Wüstenrot hatte seine verdiente Mitarbeiter auf eine Lustreise nach Rio eingeladen. Jetzt prüft der Konzern personelle Konsequenzen.

Stuttgart. Wehe, wenn sie losgelassen: Ausgerechnet die besten Mitarbeiter haben dem soliden Finanzkonzern Wüstenrot & Württembergische (W&W) einen schlüpfrigen Skandal eingebrockt. Bei einer 200 000 Euro teuren Belohnungsreise nach Brasilien vom 27. April bis 2. Mai vergangenen Jahres soll ein Teil der 51-köpfigen Gruppe im Puff gelandet sein. Für das Image des Unternehmens - bekannt für so konservative Produkte wie Bausparen und Lebensversicherungen - ist das kurz vor den Festtagen alles andere als eine frohe Kunde. Zudem weckt die Lustsause Erinnerungen an den Ergo-Skandal aus diesem Jahr.

+++ Nachtclub Barbarella bei Street View +++
+++ Skandal um Wüstenrot-Puffbesuch +++

W&W bestätigte gestern einen entsprechenden Bericht aus dem "Handelsblatt", wonach die Wüstenrot Bausparkasse AG eine Tour nach Rio de Janeiro springen ließ - als "Förderung und Honorierung besonders hervorragender Leistungen", wie sie es selber nennt. Ohne Frage sei dabei offensichtlich gegen den Verhaltenskodex verstoßen worden - W&W beteuert aber, dass es sich um individuelle Verfehlungen handele und das Unternehmen nichts gefördert habe.

Die Nacht zum 30. April endete in dem Etablissement Barbarella, bei dem schon mit einem flüchtigen Blick auf das Logo am Eingang klar ist, was innen abgeht - ein Kontakthof für käuflichen Sex. "Die Bustüren gingen auf und etwa die halbe Gruppe stieg aus, inklusive Bereichsleiter und Direktoren", berichtet ein Teilnehmer. "Ich habe nur gedacht: Das kann ja wohl nicht sein, dass uns die Wüstenrot hier zum Puff kutschiert." Mindestens drei Barbarella-Besucher sollen später Prostituierte mit aufs Zimmer genommen haben.

Die Wüstenrot-Revision wisse heute, dass zwischen 14 und 20 Mitarbeiter ins Barbarella einkehrten. Die Reiseleiterin hatte angeblich den Nachtklub empfohlen. Eidesstattliche Versicherungen sollen von gut 40 Teilnehmern der Reise vorliegen. Sie berichteten unter anderem, dass die Polizei einen Direktor nachts am Strand mit einer Prostituierten erwischt habe. Andere seien auf den Hotelfluren zur Sache gekommen. Glaubt man den Schilderungen, hatte die Tour - zumindest für einige Reisende - nur einen Sinn.

Der Konzern will nichts beschönigen - wehrt sich aber gegen den Verdacht, eine aktive Rolle gespielt zu haben. "Wir unterstützen, organisieren oder finanzieren keine Aktivitäten, die gegen unseren Verhaltenskodex verstoßen", erklärte Bausparkassenvorstand Bernd Hertweck. "Eindeutige Ausschweifungen im Rahmen einer Dienstreise verstoßen selbstverständlich gegen unsere Verhaltensrichtlinien."

Falls angemessen und rechtlich möglich werde Wüstenrot personelle Konsequenzen ziehen. Außerdem habe man das Belohnungssystem für die Mitarbeiter "auf den Prüfstand gestellt und auf Kostendisziplin und Angemessenheit überprüft". In der Branche sind Belohnungsreisen - sogenannte Incentives - weit verbreitet.

Der Skandal von der sonnigen Copacabana weckt Erinnerungen an die Tour von 100 Mitarbeitern des Versicherers Ergo in die ungarische Hauptstadt Budapest, die dort im Jahr 2007 auf Firmenkosten eine traditionsreiche Therme in ein frivoles Freiluftbordell verwandelten. Die Sex-Orgie kam Mitte dieses Jahres heraus - und schon damals litt das Image der Branche gewaltig. W&W beteuert, dass anders als bei Ergo der krönende Abschluss des Abends im Bordell weder offiziell noch inoffiziell ein Teil des Programms gewesen sei.

Eine Überprüfung der Reisekasse habe ergeben, dass bei dem Ausflug kein Geld des Konzerns geflossen sei, betonte ein Sprecher. "Uns ist die Botschaft wichtig, dass wir diese Ausschweifungen in keiner Weise irgendwie organisiert oder unterstützt haben", sagte er. Doch allein das Reiseziel und der Stopp an der Vergnügungsmeile haben ja schon einen schalen Beigeschmack. Das hat W&W offensichtlich auch bemerkt. Erste Konsequenz: Die Belohnungsreisen sollen sich künftig nur noch auf Deutschland beschränken.

W&W zählt etwa 3000 selbstständige Handelsvertreter, die im Namen des Unternehmens Bausparverträge verkaufen. Insgesamt hat W&W 6000 Außendienst-Partner. Beim Bausparen ist nur Schwäbisch Hall größer.

Verbraucherschützer haben die Reise von Wüstenrot-Vertretern nach Rio de Janeiro heftig kritisiert. "Letztlich werden diese Fahrten von den Versicherten finanziert", sagte Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, gestern. Er fürchtet, dass diese Form der Belohnungsreisen in der Branche weit verbreitet ist: "Jetzt, wo innerhalb kurzer Zeit bereits der zweite Fall von skandalösen Anreizsystemen in der Finanzberatung bekannt wird, muss man davon ausgehen, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist."