Bei Amsel, Drossel, Fink und Star heißt es zurzeit: Wer laut ist, gewinnt - einen Partner oder einen guten Nistplatz. Bei Führungen können Sie lernen, einzelne Vogelstimmen zu identifizieren. Unsere Reporterin hat auf dem Ohlsdorfer Friedhof mitgehört.

Typisch Mann. Wir haben den Wonnemonat Mai, und die Kerle haben nichts anderes im Sinn, als sich vor den Frauen zu produzieren. Je lauter, desto erfolgreicher, denken sie. Und jeder hofft dabei, sich bei den Damen Gehör und nach der ersten Kontaktaufnahme möglichst mehr zu verschaffen. Nun gut. Lassen wir ihnen ihren Spaß. Aber dass ausgerechnet die ganz Kleinen den größten Lärm verursachen, leuchtet nicht ein. Der gerade mal sechs Gramm leichte Zaunkönig zum Beispiel macht einen Mordsaufstand. Vier von seiner Sorte wiegen zusammen nur so viel wie ein normaler Brief. Was bildet der sich denn ein, dieser runde Winzling? Mit gestelztem Schwänzchen durchstöbert er das Gestrüpp wie eine flinke Maus, dabei schmettert er lautstark sein hartes "Zick-zick-zick" durch den saftgrünen Busch. Haste Töne. Sprachlos lauschen 32 Menschen andächtig dem Getöse des kleinen, selbstbewussten Vogelmannes. Wer eine Blaumeise nicht von einem Eichelhäher unterscheiden konnte - für den ist der unterhaltsame Spaziergang mit einem Ornithologen (Vogelkundler) vom Naturschutzbund Hamburg (NABU) ein echtes Erlebnis. Jedes Jahr im April und Mai bieten die Naturschützer ehrenamtlich in allen größeren Parkanlagen Hamburgs diese vogelkundliche Führung unter dem Titel "Was singt denn da?" an, und das schon seit 54 Jahren. An diesem Spätnachmittag führt Stephan Zirpel (36), der Landesgeschäftsführer des NABU, höchstpersönlich unsere bunt zusammengewürfelte Gruppe über den westlichen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs. Zwei Stunden dauert der mobile Vortrag am Rande von Büschen, Bäumen und gepflegten Gräbern. Man schlendert, bleibt stehen, guckt und lauscht und erfährt dabei viel über den Lebensraum der Vögel. Zirpel kann sogar einige der Vogelstimmen imitieren. Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Ornithologe bei einem der Rundgänge von einem wütenden Vogelmann attackiert wurde, der sich in seinem Revier belästigt fühlte. Wir Vogelstimmen-Schüler, viele mit Feldstechern bewaffnet, trotten brav hinter dem passionierten Vogelliebhaber her. Er macht uns Mut: "Wenn Sie mehrere Führungen mitmachen und auch mal allein losziehen, können Sie nach einem Sommer schon mindestens fünf Vogelarten am Gesang unterscheiden." Am erfolgreichsten gelingt es frühmorgens, sagt Zirpel, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. "Da haben die Vögel in diesen Wochen ihre Hauptgesangszeit. Das ist ein echtes Erlebnis", schwärmt der Diplom-Biologe. Prima, denkt man und freut sich insgeheim, dass die Vögel auch jetzt am frühen Abend so lärmen. Aber ganz ehrlich: Es macht Spaß, am Rande des hektischen Stadtlebens mitten in der prachtvollen Frühlingsnatur dem Vogelgezwitscher zuzuhören. Und gerade der Ohlsdorfer Friedhof bietet sich wunderbar als Oase an. Das ist fast so wie eine warme Seelendusche. Auch wenn man die Botschaften der flinken Tiere nicht versteht. Allerdings ist das meiste ohnehin eindeutig: Die Männchen wollen balzen und Weibchen betören. Wird auch langsam Zeit. Schließlich haben einige Vogelarten wie Amseln, Meisen, Spechte und Eulen schon Nachwuchs. Spätzünder sind dagegen der Trauerschnäpper oder