Bonn. Von der nackten Hildegard Knef bis „Shades of Grey“: Eine Bonner Ausstellung zeigt den Wandel der Sexualmoral

Es sind Nachrichten wie aus einer anderen Welt: Noch 1970 verlor eine Frau in der Bundesrepublik ihren Arbeitsplatz, weil sie Hosen trug. Erst 1957 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass Zölibatsklauseln gegen das Grundgesetz verstießen – das waren Vereinbarungen in Arbeitsverträgen von Frauen, die im Fall der Eheschließung das Arbeitsverhältnis beendeten. Und erst 1998 wurde der sogenannte „Kranzgeld-Paragraf“ abgeschafft, der Frauen Schadenersatz für ihre Entjungferung nach der Lösung ihrer Verlobung zusprach.

Nicht nur solche Kuriositäten finden Besucher in einer neuen Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Unter dem Titel „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ beleuchtet sie mithilfe von 900 Objekten – Filmausschnitten, Zeitungsberichten und Alltagsgegenständen – die dramatischen Veränderungen der Leitbilder und moralischen Normen in Deutschland seit 1945.

Aktueller könne eine Ausstellung nicht sein, stellte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, am Freitag bei der ­Eröffnung der bis Februar zu sehenden Schau zufrieden fest. Denn während Deutschland über die Gleichstellung der „Homo-Ehe“ mit der Ehe streitet und Kurienkardinal Pietro Parolin mit Blick auf die Volksabstimmung in ­Irland von einer Niederlage für die Menschheit spricht, zeigt die Ausstellung den weiten Weg, den die Gesellschaft etwa beim Thema Homosexualität zurückgelegt hat. Noch 1968 ­verkündete die Jugendzeitschrift ­ ­„Bravo“, Homosexualität sei eine „krankhafte Fehlhaltung“. Und noch 1990 führte der erste Fernsehkuss von Homosexuellen in der „Lindenstraße“ zu einem Aufschrei der Empörung – inklusive Bombendrohungen.

Die Ausstellung ist nach Themen – etwa Wandel der Geschlechterbeziehungen, Moral und Sexualität, Homosexualität, Pädophilie – gegliedert und nicht chronologisch. Dennoch lässt sich eine Linie von den prüden 1950er-Jahren über die sexuelle Revolution der 1968er bis hin zum „Alles ist möglich“ des Internetzeitalters zeichnen.

Kanzel und Schulbank symbolisieren die offizielle Moral der 1950er-Jahre. Hildegard Knef verursachte einen Skandal, als sie in einer Filmszene kurz nackt zu sehen war. Ein Kinderwagen aus hellgrünem Kunstleder erinnert daran, dass die Geburtenzahl ab 1956 deutlich anstieg. Was damals nur hinter vorgehaltener Hand thematisiert wurde, ist im heutigen Alltag nahezu überall präsent. Ob Werbung, Film, Literatur oder Internet: Sexualität wird offener denn je gezeigt. Die Schilderungen sadomasochistischer Praktiken in „Shades of Grey“ erzielen Millionenauflagen.

Hütter verwies darauf, dass viele dieser Veränderungen mit sehr emotionalen Debatten verbunden waren und sind. Nicht nur das Private sei betroffen, sondern die gesamte Kultur und Gesellschaft. Die einen begrüßen dies als zusätzliche Freiheit. Andere befürchten Werteverfall und gnadenlose Kommerzialisierung.

Auch diese Bedenken werden in der Ausstellung thematisiert: Zu sehen ist etwa ein Brief des Kölner Kardinals Joseph Frings, der Papst Paul VI. dringend auffordert, den Katholiken wegen der Pille Weisung zu geben. Titelseiten von „Stern“ und „Emma“ verweisen auf den Kampf von Frauenrechtlerinnen gegen die Ausbeutung des Frauenkörpers in den Medien. Und ein Ausweis der in den 1990er-Jahren aus den USA nach Deutschland gekommenen Bewegung „Wahre Liebe wartet“ enthält eine Selbstverpflichtung, mit Sex bis nach der Hochzeit zu warten.

„Unsere DDR ist ein sauberer Staat“, verkündete Erich Honecker 1965

Die Kuratorin der Ausstellung, Kornelia Lobmeier, sagte, die Schau wolle auch gängige Klischees hinterfragen. So sei die DDR zwar im Vergleich zur Bundesrepublik lange Zeit weniger prüde gewesen. Doch auch im Osten herrschten Normen und Regeln, die die Partei unter Berufung auf die „sozialistische Moral und Ethik“ durchzusetzen versuchte. „Unsere DDR ist ein sauberer Staat“, verkündete Erich Honecker 1965.

Lobmeier hinterfragt auch die Vorstellung von den „prüden 1950er-Jahren“ im Westen: Der von Staat und Kirche verbreitete Kanon von Werten und Sexualmoral sei vielfach unterlaufen worden. Darauf deuten ihrer Ansicht nach etwa die große Zahl von „Muss-Ehen“ von Teenagern und die hohe Zahl von Abtreibungen hin.