München. Wie können im laufenden Verfahren Anwälte ausgetauscht werden? Beate Zschäpe geht ein hohes Risiko. Beobachter: Sie hat sich verzockt.

Erst der Ärger um ihre drei Anwälte – und nun hatte die Hauptangeklagte im NSU-Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht um das mutmaßliche Terrortrio, Beate Zschäpe, am Dientag auch noch Zahnschmerzen. Deshalb gab es kurzen Prozess und einen zeitlich reduzierten Verhandlungstag. Als einziger Zeuge sagte ein Mann aus, der Ende 1998 als 16-Jähriger einen Überfall auf einen Supermarkt in Chemnitz miterlebt hatte. Die beiden Täter hatten auf ihn geschossen, ihn nur knapp verfehlt. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass Zschäpes Partner Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Täter waren. Es ist der erste aktenkundige Überfall des NSU. Mit der Beute soll das Trio das Leben im Untergrund finanziert haben.

Zschäpe weiß, dass im NSU-Prozess nun erst recht alle Augen auf sie gerichtet sind. Als sie in den Gerichtssaal kommt, würdigt sie ihre Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm keines Blickes. Stattdessen grüßt sie demonstrativ die Verteidiger ihres Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Offensichtlicher könnte die aktuelle Vertrauenskrise auf der Anklagebank kaum sein. Was bedeutet das für den Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG), wie geht es jetzt weiter? Und: Will Zschäpe nun wirklich aussagen? Einige zentrale Fragen und Antworten.

Warum ist das Verhältnis zwischen Zschäpe und ihren Anwälten so getrübt?

Im vergangenen Jahr hatte Zschäpe schon einmal vergeblich versucht, ihre drei Verteidiger loszuwerden. Nun hat sie ein ähnliches Manöver gestartet, zielt aber diesmal formal nur auf Sturm. In einem Brief an das Gericht attackiert sie dann aber alle drei. Die Anwälte surften während der Hauptverhandlung im Internet, solche Dinge. Vor allem behauptet sie: Ihre Verteidiger hätten ihr mit dem Ende des Mandats gedroht, sollte sie zu einzelnen Anklagevorwürfen aussagen wollen.

Bisher hatte Zschäpe seit mehr als zwei Jahren und 200 Verhandlungstagen geschwiegen. Will sie nun wirklich reden?

Zumindest behauptet sie dies in ihrem Brief. Sie schreibt, dass sie sich „durchaus mit dem Gedanken beschäftige, etwas auszusagen“.

Ist das glaubwürdig?

Eher nicht. Denn auch wenn immer wieder spekuliert worden war, dass die 40-Jährige nicht mit der Strategie ihrer Verteidiger zufrieden sei, auch wenn ein Psychiater bescheinigte, dass ihr das Schweigen immer schwerer falle: Dass Zschäpe tatsächlich aussagen will, wird allgemein für extrem unwahrscheinlich gehalten. In ihrem Brief offenbart sie selbst, dass sie sich bisher nicht einmal ihren Anwälten anvertraut hat - die haben sich bei ihr über eine „nur fragmentarische Weitergabe Ihres exklusiven Wissens“ beschwert. Es liegt also nahe, dass Zschäpes angebliche Aussagebereitschaft nur ein taktischer Schachzug ist: um ihre Anwältin tatsächlich loszuwerden, und um das Gericht mit der Aussicht auf eine Aussage zu ködern.

Wird ihr das gelingen?

Sehr unwahrscheinlich. Für die sogenannte Entpflichtung eines Pflichtverteidigers gibt es sehr hohe rechtliche Hürden. Differenzen über die grundsätzliche Verteidigungsstrategie reichen da nicht. Und auf irgendeinen Handel wird sich das OLG schon gar nicht einlassen.

Der Prozess insgesamt ist also nicht in Gefahr?

Zum jetzigen Zeitpunkt: nein. Selbst wenn das Gericht Anja Sturm entpflichten sollte, könnte der Prozess weitergehen. Voraussichtlich aber wird auch Sturm auf ihrem Posten belassen. Andererseits: Völlig problemlos ist der ganze Vorgang für das OLG und den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl nicht. Was, wenn sich derlei Attacken Zschäpes auf ihre Anwälte wiederholen würden? Wie lange könnten beide Seiten - die Mandantin und die Anwälte - sozusagen zur weiteren Zusammenarbeit verdonnert werden? Was, wenn Zschäpe in absehbarer Zeit wieder ihre Anwälte massiv angreifen würde? Was, wenn die Verteidiger irgendwann selbst genug von Zschäpe hätten? Wie lange könnte Götzl da zuschauen?

Müssen sich die Verteidiger eigentlich alles gefallen lassen?

Nein – und das tun sie auch nicht. Das zeigt ein Brief an ihre Mandantin, aus dem Zschäpe selbst zitiert. Darin werfen ihr die Verteidiger vor, sie wolle ihnen konkrete Anweisungen geben und sich sozusagen als „Vorsitzende der Verteidigung“ geben. Sie beschweren sich über Zschäpes „anmaßendes und selbstüberschätzendes Verhalten“. Doch genauso wenig, wie Zschäpe ihre Verteidiger einfach entlassen kann, können die drei einfach ihr Mandat hinschmeißen.

Kann man nach solch einem Krach wieder zusammenarbeiten?

Zum einen: Nachdem Zschäpe vergangenes Jahr vergeblich versucht hatte, ihre Anwälte loszuwerden, hat es ja auch wieder funktioniert. Vor allem aber: Den vieren wird gar nichts anderes übrig bleiben.

Was hat Zschäpe ihr neues Störmanöver gebracht?

Die vorherrschende Meinung ist: Sie hat sich geschadet. Schließlich gewährt das vierseitige Schreiben viele Einblicke in ihre Denkweise: Ihre Anwälte will sie anleiten, das Gericht ködern beziehungsweise manipulieren. Nebenklage-Anwälte werten das als klares Zeichen, dass Zschäpe innerhalb des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit Sicherheit auch nicht bloß das unwissende Heimchen am Herd war. (dpa/HA)