David Garrett ist ein virtuoser Geiger. Wie gut, ist in der Branche umstritten. Nur reden viele mehr über sein extravagantes Outfit, das er gerne mal wechselt, als über seine Musik. Dabei gilt: Verpackung ist Verpackung, der Inhalt zählt.

Es wäre so einfach, ihn einfach nur blöd zu finden, diesen jungen Musiker, der mit erstaunlicher Regelmäßigkeit große Hallen füllt und sowohl Teenager als auch ihre Mütter in Verzückung versetzt. Er verkauft eine Unmenge Platten mit Häppchen-Klassik und schnittigem Crossover-Pop, seine äußere Erscheinung wird von fachferneren Kolleginnen gern mit dem lustig und - haha! - anzüglich gemeinten Wortspiel "Klangkörper" beschrieben. Auf der Mittelscheitel-plus-Zopf-Frisur sitzen hin und wieder drollige Hütchen, wie man sie sonst nur am höchsten Punkt von Roger Cicero findet. Die "Brigitte", ein Zentralorgan deutscher Geschmacksfindung, zeigte ihn gerade in einer Modefotostrecke. Dort trug der 28-Jährige, umgeben von aparten Models, diverse Jeans und nicht immer viel mehr und legte sein Bauchnabel-Umgebungs-Tattoo frei.

So was kann er prima, denn der Geiger David Garrett hat sein Geld zeitweilig als Model in New York verdient. Doch würde man sich ohne vorheriges Nachdenken über Garretts unklassische Dresscodes aufregen, weil er sich geschickter als viele rein klassische Kollegen vermarktet, wäre man, zack, mittendrin in der Falle, gezimmert aus medialen Aufmerksamkeits-Spielregeln und Marketingstrategien.

Die Sache ist nämlich komplizierter, und dabei eigentlich doch ganz einfach: Tolle Klassik-Interpreten sehen, wie der Rest der Menschheit, längst nicht immer toll aus. Andererseits können selbst grottenschlechte Musiker attraktiver sein oder wenigstens scheinen als der Durchschnitt. Beispiele dafür findet man seit Jahrhunderten zuhauf, genügend, um etliche Orchester, Konzertbühnen und Opernhäuser damit zu füllen. Früher oder später kommt's dann doch raus, wer in welcher Kategorie unterwegs ist. Wer bloß eine Mogelpackung mit rasant ablaufendem Verfallsdatum ist und wer ein bleibender Wert.

Garretts Geigen-Kollegin Vanessa-Mae, um gleich mit dem berüchtigtsten Beispiel anzufangen, hat es letztlich überhaupt nichts genützt, sich 1995 zu Werbezwecken im angefeuchteten Kleidchen ablichten zu lassen. Die Fotos in vielen Zeitungen wurden dadurch zwar größer, die Musik nur leider keinen Deut weniger entbehrlich. Die Geigerin Linda Lampenius - ihr hübscher Spitzname: "Brahms Bombshell", also "Brahms-Granate" - wurde vor allem dadurch bekannt, dass sie für klassisch weniger Vorgebildete ein 1a-Pamela-Anderson-Double abgab und deswegen vom "Playboy" gebucht wurde. Ihre musikalischen Leistungen ragten weniger heraus, die Finnin ward schon lange nicht mehr gesehen oder gehört.

Dass instrumentales Können nicht vor textilen Geschmacksverirrungen schützt, beweist der Cellist Mischa Maisky besonders anschaulich. Der trägt bei Konzerten zu seiner Rudi-Völler-Gedächtnisfrisur Miyake-Hemden, die wie bösartig genmutierte Ziergardinen wirken. Nicht zum Hinsehen, diese Fummel, doch die Säle sind trotzdem voll. Augen zu und durch! Die Callas war lange Jahre alles andere als eine klassische Schönheit - aber: was für eine Diva! Ein genaues Gegenteil davon wäre beispielsweise der Strubbelgeiger Nigel Kennedy, dessen Bühnenkleidung und oft auch Frisur schon mal einem ungemachten Bett ähneln kann. Doch wenn er einen guten Abend hat, ist und bleibt er ein eigenwilliger Großer.

