Freya Hoffmeister hat das Abenteuer gewagt – allein im Kajak. 24.000 Kilometer hat sie hinter sich. Eine Reise auch voller Todesangst.

Eigentlich hatte sie sich auf die warmen Gefilde Südamerikas gefreut. Auf Ecuador, Trinidad, Venezuela – das klingt schon nach Urlaub. Nach Sonne. Nach Strand. Nach endlos schönen Paddeltagen. Doch Tourtag 668 ist der blanke Horror. Nichts geht mehr.

Freya Hoffmeister hat Salzwasser getränkte Wunden. Bakterielle Infektionen nagen an ihrem Körper. Und seit dem Panamakanal hielt der Atlantik nur Gegenwind für sie bereit. Im Norden Brasiliens, an einer traumhaft schönen, aber auch gottverlassenen Sandstrandküste, bricht die Extrem-Paddlerin ihre Tour ab. Mit letzter Kraft schleppt sie sich in den Ort Humberto de Campos, wo die dritte Etappe ihrer Südamerika-Umrundung sehr unglamourös endet. „Ich war psychisch und physisch am Ende“, sagte die Extremsportlerin damals. „Aber ich komme zurück.“

Heute, ein Jahr später, ist die Hochseepaddlerin aus Husum zurück. Mehr noch. Sie ist am Ziel ihrer Reise. Als erster (und vermutlich letzter) Mensch der Welt hat sie den südamerikanischen Kontinent umpaddelt. Allein. In einem Kajak. Mit nichts als ihrer Muskelkraft. Übermorgen, am 1. Mai, wird sie in den Hafen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires einfahren. Dort, wo ihre Reise vor fast vier Jahren begann. Hinter ihr liegen dann 24.000 Kilometer, 850 Paddeltage und 13 Länder. Sowie die Umrundung der berühmtesten Landspitze der Welt: Kap Hoorn.

Nahe Kap Hoorn musste die Paddlerin notgedrungen fünf Tage im Geröll zelten

Schon Silvester 2011, ganz am Anfang ihrer Reise, umfuhr Freya Hoffmeister diese berüchtigte Landmarke, bekannt für unvorhersehbare Wetterkapriolen und zahlreiche Schiffsunglücke. Auch Hoffmeister hatte grauenhafte Witterung. Neun Kilometer sind es von der letzten Querung bis zur Isla Hornos, dem südlichsten Punkt Südamerikas. Üblicherweise paddelt die Extremsportlerin das in zwei Stunden. Aber der kräftige Westwind kam früher als erwartet. Meterhohe Wellen schlugen auf das Kajak, gut einen Kilometer vor dem Kap musste Hoffmeister umkehren. Auch zurück ging nichts mehr. In einer felsigen Bucht musste sie notlanden, ihre letzte Chance.

Fünf Tage blieb sie in der Notlande-Bucht, schlug ihr Zelt in einer Geröllwüste auf, umtost vom Wind, demoralisiert. In ihrem Blog notierte sie: „Niemals, niemals wieder will ich so eine Erfahrung machen.“ Am Ende umfuhr sie das Kap gegen den Uhrzeigersinn, gegen den Wind, gegen die Strömung. „Wenn man dort abgetrieben wird, ist der nächste Halt die Antarktis.“ Oder der Tod. Ein argentinischer Freund war zuvor im Sturm ertrunken.

Die 50-Jährige hat viel riskiert auf dieser Reise. Das geht schon ihr ganzes Leben so. Früher hat Freya Hoffmeister geturnt, später Bodybuilding gemacht, dann war sie Fallschirmspringerin. Mit 22 Jahren kaufte sie eine Eisdiele in Husum. Bald besaß sie sieben Filialen, inzwischen sind es nur noch zwei. Sie ist Mutter eines Sohnes. „Der nimmt meine Reisen relativ gelassen“, sagte sie vor Reisebeginn. Da hatte sie schon die Südinsel Neuseelands und Australien im Boot umrundet.

Südamerika, die viertgrößte Landmasse der Erde, war allerdings ein anderes Kaliber. „Es ist einiges nicht perfekt gelaufen“, sagt Hoffmeister. Deshalb hat ihr Wahnsinnstrip auch ein Jahr länger gedauert als angenommen. Geplant hatte sie, den Kontinent in drei Etappen zu umrunden. Am Ende sind es vier geworden. Hoffmeister: „Zum einen habe ich die Distanz unterschätzt. Andererseits musste ich zweimal außerplanmäßig nach Hause, was mich zurückgeworfen hat. Meiner Mutter ging es nicht gut, und ich wollte Weihnachten mit ihr verbringen.“

Hinzu kamen lebensbedrohliche Grenzerfahrungen, nächtliche Begegnungen mit Unbekannten, die im Schein von Taschenlampen ihr Zelt in­spizierten und Tiererlebnisse. Jede Menge Tiererlebnisse. Sie ist mit Buckelwalen und Delfinen vor der argentinischen Küste gepaddelt, hat den Pazifik mit südamerikanischen Seebären geteilt, traf auf Pinguine und wich Portugiesischen Galeeren, einer giftigen Quallenart, aus.