der Gartenrotschwanz, die gerade aus ihrem Winterquartier zurückgekehrt sind. Die müssen jetzt fix eine Braut finden. Einen kennen nach 20 Minuten alle Teilnehmer aus dem EffEff und sind darauf ganz stolz: den Zilpzalp. Das ist sozusagen der Vogel für Anfänger, denn er singt immerzu seinen eigenen Namen: "Zilp-zalp, zilp-zalp", schallt es aus den hellgrünen Baumwipfeln, leise murmeln es die Spaziergänger mit. Und immer, wenn einer ihn aus dem Vogelkonzert wieder mal heraushört, ruft er laut: "Ein Zilpzalp!" Warum konnte der Biologie-Unterricht an der Schule nicht so schön sein? Nach ein paar Schritten bleibt Zirpel wieder stehen und zeigt in die Höhe. 16 Köpfe kippen in die Nacken, Blicke folgen seinem ausgestreckten Arm, die Fernrohre werden gezückt. Zu sehen ist nichts. "Wo, wo?", rufen einige und schauen suchend in die Äste. Dann hören sie das laute Teckern: Die Mönchsgrasmücke schnarrt laut und rau ihr "Täck-täck-täck". Übrigens ein lustiger Vogel mit schwarzem Käppi, sieht aus wie ein Mönch mit Tonsur. Stephan Zirpel hat zum Glück ein Vogelbestimmungsbuch dabei, in dem alle Vögel farbig abgebildet sind. Da schauen alle gern mal rein. Hier und da leiert ein Fitis seine abfallende Tonfolge. Auf einem Ast hockt eine Ringeltaube mit weißem Halsring und gurrt leise vor sich hin. Flink wie ein Eichhörnchen klettert ein Kleiber den Baumstamm hoch. Besonderes Kennzeichen: Er klettert ohne Schwanzstütze und kann dank seiner vier Krallen sogar abwärts klettern. Sein lautes "Twiht-twiht- twiht" klingt metallisch. Der Kleiber ist ein ganz Gewitzter, sagt Zirpel. Der klebt mit Spucke und Lehm den Eingang zu seinem Nistloch so weit zu, dass nur noch er in die gemütliche Wohnkugel schlüpfen kann. Auch die Vogelweibchen geben Töne von sich, erfährt die Gruppe am nächsten Standort. Denn plötzlich hören wir Alarmrufe. Aufgeregt flattert eine Schwanzmeise von einem Ast zum anderen. Ihr passt es nicht, dass ein Eichelhäher sich so nah bei ihrem Nest auf einen Ast niedergehockt hat. Sie will in Ruhe brüten und späht misstrauisch zu dem wesentlich größeren Vogel hinüber. Der bleibt unbeeindruckt sitzen. Wieder macht die Schwanzmeise durch laute Rufe klar: "Zrrp- zrrrp, das hier ist mein Revier, hau ab!" Schließlich zieht der Größere gelangweilt ab. Der Gruppe gefällt das kurzweilige Schauspiel im Buchenwipfel. "Ja ja, die Männer singen. Die Weibchen meckern", sinniert eine ältere Dame und schaut kokett zum Biologen hin. Stephan Zirpel guckt überrascht: "Das haben Sie jetzt aber gesagt." Der Balzgesang der Männchen ist keinesfalls immer melodiös und sinnlich wie beispielsweise bei der Amsel, klärt der Ornithologe die Gruppe auf. Da flattert eine unauffällige Heckenbraunelle auf einen Busch. Der braune Vogel ist leicht mit einem Spatz zu verwechseln. Sein Gesang hört sich an wie quietschende Kinderwagenreifen. Aua. Wer lässt sich davon beeindrucken? Gedämpft und fast schon melancholisch klingt dagegen der leise "Dü"-Gesang des Dompfaffs (wie in dü-Moll). Die Männchen mit dem roten Bauch, will eine Teilnehmerin erfahren haben, müssten sich auch nicht mehr bemühen, die hätten nämlich bereits ein Weibchen gefunden. Wie, und davon wird der Bauch rot? So ganz glauben es nicht alle. Aber Hauptsache, wir können den Dompfaff ab jetzt künftig akustisch identifizieren. Dann nicken wir wissend und sagen bedeutungsvoll zu unseren Lieben: "Da, ein Dompfaff - ganz typisches Dü."