Anklam . Schon vor 120 Jahren wurden Fotos manipuliert - historische Aufnahme mit dem Flugpionier Lilienthal als Montage entlarvt.

Der Flugpionier Otto Lilienthal (1848-1896) schwebt mit seinem Hängegleiter über einer Stadt mit Kirchturm und Häusern, im Vordergrund des Bildes eine idyllische Wasserfläche. Das Foto, das von 1894 stammen soll, lässt ein weiteres verwegenes Abenteuer Lilienthals vermuten, der zwei Jahre später an den Folgen eines Flugunfalls starb. Doch die Aufnahme ist nach Angaben eines Experten ein Fake, eine Montage: Sie zeige zwar Lilienthal bei einem seiner Flugversuche - allerdings nicht über der Stadt, die sich unter seinen Füßen ausbreite.

Mitarbeiter des Otto-Lilienthal-Museums in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern haben jetzt das Rätsel um dieses ungewöhnliche Bild gelöst, das zusammen mit dem fotografischen Nachlass bereits seit 1999 im Museum verwahrt wird. „Die Skyline gehört zu Spandau, einer damals noch eigenständigen Stadt vor den Toren Berlins“, sagt Museumsdirektor Bernd Lukasch der Deutschen Presse-Agentur. Anhand von aktuellen Bildern und einem Besuch hat er den Standort identifiziert.

Faken ohne Photoshop

Ein genauer Blick auf das Bild zeige, dass sich der Hintergrund um den fliegenden Lilienthal heller vom Himmel abhebe. Lukasch vermutet: Der Fotograf hat auf den großformatigen Kollodium-Papierabzug mit der Skyline Spandaus ein zweites Glasnegativ gelegt und - wie damals üblich - in der Sonne belichtet. Das Original-Bild vom fliegenden Lilienthal entstand am Hauptmannsberg bei Stölln - seinem favorisierten Flugplatz. Es wurde 1893 vom Lilienthal-Fotografen Alex Krajewsky gemacht und dieser hatte - so fügt sich die Geschichte eventuell zusammen - sein Atelier in Spandau.

Der englische Luftfahrt-Historiker Charles Gibbs-Smith bezeichnet Lilienthal als den vielleicht ersten „Medien-Star“. Die fotografische Dokumentation der Flüge sei ihm fast ebenso wichtig gewesen wie seine Flugversuche selbst. Vielfach lud der Pilot Fotografen zu seinen Experimenten ein, um seine Flugapparate wie auch die Flüge dokumentieren zu lassen.

„In Berlin kamen damals zwei innovative Entwicklungen zusammen: die Erfindung der Momentfotografie und die Flugversuche von Lilienthal“, sagt Museumschef Lukasch. Eine glückliche Fügung, die dazu führte, dass es von Lilienthals Flugversuchen vor 120 Jahren noch heute vergleichsweise viele Aufnahmen gibt.

Lilienthal war nicht kamerascheu

Lilienthal war also sicher nicht kamerascheu. Doch der Experte Lukasch glaubt nicht, dass der Hängegleiter-Pilot die Aufnahme mit der Spandau-Skyline zu PR-Zwecken anfertigen ließ, und führt dafür zwei Gründe an: „Das spektakulär anmutende Foto wurde nie veröffentlicht - ist einmalig nur im Lilienthal-Nachlass zu finden.“ Zudem sei der Ingenieur Lilienthal kein Hochstapler gewesen - zu sehr war er Techniker und trotz seiner waghalsigen Flugexperimente auf Seriosität bedacht.

In einem Vortrag im Jahr 1894 vor der Polytechnischen Gesellschaft in Berlin versuchte Lilienthal, die Begeisterung an seinen Flügen zu dämpfen: „Zum Schluss möchte ich Sie noch bitten, das von mir Erreichte nicht für mehr zu halten, als es an und für sich ist. Auf den Photographien, wo Sie mich hoch in der Luft dahinfliegen sehen, macht es den Eindruck, als wäre das Problem schon gelöst. Das ist durchaus nicht der Fall.“ Vielmehr - so Lilienthal weiter - sei das bisher Erreichte für den Flug der Menschen nichts anderes als die ersten unsicheren Kinderschritte für den Gang des Mannes.

Lukasch geht deshalb eher davon aus, dass es sich bei dem Bild vom fliegenden Lilienthal über Spandau um ein originelles Scherzgeschenk des Fotografen an den Flugpionier handelt - möglicherweise zum Geburtstag. (dpa)