„In der Karibik hatte ich meine vielleicht skurrilste Begegnung“, sagt sie. An einem Traumstrand wurde die Camperin nachts aus dem Schlaf gerissen, ihre Zeltwand: aufgeschlitzt. Direkt neben ihr hörte sie nur Scharren, eine Meeresschildkröte. „Beim Graben ihrer Bruthöhle hat sie glatt mein Zelt zerstört.“ Ärgerlich und schön gleichermaßen. Aber wirklich fertig gemacht haben sie die Moskitos.

Vorher hatte sich Freya Hoffmeister auf die Ostküste des Kontinents gefreut. Aber die schwüle Hitze in Kombination mit Moskitostichen habe zur Zwangspause geführt. „Ich glaube, ich hatte zuletzt sämtliche Pilze, die man haben kann, angefangen beim Fußpilz“, sagt sie. „Venezuela zum Beispiel: Tolles Land, tolle Strände, aber diese Hitze, die Luftfeuchtigkeit. Tagsüber Salzwasser, nachts Schweiß, da heilt nichts. Am Ende hatte ich regelrechte Löcher in den Beinen. Das macht mürbe.“

Ihre Tage während der Tour sind abwechslungsreich und eintönig zugleich: Bei Sonnenaufgang raus aufs Wasser, vor Sonnenuntergang runter vom Wasser, jeden Tag ein neues Ziel. Besonders das Landen an offenen Stränden mit Brandung ist schwierig. Brechende Wellen können Boot und Mensch gefährlich werden. Bei Starts ist es das Gleiche. Nicht zu vergessen der Tidenhub von bis zu zwölf Metern, Bei Ebbe mussten Boot und Gepäck geschleppt werden. Hundert Kilogramm.

Schon die Logistik davor war aufreibend: Boot und Ausrüstung mussten verschifft werden, Hoffmeister brauchte in fast allen Ländern Genehmigungen und Karten für die Küste. 25 Kilogramm wiegt das Boot selbst, 75 Kilogramm Gepäck passten ins Kajak, hauptsächlich Essen, Wasser, Klamotten, Zelt, ein GPS-Gerät, ein Satellitentelefon und einen Funksender für die Ortung im Notfall.

Vor Cayenne in Französisch Guyana hätte sie den Peilsender fast gebraucht. „Ich musste nachts mit gewaltigen Brechern kämpfen. Ziemlich weit vor der Küste war mir diese Gewalt neu. Die Wellen kamen von allen Seiten. Vier bis fünf Stunden musste ich durchpaddeln, um nicht gegen die Felsküste gedrückt zu werden. Dabei habe ich zwei Eskimorollen hingelegt, wichtig war da nur: im Boot bleiben. Gerettet hätte mich dort keiner.“

Sie ist eine Getriebene, versucht Risiken zu vermeiden, geht aber trotzdem welche ein. Vor vier Jahren, als sie diese Wahnsinnstour noch vor sich hatte, beantwortete sie die Frage nach dem Sinn noch mit einer Gegenfrage: „Warum steigen Menschen auf Berge? Weil sie da sind.“ Es gebe keinen tieferen Sinn in ihrem Handeln, es sei vielleicht sportlicher Ehrgeiz.

Die brasilianische Küste mit ihren starken Winden lehrte sie Demut

Ein Ehrgeiz, der in Brasilien seinen Meister fand. Die Küste des größten südamerikanischen Landes zwang sie vor einem Jahr nicht nur zur zwischenzeitlichen Aufgabe, auch nach ihrer Rückkehr blies der Wind vor dem Dünengebiet des Parque Nacional dos Lençóis Maranhenses so unerbittlich, dass sie die Richtung wechseln musste und diese Passage gegen den Uhrzeigersinn von Fortaleza in Richtung São Luís absolvierte.

Schon davor war ihr das Amazonasdelta fast zum Verhängnis geworden. Pororoca, der große Lärm, hätte sie beinahe getötet. Pororoca wird eine Amazonaswelle genannt, die den Strom bei Flut hinaufläuft. „So ein Ding hat mich nachts erwischt, als ich mich auf einer Sandbank ausgeruht habe.“ Erst habe sie gedacht, es nähere sich ein Regenschauer. „Aber dann kam diese Welle, die wuchtiger war als alles, was ich bisher erlebt hatte. Sie schleifte mich acht Kilometer Richtung Inland, hatte Treibholz im Gepäck und warf mich aus dem Boot. Ich hatte Todesangst.“

Unterm Strich war dieser Wahnsinnstrip wohl mehr Tortur als Tour. Zwischenzeitlich hatte sie mehrere Kilogramm Gewicht verloren, ihre letzten Blogeinträge verfasste sie fast erleichtert aus dem kühlen argentinischen Herbst. Zuletzt klang es immer mehr so, als sei sie froh, dass ihre Reise nun ein Ende findet. Ein gesundes Ende.