Sowohl in Nettetal als auch in Obersontheim brachen Schlittschuhläufer ins Eis ein. Kältehoch “Dieter“ liefert weiter Tiefsttemperaturen. Deutschland bibbert.

Offenbach/Hamburg. Europa bleibt ein Eisschrank - und auch Deutschland hat die bislang kälteste Nacht dieses Winters erlebt: In Oberstdorf im Oberallgäu fiel die Temperatur in der Nacht zu Sonnabend auf minus 27,3 Grad, wie der Deutsche Wetterdienst am Sonnabend in Offenbach mitteilte. Damit verlagerte sich das nächtliche Kältezentrum von den östlichen Mittelgebirgen in das Alpenvorland.

Im Unterschied zu den vergangenen Nächten wurden im Erzgebirge und im Thüringer Wald nur noch vereinzelt Werte unter minus 20 Grad erreicht. Vielerorts lagen die Temperaturen im Osten Deutschlands zwischen minus 16 und minus 19 Grad.

In Teilen Thüringens und Sachsens waren von Donnerstag auf Freitag noch Temperaturen von minus 22 Grad gemessen worden. Im sächsischen Deutschneudorf rutschte das Quecksilber sogar auf minus 26,4 Grad. Damit ist Deutschland kälter als ein Gefrierschrank, der im Schnitt minus 18 Grad hat. Der Deutschland-Rekord wurde am 21. Dezember 2001 mit minus 45,8 Grad am bayerischen Funtensee aufgestellt.

+++ Im Hamburger Hafen herrscht weiter Eiszeit +++

Auch Berlin hat die bislang kälteste Nacht des Jahres erlebt: Minus 19 Grad wurden von Freitag auf Sonnabend im Gebiet Kaniswall im Stadtteil Müggelheim am südöstlichen Rand der Stadt gemessen. In Tegel waren es zum Beispiel minus 17 Grad, wie eine Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes in Potsdam sagte. Sie erwartet auch in den beiden kommenden Nächten strengen Frost bei Temperaturen bis minus 20 Grad. "Danach kann es eine vorsichtige Frostabschwächung geben, es gibt aber weiter Dauerfrost“, meinte sie. Von Mitte der kommenden Woche an sei auch mit neuem Schnee zu rechnen. In Brandenburg wurden in der vergangenen Nacht bereits minus 20 Grad erreicht.

Zwei Schlittschuhläufer verunglückt

Ausflüge aufs Eis haben zwei Männer mit ihrem Leben bezahlt. In Nettetal in Nordrhein-Westfalen konnten Taucher einen vermissten 43-jährigen Schlittschuhläufer auch am Sonnabend nicht finden, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Suchaktion am Krickenbecker See musste abgebrochen werden, da die Sauerstoffausrüstung einzufrieren drohte. Der Familienvater war am Freitag trotz Warnungen auf die brüchige Eisfläche gestiegen und dabei eingebrochen. Die Rettungskräfte entdeckten die Mütze des Niederländers im eisigen Wasser.

Auch in Obersontheim (Kreis Schwäbisch Hall) ist ein 58 Jahre alter Schlittschuhläufer durch die Eisschicht auf einem See gebrochen und ums Leben gekommen. Rettungstaucher fanden die Leiche am Sonnabend, wie die Polizei mitteilte.

Der Unfall war demnach bereits am Freitag passiert. Eine Spaziergängerin informierte die Polizei, weil sie am Ufer des Steinbruchsees das Auto des 58-Jährigen, Straßenschuhe und eine Tasche entdeckt hatte - vom Mann fehlte jedoch jede Spur.

Einsatzkräfte der Feuerwehr, des Roten Kreuzes, Rettungstaucher und ein Polizeihubschrauber konnten den Vermissten am Abend nicht finden. Nach einigen Stunden musste die Suche abgebrochen werden. Erst während einer zweiten Suchaktion am Samstag bargen die Helfer die Wasserleiche aus drei bis vier Metern Tiefe.

+++ Info: So schützt man sich vor Kälte +++

Die klirrende Kälte setzt unterdessen auch den Gullideckeln zu. Das Polizeipräsidium Rostock warnte am Sonnabend vor hochgefrorenen Gullideckeln. Besonders im Raum Boizenburg im Landkreis Ludwigslust-Parchim sei die Polizei zu mehreren Einsätzen gerufen worden. Auf der Brücke zwischen Vorderhagen und Bandekow sei ein Deckel richtig kaputtgefroren, die meisten konnten aber wieder eingesetzt werden.

Eine Wetteränderung ist derzeit nicht in Sicht - die Bundesbürger werden dank des Sibirienhhochs "Dieter" weiter bibbern. Es lenkt nach wie vor eiskalte Luft von Russland nach Deutschland. Aber mit minus 26 Grad sind wir noch "gut" dran.

Anderswo in Europa ist die Lage weit kritischer - bleiben Sie hier auf dem aktuellen Stand.

Italien: Das ungewöhnliche Winterwetter in Rom hat auch Auswirkungen auf den Terminplan des Papstes. Wegen des starken Schneefalls und der nichtgeräumten Straßen in der "Ewigen Stadt“ musste die für Sonnabend geplante Audienz von Benedikt XVI. für 7000 Teilnehmer des Jugendmissionswerkes Sermig abgesagt werden. Die Anreise war ihnen unmöglich, da es nach den Schneefällen vom Freitag auch in der Nach weiter Niederschlag gegeben hat und die weiße Pracht in der italienischen Hauptstadt liegengeblieben ist.

Die stärksten Schneefälle seit Jahrzehnten haben in Rom ein Verkehrschaos mit Tausenden auf glatten Straßen blockierten Autofahrern ausgelöst. Busse kamen nicht voran, Rettungsmannschaften konnten nicht rechtzeitig helfen, berichteten die Medien der italienischen Hauptstadt am Sonnabend. "Rom geschlossen wegen Schneefalls“, überschrieb "Il Messaggero“ das Verkehrschaos am Freitagnachmittag und -abend. Bürgermeisster Gianni Alemanno wies Kritik wegen mangelnder Vorbereitung zurück und sagte, so stark habe es zuletzt 1985 in Rom geschneit. Überall waren mindestens zehn Zentimeter Schnee gefallen. Am Sonnabend war Winterausrüstung für Autofahrer Pflicht. Unterdessen bauten Touristen und Kinder Schneemänner auf den römischen Plätzen. Tausende Menschen im Norden müssen ohne Strom auskommen.

Frankreich: 39 von 101 Départments wurden vom französischen Wetterdienst auf die Warnstufe "orange", die vierthöchste von sechs, gesetzt. Vor allem in Ostfrankreich, den Alpen, den Pyrenäen und im Zentralmassiv steigen die Temperaturen auch tagsüber auf nur minus sieben Grad in der Ebene und auf minus zwölf Grad in der Höhe. Die tiefsten Temperaturen sollen erst in der Nacht zu Sonntag erreicht werden mit deutlich unter minus zehn Grad.

Spanien: Sogar auf Mallorca liegt Schnee. Zum Wochenende sagen Meteorologen für die Berge minus zwölf Grad voraus. Es ist die schlimmste Kältewelle seit 1956. Da die meisten Kinder auf Mallorca noch nie Schnee gesehen haben, wollen viele Eltern ihnen die weiße Pracht zeigen.

Österreich: Selbst im wintererprobten Alpenland sprechen die Meteorologen inzwischen von einer seltenen Frostperiode. "Eine derartige lange und heftige Kältewelle ist in Österreich ungewöhnlich", teilte die Zentralanstalt für Meteorologie mit. Eine ähnlich heftige und lange Serie habe man zuletzt 1996 gehabt. Betroffen sind keineswegs nur die Alpenregionen. Im östlichen Flachland wurden im Ort Litschau minus 22,6 Grad gemessen. Selbst die Höchstwerte sollen am Wochenende nur zwischen minus 13 und minus sechs Grad liegen.

Schweiz: Die kälteste Februarnacht seit 30 Jahren in der Schweiz hat selbst die sonst zuverlässige Schweizer Bahn am Sonnabend in Schwierigkeiten gebracht. Wegen vereister Weichen kam es unter anderem auf der Strecke zwischen Lausanne und dem Genfer Flughafen zu Verspätungen, berichtete die Nachrichtenagentur sda. An vielen Orten wurden die tiefsten Temperaturen seit drei Jahrzehnten gemessen. In Zürich zeigte das Thermometer in der Nacht minus 20,2 Grad. Der Kältepol lag westlich von Luzern, wo auf der Glattalp am Sonnabendmorgen minus 34 Grad gemessen wurden. Der nationale Kälterekord von minus 41.8 Grad aus den 80er Jahren wurde jedoch nicht gebrochen.

Schweden: Im nördlichen Teil des Landes bibbern die Menschen bei minus 30 Grad. Der Zugverkehr auf mehreren Hauptstrecken ist zusammengebrochen, weil Weichen eingefroren sind. In Lappland wurden sogar 40 Grad Frost gemessen.

