Hamburg/Berlin. Ein neues System sorgt mitunter für Chaos in den IC und ICE nach Hamburg. Wer einen Sitzplatz reserviert hat, muss oft darum kämpfen.

Wer häufig mit dem Zug fährt, schätzt das Angebot der Deutschen Bahn, vorab für die Fernreise für 4,50 Euro pro Person und Strecke einen Sitzplatz zu reservieren. Das soll dem Fahrgast nicht nur eine bequeme Reise ermöglichen, sondern ihm auch den Stress ersparen, in überfüllten Waggons einen freien Platz suchen zu müssen. Aber ausgerechnet die Sitzplatzreservierung ist neuerdings in vielen Zügen ein Garant für Extra-Ärger.

Probleme mit der Datenübertragung

Der Grund: Immer wieder können Sitzplatzreservierungen in den Zügen nicht angezeigt werden. Der reservierte Platz muss von demjenigen, der ihn eigentlich besetzen sollte, im Nahkampf zurückerobert werden. Oder aber der reservierte Platz existiert nicht. Ähnlich frustrierend: Der Wagen, in dem der Platz reserviert wurde, läuft gar nicht erst im Bahnhof ein.

Vermehrt passiert das auf den Strecken Hamburg-Köln-Frankfurt-Stuttgart und Berlin-Hannover-Amsterdam. Fahrgäste berichten dem Abendblatt von denselben Problemen auf den Strecken Hamburg-Berlin und Hamburg-Basel – und zwar in Intercity Zügen (IC) aber auch in Zügen des Intercity Express – kurz ICE.

Die Ursache für die Probleme beim Anzeigen der Platzreservierungen ist offenbar eine Neuerung bei der Übertragung der Reservierungsdaten an die Züge. Wurden diese zuvor auf Diskette gespeichert und im Zug eingelesen, „erhält die gesamte ICE-Flotte des DB Fernverkehrs ihre Reservierungsdaten seit dem vergangenen Jahr per Funk“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Bahn auf Abendblatt-Anfrage. "Bei den Intercity-Zügen wurden die Daten bis zur Umstellung auf die Funklösung in der Regel per Hand eingespielt" – oder es wurde mit gedruckten Reservierungszetteln gearbeitet.

Insbesondere alte IC-Züge sind betroffen

Die Reservierungsdaten würden nun vor jeder Fahrt für alle Züge von einem zentralen Reservierungsserver abgerufen. Dadurch entfalle das bisher übliche und fehlerbehaftete manuelle Einspielen der Reservierungsdaten und die Reservierungen könnten deutlich kurzfristiger angezeigt und aktualisiert werden, erklärt die Sprecherin die Vorteile des neuen Systems. „Allerdings sind die vergleichsweise alten IC-Fahrzeuge der ersten Generation häufiger von Reservierungsstörungen betroffen“, räumt sie ein.

Das betreffe beispielsweise die Strecken Berlin-Amsterdam sowie Hamburg-Stuttgart. Neben Fehlern bei der Datenübertragung durch Verbindungsabbrüche oder gestörte Empfangsgeräte könne es in seltenen Fällen vorkommen, dass die Zug-IT oder ein Displaymodul gestört sei. Auch könnten kurzfristig geänderte Wagenparks oder Wagenausfälle in der Disposition dazu führen, dass die Reservierungen nicht angezeigt werden können.

Turbulente Szenen im Zug

In den von den Anzeigeproblemen betroffenen Zügen spielen sich unter den Fahrgästen teils turbulente Szenen ab. So hatte eine Familie mit zwei Kleinkindern am vergangenen Sonntagnachmittag im Intercity 2024 zwischen Dortmund und Hamburg einen Viererplatz mit Tisch eingenommen. In Münster stieg eine Seniorengruppe zu, die exakt diese Sitzgruppe reserviert haben wollte und die Familie zum Aufstehen veranlasste. Das wiederum führte zu großem Unverständnis über das Verhalten der Senioren gegenüber der jungen Familie und zu lautstarken Diskussionen im Abteil. Das Mitgefühl der Mitreisenden war Vater und Mutter garantiert, die sich mit kleinen Jungs und großem Gepäck auf die Suche nach neuen Plätzen machen mussten.

Das Zugpersonal reagiert unterschiedlich auf das Sitzplatzchaos. Während der eine Schaffner durchsagt, dass Reservierungen in diesem Zug nicht gelten und irritierte Gäste in andere Wagen mit noch freien Plätzen dirigiert, fordert der andere jene Kunden ohne Reservierungen auf, Plätze für jene mit Platzkarte frei zu machen. Und so sind die Bahnkunden einander beweispflichtig und müssen untereinander ausmachen, wer und wo Anspruch auf welchen Platz hat.

Geld für Reservierung wird erstattet

„Sollte die Reservierungsanzeige aus technischen Gründen nicht funktionieren und sollte es den Mitarbeitern im Zug nicht möglich sein, die Funktionsfähigkeit wieder herzustellen, werden die Kunden per Lautsprecherdurchsage über den Ausfall der Reservierungsanzeige informiert. Selbstverständlich helfen die Mitarbeiter im Zug den Reisenden bei der Sitzplatzsuche", heißt es dazu von der Bahn.

"Wenn wir einem Kunden den von ihm reservierten Sitzplatz nicht anbieten können, erstatten wir selbstverständlich die angefallene Reservierungsgebühr. Bei Fahrscheinen für die 1. Klasse ist die Sitzplatzreservierung bereits im Ticketpreis enthalten. Auch in diesen Fällen erstatten wir im Nachgang der Reise einen Teilbetrag des Tickets."

Und zum Schluss noch ein Statement vom Staatsunternehmen: "Auch wenn in seltenen Fällen aufgrund von Daten-Übertragungsfehlern Störungen auftreten können, haben sich die Reservierungsstörungen in Summe mit der Umstellung deutlich reduziert." Durchschnittlich seien im Jahr 2015 von circa 750 Zugfahrten pro Tag knapp zwei Prozent von einer Reservierungsstörung in einem oder mehreren Wagen betroffen." Für die ersten Wochen im Jahr 2016 liegen keine Zahlen vor.

Wie geht die Bahn die Reservierungspannen an? “Wir arbeiten kontinuierlich an einer Verbesserung der Reservierungssysteme, indem wir die Prozesse vereinfachen und die Technik weiterentwickeln“, sagt die Sprecherin.

Noch ein Rätsel – in nagelneuen Zügen klemmen die Türen

Die Deutsche Bahn kämpft derzeit nicht nur mit Problemen bei den Sitzplatzreservierungen. Auch die defekten Türen an den nagelneuen Doppeldecker-Zügen sorgen auf der Strecke Hamburg–Kiel für mächtig Ärger. Seit Anfang Januar, also seitdem die 20 neuen Züge im Einsatz sind, kommt es vermehrt zu Verspätungen.

„Aufgrund eines noch unbekannten Defekts funktioniert die elektrische Türenschließung noch nicht reibungslos“, so ein Bahnsprecher. Derzeit würden Mitarbeiter der Herstellerfirma Bombardier sowie DB-Mitarbeiter daran arbeiten, den Fehler zu finden. So lange steht die Bahn vor einem Rätsel.