Leipzig. Eine historische Glocke schwingt so stark, dass sie die Statik des neuen Turms der Trinitatis-Kirche in Leipzig bedroht

Bedrohungen von außen gehören zur Historie der Leipziger Trinitatiskirche und ihrer katholischen Gemeinde. Als erster katholischer Kirchenneubau in Leipzig seit der Reformation 1847 geweiht, stand das neogotische Meisterwerk nicht einmal ein Jahrhundert im Stadtzentrum, ehe es Fliegerbomben zertrümmerten. Wie Abertausende anderer Sakralbauten wurden seine Glocken eingeschmolzen und zu Kanonen verarbeitet.

Neun Jahre nach Kriegsende ließ die SED die Ruine sprengen. Für die kleine katholische Gemeinde begann eine Odyssee. Sie war Gast in der evangelischen Universitätskirche, bevor auch diese der kommunistischen Kulturbarbarei im Mai 1968 zum Opfer fiel. Wieder gingen Leipzigs Katholiken auf Wanderschaft. Ende der 70er-Jahre stimmte die SED einem Neubau zu, der mit Spenden aus dem Westen errichtet und 1982 seiner Bestimmung übergeben wurde. Der Bauzustand der Kirche erforderte aber endlose kostspielige Reparaturen und Sanierungen.

Der Neubau der Leipziger Kirche soll 15 Millionen Euro kosten

So entschloss sich die Gemeinde zu einem Neubau einer Kirche als Zentrum für Leipzigs Katholiken und kaufte mithilfe des Bistums Dresden-Meißen ein Areal direkt neben der Straße, die nach dem Vater der Reformation benannt ist: Martin-Luther-Ring. Nach Angaben der Auftraggeber sind die Kosten auf 15 Millionen Euro gedeckelt. Es wird wohl etwas mehr werden, ist aber immer noch die Hälfte von dem, was Franz-Peter Tebartz-van Elst als Limburger Bischof für seinen Prunkbau ausgegeben hat. Am 9. Mai ist Kirchenweihe in Leipzig. Nun, kurz vor dem Fest, erlebt Propst Gregor Giele das, was inzwischen selbst der Papst öffentlich geißelt: dass die katholische Kirche von innen bedroht ist. Schuld daran ist in Leipzig ausgerechnet die einzige Glocke, die – einem Wunder gleich – den Zweiten Weltkrieg überstand. Sie fiel zu Boden und blieb – einem Wunder gleich – unbeschädigt. Ein Test ergab, dass sie auch klanglich intakt ist.

Das historische Instrument wäre die kleinste der sechs Glocken, die das Geläut im 50 Meter hohen Turm der Kirche bilden sollen. Im März ließen die Bauherren einen Schwingungstest durchführen mit dem Ergebnis: Die kleine Glocke schwingt 68-mal in der Minute – zu viel für den Turm.

„Die großen bräsigen richten mit ihrer Ruhe nichts an – es sind die kleinen quirligen Glocken“, sagt der Propst. Das Klangprodukt der kleinen Bimmel würde das Bauwerk zu sehr durchrütteln. „Im Interesse unserer Nachbarn sage ich ausdrücklich: Der Turm würde nicht gleich zusammenbrechen“, kommentiert er das Ärgernis in seiner typischen, leicht verschmitzten Art. „Aber wir müssten regelmäßig korrigieren, eingreifen und reagieren.“ Als „Luxus“ bezeichnet es der Geistliche, dass es immerhin drei Optionen für eine vernünftige und finanziell verkraftbare Lösung gibt. Da wäre ein Gegenpendel, das die Schwingungen der 1937 gegossenen Glocke neu­tralisieren würde. „Meines Wissens existiert so ein Konstrukt auch im Kölner Dom.“ Variante zwei wäre eine Ertüchtigung, also eine bauliche Stärkung des Turms. Und drittens könnte das historische Eisenteil gut sichtbar in der Kirche aufgestellt und dafür ein weniger schwingender Ersatz in das Geläut aufgenommen werden. Einen Favoriten hat Giele nicht. „Entscheidend für mich ist, dass die Glocke eine zentrale Funktion bei uns hat – aus historischen und emotionalen Gründen.“ Als Segen betrachtet er, dass die Glocken- ebenso wie die Orgelweihe traditionell Monate nach der offiziellen Öffnung einer Kirche erfolgt, so auch in Leipzig.

Vier Glocken werden aus der Kirche aus DDR-Zeiten mitgenommen, zwei müssen erneuert werden. Eine fünfte wird in einem Wettbewerb ausgeschrieben und nach dem Siegerentwurf gegossen. Die Weihe der Orgel soll im September sein, die der Glocken noch 2015. Das Leipziger Architekturbüro Schulz & Schulz, das für die Kirche stilistisch verantwortlich zeichnet, verweist auf „unvermeidliche Ungenauigkeiten der Modellbildung“. Auf Anfrage betont die Firma, die einen Wettbewerb 2009 gewann: „Das Gewicht der Glocken und des Glockenstuhls ist in den statischen Berechnungen für den Neubau hinreichend berücksichtigt.“ Die Statik halte den Belastungen stand. „Die Standsicherheit des Turmes ist damit zu keiner Zeit gefährdet.“

Es ist wie im wahren Leben – Theorie und Praxis stimmen nicht überein

Nur ändert das nichts an dem Problem, dass die kleine Glocke mehr schwingt, als es der Turm auf Dauer schadlos verkraften würde. Giele sagt: „Es ist wie im richtigen Leben: Theoretische Überlegungen und Berechnungen stimmen nicht immer mit der Wirklichkeit überein.“ Jetzt geht es aber allen Beteiligten darum, den 9. Mai zu halten. Das sieht bisher gut aus. Die für die Weihe unverzichtbaren Utensilien und Einbauten, die liturgischen Orte wie Altar und Ambo (Lesepult), Tabernakel, Taufstein, Priestersitz und Holzkreuz für die Ostwand werden wohl alle rechtzeitig fertig.