Noch radikaler im Umgang mit dem eigenen öffentlichen Bild war der Pianist Svjatoslav Richter, der in seinen späten Jahren nur noch im Dreivierteldunkel spielte, um sich zu konzentrieren und durch nichts vom Hauptdarsteller, der Musik, abzulenken. Nur eine kleine Leselampe neben den Noten funzelte noch etwas Restlicht, frei nach der Devise "Man hört nur mit den Ohren gut, das Optische bleibt fürs Verständnis unsichtbar". Im Dämmerlicht wurde von ihm Unvergessliches aus den Tasten gezaubert. Was er trug, war mehr als egal. Und interessant wäre gewesen, wie er wohl reagiert hätte, wenn ihm jemand Bühnengarderobe vorgeschlagen hätte.

Wer einmal seinen Stil gefunden hat, soll ihm ja eigentlich treu bleiben, heißt es. Garrett jedoch ist nicht als der niedliche Saitenrocker, der er jetzt ist, vom Himmel gefallen. Als Teenager war Klein-David aus Aachen nämlich eines von unzähligen auf manierlich getrimmten Wunderkindern, wie sie alle Jahre wieder ins Rampenlicht gestellt werden. Ganz so, als ob es nur darum ginge, herauszubekommen, wie viele von ihnen vorschnell darin verglühen. Sein Konzert-Debüt absolvierte Garrett übrigens 1991 mit zehn, begleitet von den Hamburger Philharmonikern unter Gerd Albrecht. Damals hieß es im Abendblatt über Garrett: "Er scheint der geborene Geiger zu sein."

Danach hatte er unter anderem den Dirigenten Claudio Abbado als Mentor und sauste von Bühne zu Bühne. 1995, mit 14, spielte er zwei Mozart-Violinkonzerte mit Abbado für das Prestige-Label Deutsche Grammophon ein und wurde bei einem kleinen Schau-Spiel im Spiegelsaal des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe vor handverlesenem Publikum angekündigt, als sei er das Beste unmittelbar nach der Erfindung geschnittenen Brots. War er aber nicht. Er war, wenn die blasse Erinnerung nicht trügt, nur ziemlich gut, und das reichte damals nicht.

Als sich der gewünschte Senkrechtstart in die Top-Liga nicht einstellen wollte, als der überforderte Körper sich mit einem Bandscheibenvorfall wehrte, verschwand der Musterknabe für mehrere Jahre in der Versenkung. Er ging nach New York. Studierte an der Juilliard School, unter anderem bei Itzhak Perlman. Kehrte, wie Phönix aus der Erstkarrieren-Asche, als zielgruppengerecht durchgestylter Crossover-Markenartikel wieder zurück ins Rampenlicht. Wurde 2008 unter anderem dafür bejubelt, dass laut Guinness-Buch der Rekorde niemand schneller den "Hummelflug" spielen könnte. Von "besser" war nicht die Rede, und auch nicht davon, dass das ein entscheidendes Qualitätsmerkmal wäre. 13 Noten pro Sekunde müssen ja längst nicht hörenswerte Musik sein.

Es ist trotzdem egal, was Garrett bei Konzerten, bei Autohaus-Einweihungen, Boutique-Eröffnungen mit Beistell-Blondine oder sonstwo vor klickenden oder laufenden Kameras trägt. Der Mann soll gut spielen, soll umhauen und insbesondere jenes Publikum durch Qualität für klassische Musik begeistern, das vorher damit nichts am Hut hatte. Er soll sie neugierig machen auf die riesigen, überwältigenden Welten hinter den Fünf-Minuten-Portionen. Was schon schwer genug ist. Das ginge, wenn es Garrett gelingt, auch im ungebügelten Secondhand-Kartoffelsack. Im Designer-Zwirn sähe es im Idealfall besser aus, klänge aber schlimmstenfalls genauso elend. Verpackung ist eben nur Verpackung. Der Inhalt muss stimmen, dann klappt's nicht nur mit dem Publikum, sondern auch mit jenen Kritikern, die nach wie vor mit den Ohren hören und nicht nur noch mit den Augen urteilen. Bei Heidi Klums Drillsergeant Bruce Darnell hieß es dazu: "Drama, Baby, Drama!"

Am 22. Mai spielt David Garrett Kammermusik von Beethoven, Grieg und Sarasate im Großen Saal der Laeiszhalle. Das Konzert ist ausverkauft.