Polen: Die Zahl der Kältetoten in Polen ist in der Nacht zu Sonnabend erneut gestiegen. Trotz verstärkter Polizeipatrouillen zur Suche nach Kälteopfern erfroren sieben Menschen, wie das Innenministerium am Sonnabend mitteilte. Seit Beginn der Kältewelle erfroren in Polen insgesamt 45 Menschen. Hinzu kommen sechs Opfer, die an Kohlenmonoxidvergiftungen starben. In der Nacht zu Sonnabend kamen außerdem vier Obdachlose bei insgesamt drei Bränden ums Leben. Die Männer hatten in leerstehenden Gebäuden mit wärmenden Feuern Schutz vor der Kälte gesucht.

Allein in den ersten Februar-Tagen starben 17 Menschen in der Kälte, teilte eine Ministeriumssprecherin in Warschau mit. Besonders bedrohlich war die Lage für etwa 3500 Einwohner der masurischen Kleinstadt Dobre Miasto (Guttstadt), die nach einem Zusammenbruch der örtlichen Energieversorgung bei minus 30 Grad weder Heizstrom noch warmes Wasser hatten.

Tschechien: In Prag, wo die Zahl der Obdachlosen auf etwa 4000 Menschen geschätzt wird, wurde am Sonnabend ein neues Übernachtungszentrum für Obdachlose eröffnet. Wie die tschechische Nachrichtenagentur CTK berichtete, müssen die Obdachlosen das Zentrum allerdings tagsüber verlassen. In Prag, wo allein in der vergangenen Woche vier Menschen erfroren, war es am Sonnabend minus 19 Grad kalt. Den Kälterekord hielt am Freitag die Böhmerwaldgemeinde Kvilda. Dort sank das Quecksilber auf minus 38,1 Grad. Der Bahnverkehr kam nahezu zum Erliegen.

Lettland: Durch den Frost ist es zu zahlreichen Bränden gekommen. Insgesamt musste die Feuerwehr mehr als 50-mal ausrücken. Defekte Heizanlagen oder verunreinigte Schornsteine waren die Hauptbrandursachen. In der Nacht zu Freitag fiel die Temperatur auf minus 30 Grad.

Serbien: Nach zwei Tagen ununterbrochenen Schneefalls ist in 27 Gemeinden Serbiens der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Die Regierung bereite den Ausnahmezustand für das gesamte Land vor, berichteten die Medien am Sonnabend in Belgrad. Alle Grund- und Mittelschulen des Landes sowie alle Kindergärten sollen wegen der Schneemassen in der nächsten Woche geschlossen bleiben, entschied das Kultusministerium.

Weil auch die Hauptstadt in Verkehrschaos versinkt, rief die Regierung des Landes alle Bürger zur Hilfe auf. Am Sonnabendmorgen meldeten sich hunderte Menschen, um beim Räumen mitzuhelfen. In Briefen an Zeitungen und Fernsehanstalten beschwerten sich die Bürger, dass die Behörden völlig unzureichend auf den Schnee vorbereitet und selbst die Transitstraßen unpassierbar waren.

Wegen des starken Schneefalls in der gesamten Region saßen die beiden Staatspräsidenten von Kroatien und Serbien, Ivo Josipovic und Boris Tadic, im Jahorinagebirge vor den Toren von Sarajevo fest. Sie könnten nach einem Treffen am Vortag mit bosnischen Spitzenpolitikern nicht abreisen, berichteten Medien in Belgrad.

Montenegro: Nach Lawinenabgängen saßen 60 Menschen in einem Tunnel fest. Rund 50 Arbeiter der Talsperre Piva im äußersten Westen des Landes an der Grenze zu Bosnien seien gemeinsam mit Insassen mehrerer Autos eingeschlossen, berichteten die Behörden. Ein- und Ausfahrt seien von Lawinen versperrt worden. Armeeangehörige seien für den Rettungseinsatz abkommandiert worden. In der Nacht zum Sonnabend misslang der erste Versuch, zu den Eingeschlossenen durchzukommen.

Litauen: Nach dem Bruch eines Hauptwasserrohres sind in der litauischen Hauptstadt Vilnius annähernd 150 Wohn- und Bürogebäude von der Wärmeversorgung abgeschnitten. Darunter sind auch das Parlament, die staatliche Steueraufsichtsbehörde und ein Gefängnis. Temperaturen von minus 26 Grad hatten die Leitung bersten lassen. Fahrkartenkontrolleure an den meist frequentierten Bushaltestellen teilen heißen Tee aus.

Ukraine: Hier sind schon mehr als 100 Menschen erfroren, die meisten Leichen wurden in den Straßen gefunden. Allein in der Nacht zu Freitag starben bei minus 32 Grad 38 Menschen. Mehr als 1200 Personen werden wegen Erfrierungen in Kliniken behandelt.

Weißrussland: 900 Schulen wurden im Land wegen der Eiseskälte geschlossen. Selbst am Tag wurden in Minsk minus 23 Grad gemessen.

Mit Material von dpa, rtr, kna und dapd