Nach der Tragödie mit womöglich mehr als 900 Opfern wurden zwei Männer festgenommen. In der EU entbrennt eine hitzige Debatte.

Nach der Flüchtlingskatastrophe mit womöglich mehr als 900 Opfern im Mittelmeer haben die italienischen Behörden den Kapitän und ein Crewmitglied des Unglücksboots festgenommen. Den Männern werde Begünstigung illegaler Einwanderung vorgeworfen, sagte Staatsanwalt Rocco Liguori in der Nacht zum Dienstag. Zudem wird dem aus Tunesien stammenden Kapitän mehrfache fahrlässige Tötung im Zusammenhang mit der Havarie zur Last gelegt. Bei dem Crewmitglied handelt es sich um einen syrischen Staatsbürger. Die Verdächtigen wurden an Bord eines Rettungsschiffs verhaftet, das 27 Überlebende der Katastrophe nach Italien brachte.

Nach dem womöglich bislang schlimmsten Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ringt die Europäische Union um eine angemessene Reaktion. Für den kommenden Donnerstag wurde in Brüssel ein Krisengipfel anberaumt. Auf der Agenda soll vor allem der Kampf gegen Menschenhändler stehen. Dazu kursiert bereits ein 10-Punkte-Plan, der unter anderem „zivil-militärische“ Maßnahmen zur Festsetzung und Zerstörung von Schleuserbooten vorsieht. Als Vorbild soll die Anti-Piraterie-Mission der EU vor der Küste Somalias dienen.

Forderungen an die EU

Auch Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi drängte die EU, den Fokus darauf zu legen, das Ablegen weiterer Flüchtlingsboote von Libyen zu verhindern. „Wir haben es mit einer organisierten kriminellen Aktivität zu tun, bei der viel Geld gemacht, aber viele Leben ruiniert werden“, sagte er bei einer Pressekonferenz mit seinem maltesischen Kollegen Joseph Muscat. Renzi verglich das Gebaren der Schleuser mit jenem von Sklavenhändlern vergangener Jahrhunderte.

Renzi forderte vor allem eine Stabilisierung der Lage in Libyen. Von dort starten besonders viele Flüchtlinge in Richtung Europa, weil es kaum noch eine funktionierende Staatsmacht gibt. Einen Einsatz von Bodentruppen schloss Renzi aus.

Weitere Flüchtlinge in Seenot

Zudem meldete er neue SOS-Rufe zweier Boote nahe der Küste Libyens. Sie stammten von einer Rettungsinsel mit 100 bis 150 Flüchtlingen und einem Boot mit weiteren rund 300 Personen an Bord, sagte Renzi. Zuvor hatte die Internationale Organisation für Migration mitgeteilt, ein Anrufer habe gesagt, 20 Menschen seien bereits tot. In Griechenland kamen drei Menschen ums Leben, als ihr Flüchtlingsboot vor der Insel Rhodos auf Grund lief.

Renzi und Muscat wollten eigentlich über Konsequenzen aus der Flüchtlingskatastrophe vom Wochenende beraten: Vor der Küste Libyens war ein Flüchtlingsschiff gekentert und gesunken. Die genaue Zahl der Menschen an Bord war auch am Montag nicht klar. Die Angabe eines Überlebenden aus Bangladesch über mehr als 900 Menschen an Bord sollte noch überprüft werden. Er sagte der Staatsanwaltschaft zudem, rund 300 der Insassen seien von Schmugglern in den Laderaum des Fischerboots gesperrt worden.

Geborgen wurden zunächst 24 Leichen, die zur Bestattung nach Malta gebracht wurden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Hunderte weitere Menschen bei dem Unglück ums Leben kamen.

Seit vergangener Woche sollen mit dem jüngsten Unglück bis zu 1300 Migranten im Mittelmeer ihr Leben verloren haben. Rund 400 Menschen ertranken offenbar bei einem vorangegangenen Schiffsunglück am 13. April. Die Tragödien haben die Kritik an der EU anschwellen lassen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Europäische Union angesichts der jüngsten Flüchtlingskatastrophen auf, ihre Unterstützung für die Mittelmeeranrainerstaaten Italien, Griechenland und Malta zu beschleunigen. Die vor Krieg und Verfolgung flüchtenden Menscen bedürften dringend „unseres Schutzes“, sagte er.

Die wahrlich „gigantische menschliche Tragödie“ zeige die Wichtigkeit auf, sich mit der Not der Migranten zu befassen und hart gegen die Kriminellen durchzugreifen, die die Flüchtlinge ausbeuteten.