Berlin. Immer mehr Kinder werden in Deutschland mithilfe eines Samenspenders geboren. Ein Familienmodell auf dem Vormarsch.

Einmal am Tag muss Anya Steiner kurz innehalten. Dann schaut sie ihre Tochter Lina kurz an, streicht ihr über die langen blonden Haare und sagt sich selbst, wie richtig das doch alles war. Mit „das alles“ meint sie die schwierige Entscheidung, ob sie mit Mitte 30 allein ein Kind bekommen soll – und natürlich die Frage, wie. Ihre Tochter Lina ist eines von immer mehr Kindern, die in Deutschland mithilfe eines Samenspenders geboren werden. Ein Familienmodell auf dem Vormarsch.

Anya Steiner war Anfang 30, als ihr Kinderwunsch immer präsenter wurde, ihr Partner sie aber stets vertröstete. „Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es wohl in dieser Beziehung nichts mehr wird.“ Das Paar trennte sich. Da war sie 35. Wenig später hatte Anya Steiner den berühmten Aha-Effekt, als sie in einem Stadtmagazin die Anzeige einer Frau las, die einen Samenspender suchte. „Mir wurde klar, dass man den Traumprinzen und Mutterschaft auch entkoppeln kann.“ Über ihre Erfahrung hat sie das Buch „Mutter, Spender, Kind“ geschrieben.

Jeder hat das Recht darauf, seine Herkunft zu erfahren

Das rechtliche System in Deutschland gleicht jedoch, wenn es zum Thema Single-Mutterschaft kommt, einem Hindernisparcours. Im Januar 2015 entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Spenderkind von der Reproduktionsstätte Auskunft über den Vater bekommen kann. Laut Paragraf 242 BGB hat jeder Mensch Anspruch darauf, zu wissen, wo seine Herkunft liegt.

Im europäischen Ausland wie in Dänemark ist die Rechtslage einfacher: Spender dürfen per Gesetz anonym bleiben und können so nicht unterhaltspflichtig werden. Das wirkt sich auch auf die Statistik aus: Jedes zehnte Kind, das durch künstliche Befruchtung entsteht, wird von alleinstehenden Frauen geboren.

Dort stellen sich sogar die Entbindungsstationen in Krankenhäusern inzwischen auf den neuen Trend ein. So hat etwa das Kopenhagener Rikshospitalet schon Solomüttergruppen eingerichtet, in denen sich Frauen gegenseitig beraten und unterstützen können. Auch die relativ große Akzeptanz für ein Leben außerhalb klassischer Kernfamilien sowie der engmaschige Wohlfahrtsstaat mit langen Elternzeiten und einem gut ausgebauten Kinderbetreuungssystem erleichtert alleinstehenden Frauen die Entscheidung, Solomutter zu werden.

Auch viele Frauen aus Deutschland gehen mittlerweile für eine sogenannte Insemination nach Dänemark. Dabei wird der Samen des Spenders durch ein dünnes Plastikröhrchen an die Gebärmutter der Frau geführt. Laut Steiner gibt es auch die Möglichkeit, eine Spende über eine europäische Samenbank zu bekommen. Die Spender werden durch das Gesetz des Landes, meist Dänemark, in ihrer Anonymität geschützt. In der Praxis wird der Samen dann an eine deutsche Frauenarztpraxis geschickt, die die Insemination vornimmt.

Die Familientherapeutin Petra Thorn berät seit Jahren Frauen zu diesem Thema und vermutet, dass jährlich in Deutschland etwa 1200 Kinder anonym gezeugt werden. Die Anzahl der Frauen, die ihre Praxis dafür aufsuchen, sei in den vergangenen Jahren um das Fünffache gestiegen. „Das Einzige, was uns noch fehlt, ist die Forschung zu diesen Kindern“, sagt Thorn. Welchen Einfluss hat es auf ihr Leben, nicht zu wissen, wer ihr Vater ist? Wie wird es die Gesellschaft verändern?

Eine Studie der Universität Kopenhagen räumt mit dem Vorurteil aus, Solomütter seien vor allem Frauen, die es besonders schwer haben, Männer zu finden. Demnach hätten Frauen, die sich entscheiden, auch ohne Mann ein Kind zu bekommen, genauso viele und lange Paarverhältnisse gehabt wie in Partnerschaft lebende Mütter. 90 Prozent der Solomütter hätten laut Umfrage zwar lieber einen Mann an ihrer Seite. „Aber der steigende Druck, erst Kinder zu kriegen, wenn Karriere, Persönlichkeitsentwicklung und alles andere abgeschlossen ist, schreckt heutzutage sehr viele Männer davon ab, sich für Kinder zu entscheiden“, sagt die alleinerziehende Dänin Sine Fjord.

Lieber freiwillig Solomutter, alsein Scheidungskind zu produzieren

„Wenn ich sehe, wie viele Eltern mit Kindern sich im Bekanntenkreis streiten und trennen, ist es vielleicht gar nicht so falsch, alleine ein Kind zu ­haben“, überlegt sie. In ihrem ­Heimatland Dänemark liegt die ­Scheidungsrate bei 43 Prozent. „Da ist die Chance, ein Scheidungskind zu ­produzieren, das rastlos zwischen ­Vater und Mutter ­herumreisen muss, fast fünfzig-fünfzig“, rechnet sie großzügig hoch. Zudem weist sie auf Studien hin, die zeigten, dass Kinder von freiwilligen Solo­müttern bessere Leistungen in Test ­erzielten als Scheidungskinder. „Sie schneiden genauso gut ab wie Kinder, die Mutter und Vater haben.“

Wie aber erklärt eine Solomutter irgendwann ihrem Kind, wo und wer dessen Vater ist? Anya Steiner erzählt ihrer mittlerweile sechsjährigen Tochter Lina, dass ein netter Mann Mama mit seinem Samen geholfen habe, schwanger zu werden. Lina überlegt dann manchmal kurz – und antwortet: „Vielleicht kann er dann noch mal helfen. Für ein Geschwisterchen.“