Venedig. Gegen den Massenansturm von Touristen formiert sich Widerstand. Bürgerinitiative in Venedig fordert Veränderungen.

„Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See ...“ Diese Zeile aus „La Paloma“ galt früher für Matrosen, heute schildert sie die Stimmung von Millionen Urlaubern. Mit dem Frühling hat wieder die Hochsaison der Kreuzfahrten begonnen. Noch nie verbrachten so viele Menschen ihre Freizeit auf schwimmenden Hotels, und die Branche legt jährlich um zehn Prozent zu.

Doch die Kolosse voller Pauschalurlauber sind längst nicht mehr überall wohlgelitten. In Venedig, dem wichtigsten Kreuzfahrthafen Europas, haben sich wütende Bürgerinitiativen gegen die „grandi navi“ formiert, denn die Großschiffe schippern ein paar Meter neben Dogenpalast und Markusdom quasi mitten durch die historische Altstadt. Wenn über zehnstöckige Decks die Paläste und Kirchen wie zerbrechliche Modellbauten erscheinen lassen, tut der Anblick weh – jedenfalls vom Festland aus. Aber auch in anderen fragilen Stadtlandschaften wie Rhodos, Dubrovnik, La Valetta bricht der Ausnahmezustand aus, wenn auf einen Schlag Tausende in die schmalen Gassen einfallen und alles verstopfen.

Gleichzeitig bedeuten Kreuzfahrten einen raren Geldsegen. Liegegebühren spülen Millionen in die Staatskassen, und die große Zahl der Kurzbesucher lässt auch noch den letzten Nippesstand und die unscheinbarsten Imbissbude ein paar Euro verdienen. Die andere Frage ist, ob diese Form des Gruppenreisens die Destinationen nicht in einen historistischen Rummelplatz verwandelt, der abseits der Landgänge verödet. Die Bewohner, deren Bäckereien und Fleischereien den Kramläden weichen, klagen auch über die Abgase der Kreuzfahrtschiffe. Solche Gefährdungen durch maritime Großtechnik lassen sich durch Filter und Elektroanschluss lösen. Heikler ist es mit der Anzahl der Gäste, die auf manchen Inseln wie Santorini oder Capri wie die Heuschrecken einfallen und sogar die Hotelgäste vor Ort in einen Zustand der Klaustrophobie versetzen. Und die Schiffe werden immer größer, denn nur über die Masse sind die Billigpreise wieder hereinzubekommen. Weltmarktführer Caribbean betreibt Riesendampfer mit über 350 Metern Länge, die 4600 Passagieren Platz bieten. Gewöhnlich sind solche Kaliber nur in der Karibik unterwegs.

Brechen die Passagiere zu ihren Besichtigungstouren auf, kommen auf einen Schlag ein paar Dutzend Busladungen von Menschen gleichzeitig an den Sehenswürdigkeiten an. Die Logistik verkraftet das kaum noch. Die Vatikanischen Museen beispielsweise sind dem Andrang bereits nicht mehr gewachsen und fordern Normalbesuchern stundenlanges Schlangestehen ab. Das eh schon überfüllte Rom liegt eben nur scheinbar im Binnenland und wird vom Kreuzfahrthafen Civitavecchia ebenso pausenlos bespielt wie Florenz von Livorno aus. Aber auch die baltische Route mit Stockholm, Riga, Tallin, St. Petersburg bringt manche Stadt an die Grenzen ihrer Kapazität.

Inzwischen haben die Kreuzfahrtgesellschaften ihr Geschäft diversifiziert, um jedem Interesse etwas zu bieten. Längst gibt es Golf-Kreuzfahrten, Musik-Kreuzfahrten, Garten- oder Motorsport-Kreuzfahrten. Touren für Gourmets gehören ebenso dazu wie Singlereisen. Opernsänger, Literaten, Künstler stehen den Touristen mit Vorstellungen, Lesungen, Workshops zur Verfügung. Wer mag und die nötigen gut 147.000 Euro übrig hat, der kann 2016 sogar in 337 Tagen von Hamburg aus die ganze Welt umrunden.

Derzeit ist im französischen Saint Nazaire das größte Kreuzfahrtschiff aller Zeiten im Bau. Die „Harmony of the Seas“ wird auf 16 Decks knapp 5500 Passagieren Unterkunft bieten und gleich mehrere Wasserrutschen und ein Gewächshaus beherbergen. Gäste können sich ihren Drink von Barrobotern mixen lassen, die das Getränk mit einem Liedchen ausliefern. Und wer eine Innenkabine gebucht hat, bekommt in diesem künstlichen Biotop per Bildschirm seinen virtuellen Balkon mit Fernsicht geboten.

Solch eine schwimmende Kleinstadt jagt vielen Menschen an Land Schrecken ein. In Venedig, wo bisweilen zwölf Kreuzfahrtriesen am Tag vor Anker liegen, hatte der Bürgermeister nach massiven Bürgerprotesten per Dekret das Anlanden von Schiffen über 96.000 Gross-Tonnage verboten, weil die Riesendimensionen die empfindlichen Kanäle unterspülen. Ein Verwaltungsgericht hat diesen Beschluss nach Klagen der Reedereien wieder aufgehoben. Doch dürfte das einstweilen ungebremste Wachstum der Branche auch die Proteste steigern, denn von den weltweit knapp 40 Milliarden Dollar Branchenumsatz haben immer mehr Betroffene auch gehörige Nachteile. In Dubrovnik, in Amsterdam – immer öfter fragen die Bewohner nach den Grenzen der Belastung.