Peking/Lhasa. Warum der 50. Jahrestag der „Autonomen Republik“ für die meisten Einwohner kein Grund zum Feiern war

Als der Dalai Lama im Juli seinen 80. Geburtstag feierte, wurde auch in Tibet für ihn gebetet – heimlich. Als China jetzt zum 50. Jahrestag der Gründung der Autonomen Republik Tibet unter strengen Sicherheitsmaßnahmen Jubel verordnete, blieben diese Tibeter zu Hause. Für sie ist die Zementierung der chinesischen Macht kein Grund zu feiern. Von einem „Trauertag“ spricht die in London lebende Exiltibeterin Tenzin Somma: „Diese Autonomie hat es doch nie gegeben.“

Es sind Menschen wie Jigme Gyatso, die mit ihrem Schicksal die Unterdrückung sichtbar machen. Der Filmemacher und Autor hatte lediglich ein Buch herausbringen wollen. Es handelte sich um eine Sammlung von Essays seit dem tibetischen Volksaufstand von 1959 bis zur Protestwelle 2008. Doch noch bevor das Buch in Druck gehen konnte, beschlagnahmten chinesische Behörden das Manuskript. Und damit nicht genug. Gyatso, der vorher bereits mehrfach in Haft gesessen hatte, wurde von einem Gericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. 2012 war das. Nach mehreren Monaten in Haft konnte er entkommen. Seitdem ist er auf der Flucht. Einer von vielen.

Seit der brutalen Niederschlagung der tibetischen Proteste im Frühjahr 2008 ist es zwar zu keinen Massenprotesten mehr gekommen. Doch die Tibeter empfinden eine wachsende Ohnmacht. Seit 2010 haben sich wahrscheinlich mehr als 120 Tibeter selbst angezündet – aus Protest gegen Chinas Unterdrückung.

Die Tibeter haben ihre eigene Kultur, Sprache und Schrift und sind gläubige Buddhisten. Doch auf ihrem eigenen Boden dürfen sie ihre Kultur und ihren Glauben nur eingeschränkt ausleben. Chinas Volksbefreiungsarmee hatte im März 1959 Tibet gewaltsam besetzt und den Dalai Lama, das politische und religiöse Oberhaupt der Tibeter, vertrieben. Im September 1965 erklärte Peking Tibet für „autonom“.

Seitdem hat die chinesische Führung tibetischen Exilorganisationen zufolge mindestens 6000 Tempel und Klöster zerstört. Schätzungsweise 1,2 Millionen Tibeter sind infolge von Gewalt, Hunger und Krankheiten ums Leben gekommen. Mehr als 100.000 Tibeter flüchteten ins Ausland, die meisten von ihnen folgten dem Dalai Lama, der sich im indischen Dharamsala, am Fuße des Himalayas, mit seiner Exilregierung niederließ.

Doch so aussichtslos die Lage all die Jahrzehnte für ihn und seine Anhänger sowohl im Exil als auch daheim in Tibet war – entschieden hielt der Dalai Lama am Prinzip des gewaltlosen Widerstands gegen die chinesischen Besatzer fest. Die Führung in Peking sprach ihm trotzdem jegliche Legitimation ab und betrachtet ihn stattdessen als gewalttätigen Separatisten.

2011 gab der überzeugte Demokrat seine Rolle als politisches Oberhaupt ab und machte damit den Weg frei für eine von Exiltibetern demokratisch gewählte Zivilregierung. Ende 2014 verkündete er, dass es eine Reinkarnation von ihm unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr geben werde. Damit bricht er nicht nur mit einer mehr als 500 Jahre existierenden Tradition des tibetischen Glaubens, in dem fest von einer Wiedergeburt ihres Oberhaupts ausgegangen wird. Er will verhindern, dass die kommunistische Führung in Peking den Vorgang an sich reißt und einen eigenen Lama einsetzt, einen von ihren Gnaden.

Es wäre nicht das erste Mal. Als der Dalai Lama 1995 den damals sechsjährigen Gedhun Choekyi Nyima als Wiedergeburt des Panchen Lama auswählte, seine Nummer zwei, entführte die chinesische Führung den Jungen und ernannte einen anderen Jungen zum Panchen Lama. Das soll nach dem Willen des Dalai Lama mit ihm nicht passieren. „So lange Tibet nicht frei ist, werde ich nicht wiedergeboren“, sagte der Dalai Lama.

Die in ihrer Heimat verbliebenen Tibeter fühlen sich von der chinesischen Führung nicht nur kulturell unterdrückt, sondern auch sozial und ökonomisch an den Rand gedrängt. Zwar hat die chinesische Führung inzwischen auch viele Tibeter in die Provinzverwaltung einbezogen, doch besonders tibetische Autoren, Intellektuelle und Künstler sind in den vergangenen Jahren wieder verstärkt ins Fadenkreuz der chinesischen Besatzer geraten. Es kam zu einer Reihe von Fällen von Verschwindenlassen, Folter und Inhaftierung. Internationale Tibetorganisationen berichten zudem immer wieder von Gängelungen der chinesischen Behörden in Klöstern und Schulen. 2011 waren es noch vorwiegend Mönche, die sich aus Protest gegen Überwachung in Klöstern und gegen patriotische Erziehungskampagnen anzündeten. Zuletzt brachten sich auch Schüler, Lehrer, Mütter und einfache Dorfbewohner um.

Viele Tibeter treibt zudem die Sorge um, dass sie durch die gezielte Ansiedlung von Chinesen auf eigenem Land zur Minderheit werden. In Tibets Hauptstadt Lhasa bilden die Chinesen bereits die Mehrheit.