Braunschweig. Die Nacht auf den Mittwoch wird genau eine Sekunde länger. Die Zeitumstellung mit der Schaltsekunde ist bedeutender, als viele meinen.

Die Sekunde als kleinste Einheit auf einer gewöhnliche Armbanduhr mit dem dazugehörigen Zeiger ist ein Phänomen. Anders als die letzte Stunde, die geschlagen haben kann und das Leben beendet, bringt die Sekunde eine oft lebensentscheidende Wendung. Nicht immer zum Guten. So kann der Sekundenschlaf fatal sein. "One second" oder "Eine Sekunde, bitte!" kann der Wartemoment sein, in dem man die Fassung verliert.

In der kommenden Nacht auf Mittwoch, den 1. Juli ist die Magie der Sekunde praktisch mit Händen zu greifen. Denn es geht um die Schaltsekunde. Die Nacht ist eine Sekunde länger. Die Hüter der Zeit in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig fügen die Schaltsekunde ein. Während die allermeisten Menschen das kaum merken werden, müssen bestimmte Unternehmen die Extrasekunde sehr exakt in ihren Systemen berücksichtigen.

Die Schaltsekunde führt zur kuriosen Uhrzeit 1:59:60

Der Vorgang scheint relativ einfach, die Gründe dafür sind etwas komplizierter. Um 01:59:59 schiebt die PTB in die gesetzliche Zeit, die über Langwelle an Funkuhren übermittelt, aber auch über Telefon und das Internet verbreitet wird, eine Sekunde ein. Auf 1:59:59 Uhr folge nicht wie sonst 2:00:00 Uhr, sondern 1:59:60 Uhr und dann erst 2:00:00 Uhr, erklärt Andreas Bauch vom Zeitlabor der PTB.

Die Sekunde ist die Basiseinheit der Zeit im internationalen Einheitensystem. Sie dauert etwa einen Herzschlag lang beim einem Erwachsenen im Ruhezustand. Nun ja, manche ticken auch langsamer, bei Anstrengung schneller.

Schrecksekunde, Sekundenschlaf, Rot-Sekunde

Übrigens ist die sogenannte Schrecksekunde, die bei Gefahr lebensrettend sein kann, deutlich kürzer als eine Sekunde. Das lässt sich mit Filmaufnahmen in Zeitlupe von Menschen in Schrecksituationen beweisen. Mit der Schrecksekunde wird ein Schutzreflex bezeichnet. Wir schließen bei plötzlicher Gefahr blitzeschnell die empfindlichen Augen und ducken uns, um den Nacken zuschützen.

Der Sekundenschlaf dagegen, der das ganz kurze Einschlafen und wieder aufwachen bezeichnet, kann sich dagegen zur Lebensgefahr auswirken. Sekundenschlaf hinterm Steuer eines Fahrzeug ist ein häufiges Phänomen von übermüdeten Fahrern und führt leider oft zu schweren Unfällen auf Autobahnen und Landstraßen.

Im Sport entscheidet eine Sekunde nicht nur über Gold, Silber oder Bronze, sondern über Sieg oder Komplettversagen. Liefe der jamaikanische Sprinter, Weltrekordinhaber und mehrmalige Olympiasieger Usain Bolt auf 100 Metern statt 9,58 Sekunden also 10,58 Sekunden, würde in der internationalen Sportwelt wohl kaum jemand seinen Namen kennen. Er wäre selbst in der ewigen Bestenliste in der heute an Sprintern recht armen Nation Deutschland bloß auf Platz 25. Im Boxen sprechen K.o.-Opfer häufig davon, dass sie eine Sekunde nicht aufgepasst haben – und den entscheidenden Schlag abbekamen. Siehe Weltmeister Wladimir Klitschko 2003 gegen Corrie Sanders.

Ob ich eine oder zwei Sekunden nach Start der Rotlichtphase bei Rot mit dem Auto über eine Ampel fahre, entscheidet darüber, ob ich 90 Euro Bußgeld zahlen muss und einen Punkt in der Flensburger Verkehrssünderdatei eingetragen bekomme, oder ob ich 200 Euro Bußgeld zahlen muss, zwei Punkte in Flensburg und sogar einen Monat Fahrverbot kassiere.

Überschreitet ein Fahrradfahrer die Grünphase nur um eine Sekunde, schlägt dieses Vergehen mit 60 Euro zu Buche. Noch teurer wird es, wenn das Rotlicht beim Überfahren bereits über diese Sekunde hinaus aufleuchtet – dann nämlich werden gleich 100 Euro Strafe fällig.

Warum ist die Verlängerungen der Zeit um eine Sekunde notwendig?

Zeit ist nicht gleich Zeit. Ein Tag - also eine Erdumdrehung um die eigene Achse - hat laut Weltzeit 86.400 Atomsekunden. So ganz stimmt das aber nicht. Die Erde braucht ein ganz klein bisschen länger. Anders ausgedrückt: "Die Atomsekunde ist zu kurz", sagt Bauch.

Der Grund: Die Atomsekunde beruht auf der Drehgeschwindigkeit der Erde von etwa dem Jahr 1820. Seitdem sei der Blaue Planet aber aus komplizierten Gründen ein ganz klein bisschen langsamer geworden, erklärt Bauch. Die Atomsekunde wurde aber nicht verlängert. Die Folge: Die Weltzeit würde immer mehr von dem gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus abweichen. Um das zu verhindern, wird alle paar Jahre ein Tag um eine Sekunde verlängert.

Besitzer von Funkuhren können die zusätzliche Sekunde am frühen Mittwochmorgen aber nicht sehen. "Nicht davor setzen, das lohnt sich nicht. Da wird man nur enttäuscht", warnt Bauch. Normale Funkuhren passen sich der neuen Uhrzeit erst in den Stunden nach der Mini-Zeitumstellung an.

Anders ist das bei bestimmten Konzernen, wie beispielsweise Telekommunikationsunternehmen, die ihre Angebote sekundengenau abrechnen müssen. Oder Betreiber von Hochspannungsnetzen, die im Mikrosekundenbereich arbeiten. Sie übernehmen die Schaltsekunde praktisch in Echtzeit. Einige System können damit auch überfordert sein. Bei der Schaltsekunde 2012 wurden mehrere Websites lahmgelegt, das Buchungssystem der Fluggesellschaft Qantas fiel zeitweise aus.