Washington. Eltern eines Amokläufers müssen für zehn Jahre ins Gefängnis, weil sie die Tat nicht verhindert haben. Ein Urteil mit Signalwirkung.

Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt im Bestreben der amerikanischen Justiz, tödliche Schusswaffen nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gelangen zu lassen. James (47) und Jennifer Crumbley (47) sind die ersten Eltern, die für die Bluttat ihres Kindes für mindestens zehn Jahre wegen fahrlässiger Tötung hinter Gitter müssen.

Sohn Ethan hatte im Herbst 2021 an einer High School in der Kleinstadt Oxford nördlich von Detroit im US-Bundesstaat Michigan mit einer Pistole der Marke Sig Sauer vier Mitschüler im Alter zwischen 14 und 17 Jahren getötet und weitere sechs sowie einen Lehrer teils schwer verletzt. Der damals 15-Jährige bekannte sich in seinem Prozess uneingeschränkt schuldig und sitzt seither eine lebenslange Haftstrafe ohne Chance auf Bewährung ab.

Amoklauf: Staatsanwältin sah „grobe Fahrlässigkeit“ der Eltern

Die Staatsanwaltschaft warf den Eltern vor, sie hätten das Schulmassaker verhindern können, wenn sie die psychischen Auffälligkeiten ihres Sohnes ernster genommen und die bei dem Amoklauf benutzte Schusswaffe besser gesichert hätten. Dass die Pistole aus einer nicht verschlossenen Schublade im Haus der Eltern entwendet werden konnte, war für Staatsanwältin Karen McDonald der Beweis für „grobe Fahrlässigkeit”. Mit der Anklage der Eltern, so die Juristin, sollten die Menschen in die Pflicht genommen werden, die zu der Schul-Tragödie beigetragen haben.

Bis dato waren elterliche Waffenbesitzer von den amerikanischen Justiz-Behörden meist nicht verfolgt worden, wenn ihre Zöglinge mit den Schießeisen Unheil angerichtet hatten. Jennifer und James Crumbley waren in getrennten Prozessen im ersten Quartal dieses Jahres schuldig gesprochen worden. Beiden taten sich in den hochemotionalen Verhandlungen schwer, eine Mitschuld einzugestehen.

Die Waffe als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk vom Vater

So stritt etwa James Crumbley ab, von den psychischen Problemen von Ethan gewusst zu haben. Dass ihr Sohn einen Amoklauf plante, sei komplett an ihnen vorbeigegangen, sagte er. Dabei waren Vater und Mutter Crumbley noch am Tag des Massakers wegen einer auffälligen Zeichnung mit Gewaltfantasien ihres Sohnes von der Schulleitung einbestellt worden. Auf dem Bild waren eine Waffe und eine Kugel zu sehen – sowie Sätze wie „Die Gedanken hören nicht auf. Helft mir” zu lesen.

Die Crumbleys nahmen davon nur bedingt Notiz, ließen sich mit Kontakt-Telefonnummern von psychosozialen Diensten eindecken und gingen im Anschluss wieder ihrer Arbeit nach. Wenige Stunden später verübte Ethan Crumbley das Blutbad. Die Waffe hatte sein Vater vier Tage zuvor als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für ihn gekauft.

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USA: Urteil wird Signalwirkung zugeschrieben

Bei der Strafmaß-Verkündung am Dienstag beteuerten beide Angeklagten ihre Betroffenheit über die Tat ihres Sohnes und drückten den Eltern der erschossenen Mitschüler ihr Mitgefühl aus. Richtern Cheryl Matthews erklärte, die Urteile gingen auf schwere Unterlassungen zurück. Durch aktives Eingreifen hätte der „heranrasende Zug aufgehalten werden können”.

Dem Urteil wird Signalwirkung zugeschrieben, weil nach Ermittlungen von US-Medien vier von fünf Gewehren, Pistolen oder Revolvern, die Minderjährige bei den rund 100 „school shootings” in den Jahren 2000 bis 2019 abfeuerten, aus dem Haus von Eltern oder Verwandten stammten. Nur in einer Handvoll der Fälle wurden die Erwachsenen strafrechtlich verfolgt.