Berlin. Läuse waren gestern. Jetzt kommt frisch aus Paris der Gruselparasit Nr. 1. Das ist ja wie im Roman, meint dazu unsere Kolumnistin.

Da steht eine arme irische Familie in Nachthemden. Es regnet. Vater, Mutter, mehrere Kinder. Sie schlagen allesamt auf eine fleckige Matratze ein, weil sie voller Bettwanzen ist. Später schleppen sie die Matratze wieder in ihr Zimmer mit dem Schwamm an der Wand. Die Wanzen sind immer noch da, nun ist obendrein alles durchnässt. Die Szene stammt aus dem Roman „Die Asche meiner Mutter“ von Frank McCourt. Er spielt in den 1930-er Jahren irgendwo in New York oder im irischen Limerick, genau weiß ich es nicht mehr. Wenn ich mich recht erinnere, erkälten sich alle, ein oder mehrere Kinder der Großfamilie sterben.

Das Buch erschien in den 1990-er Jahren. Es erzählt die Geschichte einer Familie, die zwischen New York und dem irischen Limerick von einem Elend ins nächste pendelt und wieder zurück. Die Bettwanzen-Szene ist irgendwie in meinem Gedächtnis haften geblieben. Wanzen, war ich mir damals sicher, gehören zu Elend, Armut, Not und Krieg, aber nicht zu meiner Lebenswirklichkeit. Wanzen hatten Gruselfaktor, waren aber vollkommen irreal.

Und nun kann man nicht mehr in Paris U-Bahn fahren, ohne Gefahr zu laufen, Bettwanzen in die Wohnung zu schleppen. Nicht mehr ins Kino, ins Restaurant gehen. Schon gar nicht in Hotels. Im Prinzip ist ganz Frankreich verseucht. Betroffene berichten vom Kampf gegen die Wanzen mit der Säge. Sie reißen Teppiche raus. Und doch --- sie werden die Parasiten nicht los.

Gegen Wanzen soll Hitze helfen. Aber wer hält schon 50 Grad aus?

Dabei können sie Hitze nicht vertragen, lese ich im Internet. Man solle die Wohnung auf 50 Grad heizen; zumindest ein paar Tage lang. Oder Bettzeug, Sofabezüge und so weiter ins Tiefkühlfach legen. Ich glaube, wir würden die Wohnung gar nicht auf 50 Grad bekommen. Und wenn, dann würden wir es zu Hause nicht aushalten, womöglich ins Hotel umziehen – und uns dann erneut Wanzen einfangen. Und in unser Tiefkühlfach passt gerade mal eine Lasagne-Form. Wäre also besser, wir bekommen die Wanzen nicht.

FUNKE-Autorin Birgitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne „Frauengold“ über Frauen, Familie und Gesellschaft.
FUNKE-Autorin Birgitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne „Frauengold“ über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wobei – es ist wohl nur eine Frage der Zeit, sage ich beim Familientreffen. Das wird uns alle heimsuchen wie Corona, früher oder später. Lockdown haben wir uns ja auch nicht vorstellen können – und uns dann doch irgendwie arrangiert. Klar ernte ich ein riesiges Geschrei. Nie wieder vermiete ich meine Wohnung über Airbnb, ruft der Sohn. Nie wieder kaufe ich Vintage, sagt die ältere Tochter. Nie fahre ich nach Paris, erklärt die jüngere, die übrigens erst in diesem Sommer mit dem Rucksack an der Ostküste Australiens unterwegs war. Von einer Massenunterkunft in die nächste. Dabei war bekannt, dass gerade die Backpacker in Australien Wanzen in Hostels und auf Campingplätzen verbreiten.

Läuse? Krätze? War alles jahrzehntelang weg und ist längst wieder da

„Stell dir mal vor, du hättest uns hier was eingeschleppt“, sage ich und ernte einen betroffenen Blick. Ich erinnere sie daran, als ich ihr einst auf dem Balkon Nissen ausgekämmt hatte. Wir waren frisch nach Berlin gezogen. Läuse gab es bis dahin in meiner Familienwirklichkeit nicht. Ich selbst hatte sie als Kind nie, meine Geschwister auch nicht. Es gab keine Läuse in den 1970-er Jahren. Und auch nicht in den 1980-ern, so meine Wahrnehmung (mag sein, dass ich mich irre). Und Krätze erst recht nicht. Ist jetzt alles wieder da.

Hintergrund: Frankreich setzt Spürhunde gegen Bettwanzen-Plage ein

Ihr in Berlin könnt euch ja mit dem ganzen Zeug rumschlagen, meint nun die Teenie-Tochter, die dabei ist, in eine kleine idyllische Studentenstadt zu ziehen. Vierer-WG mit Katze. Das Bett übernimmt sie vom Vormieter ihres Zimmers. Weil ich wütend bin über ihre Arroganz, sage ich: Hast du den Lattenrost kontrolliert? Ich zeige Fotos aus dem Internet herum: Die Wanze in Großaufnahme, Kotreste auf Bilderrahmen, Wanzenbefall am Bettgestell. Schon lange haben wir uns alle zusammen nicht mehr so schön gegruselt.

An dieser Stelle muss ich mal zugegeben: Wir sind eine laute Familie. Wir schreien alle durcheinander. Am Ende sind wir uns in unserem wohligen Ekel einig: Nie, nie, nie darf sich die Bettwanze bei uns einnisten. Wobei: Vielleicht ist das ja die nächste Herausforderung. Die Wanze wird lästig sein. Uns beschäftigen. Wir werden Ratgeber auswendig lernen und doch betroffen sein. Letztlich werden wir uns wehren. Und dann ist es irgendwann auch vorbei. Sagen wir mal so: Ich jedenfalls bin gewappnet.

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