Kathmandu. Mehr als 50 Tote durch Erdstöße der Stärke 7,3 in der Himalaya-Region. Sorge um obdachlose Kinder

Nepal kommt nicht zur Ruhe. Erneut hat ein starkes Erdbeben das Land erschüttert. Nach Angaben der Regierung kamen am Dienstag mehr als 50 Menschen ums Leben, darunter auch mehrere in Tibet und dem Norden Indiens. Mindestens 1117 wurden verletzt.

Die Erdstöße der Stärke 7,3 lösten erneut Erdrutsche aus und ließen Gebäude einstürzen – allerdings im geringeren Ausmaß als bei dem schweren Erdbeben vor gut zwei Wochen. Der internationale Flughafen von Kathmandu – das Drehkreuz der Hilfe aus aller Welt – musste zeitweilig geschlossen werden.

Das Epizentrum des neuerlichen Bebens lag in einer entlegenen Region zwischen der Hauptstadt Kathmandu und dem Mount Everest. Innerhalb einer halben Stunde folgten zwei Nachbeben der Stärken 5, 6 und 6,3. „In einigen Dörfern in den am schwersten getroffenen Gegenden erwarten wir völlige Zerstörung“, sagte Laxmi Dhakal vom Innenministerium in Kathmandu. „Es sieht so aus, als solle Nepal diesmal komplett zerstört werden“, sagte ein Betroffener. Häuser, die vor 17 Tagen gerade noch stehen geblieben waren, fielen in sich zusammen. Berghänge, die dem Beben damals standhielten, rutschen nun ins Tal. Und alle, die noch Hoffnung hatten, verzweifeln.

Im Parlament wurde gerade über Geldzahlungen diskutiert, als es bebte

Die Menschen in der Hauptstadt rannten wegen der neuerlichen Erschütterungen auf die Straße. Manche waren in Panik, andere lagen sich in den Armen. „Wir sind alle aus unseren Büros gerannt. Manche haben geweint. Das Nachbargebäude hat frische Risse“, sagte eine Betroffene. Im Parlament wurde gerade über Geldzahlungen an die Opfer des ersten Bebens der Stärke 7,8 diskutiert, als die Decke des Gebäudes plötzlich Risse bekommt. „Der Stuhl, auf dem ich saß, begann zu wanken“, sagte die Abgeordnete Pratikshya Tiwari. „Ich dachte, wir würden alle sterben.“

Bereits am 25. April hatte ein – noch schwereres – Beben das bitterarme Land im Himalaya getroffen. Mehr als 8150 Menschen kamen nach den bisherigen Erkenntnissen dabei ums Leben, weitere 17.860 wurden verletzt. Die Kleinstadt Chautara wurde nach dem Beben zum Zentrum für humanitäre Hilfe, von dem aus Retter in entlegene Gebiete ausgesendet werden. Dutzende Helfer sind hier stationiert.

Die Nepalesen waren nach diesem ersten schweren Erdbeben ohnehin von Dutzenden Nachbeben erschreckt worden. Mittlerweile hat das Land die internationale Gemeinschaft zu Spenden aufgerufen. Ärzte versuchen, die Verletzten zu behandeln. Hubschrauber bringen den Hunderttausenden Obdachlosen Nahrung und Zelte in Gegenden, die wegen Erdrutschen noch nicht zu erreichen sind. Ein weiteres Problem beschäftigt die Regierung in Nepal. Wegen der Katastrophe leben Hunderttausende obdachlose Kinder in Lagern. Sie seien in Gefahr, ausgebeutet zu werden, warnte die Kinderschutzkommission der Regierung am Dienstag. Die Jungen und Mädchen seien großen Risiken ausgesetzt, weil so viele Menschen gezwungen seien, auf engstem Raum in Zelten zusammen zu leben. Im Radio laufen Hinweise, dass Eltern ihre Kinder nicht unbeaufsichtigt lassen und Verdächtige in den Lagern beobachten sollten.

Unterdessen befürchten Fachleute, dass es noch weitere Beben geben wird. Denn nach einem heftigen Beben wie vor zwei Wochen folgen meist weitere Erschütterungen – wie nun am Dienstag. Die Experten sprechen dabei von Nachbeben. Die Ursache der Beben sind riesige Platten, die die Erdkugel bedecken. Diese Platten sind ständig in Bewegung. Sie schrammen aneinander entlang, rempeln sich an und schieben sich übereinander und untereinander. Dadurch werden Spannungen aufgebaut, die sich plötzlich in einem Erdbeben entladen können. Dabei kommt es in den Platten zu Rissen und Brüchen.

Die starken Erdstöße waren auch in Tibet und im Norden Indiens zu spüren

Und warum die Nachbeben? „Man kann sich das ein bisschen so vorstellen wie bei einem zerknüllten Papier“, sagt Experte Nicolai Gestermann. Nachdem man es zerknüllt hat, bewegt es sich weiter, knistert und blättert. Bei einem Beben sind sozusagen Teile der Erdplatten zusammengeknüllt worden, die danach weiter in Bewegung sind. Solche Nachbeben können noch Monate nach dem großen Beben auftreten, sagen Experten. Sie werden aber immer schwächer – bis die Erde wieder zur Ruhe kommt.

Die starken Erdstöße waren auch in Tibet und im Norden Indiens zu spüren. Auch in der rund tausend Kilometer entfernten Hauptstadt Neu-Delhi liefen die Menschen auf die Straßen, Gebäude schwankten, die U-Bahn wurde vorübergehend angehalten. Im von China kontrollierten Tibet stürzten nach offiziellen Angaben mehrere Häuser ein.