine Mutter fragte Jesus: "Kind, warum hast du uns das getan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht!" Und Jesus sagt zu ihnen: "Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?" Er meint: Im Tempel ist sein Platz - ein Verweis auf seinen göttlichen Vater. Hat Josef diese Worte mit dem ihm eigenen unerschütterlichen Gleichmut angehört? Oder war er sauer auf den Ziehsohn? Nach dieser Schlüssel-Szene im Lukas-Evangelium steht über Josef in der Bibel kein Wort mehr - er verschwindet einfach.

Das ist für Pater Claudius Groß (59) absolut nachvollziehbar. Dem Franziskanermönch ist schon sein Lebensmittelpunkt eine besondere Verpflichtung, über Josef viel nachzudenken: Er ist nämlich Leiter des Exerzitienhauses St. Josef in Hofheim.

Pater Claudius nennt Josef zwar wegen seiner Bemühungen um Maria und das Kind "eine sehr anständige Persönlichkeit, verantwortungsbewusst und engagiert". Vermutlich, meint er, werde Josef auch deshalb auf Bildern stets deutlich älter als Maria dargestellt, "obwohl wir nichts über sein Alter erfahren und er vermutlich auch noch recht jung war". Doch wie es Josef weiter erging, wie er lebte und wann er starb, sei eben "überhaupt nicht wichtig für die Glaubensaussage".

Das Exerzitienhaus St. Josef, in dem sich Menschen "religiös einüben können", wie Pater Claudius erklärt, ist nur ein Beispiel dafür, dass Josef trotz seiner Nebenrolle als erster Platzhalter für den überirdischen Vater aber doch noch eine religiöse Aufwertung erhielt. Nicht auf den Stand Marias natürlich, die als Heilige verehrt und als vollkommenste aller Frauen dargestellt wird - ein glühender Anhänger der Marienfrömmigkeit ist zum Beispiel Papst Johannes Paul II.

Doch Josef wurde immerhin in einigen Staaten wie Mexiko oder Österreich Nationalheiliger. Und 1870 wurde er sogar zum offiziellen Schutzpatron der katholischen Kirche erklärt. Vielleicht ein wenig als Entschädigung dafür, dass sein überlebensgroßer Sohn im Augenblick seines qualvollen Todes ausrief: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!" Und damit war eben nicht Josef gemeint.