Berlin. Untergangspropheten erwarten das Schlimmste und schüren Ängste

Nichts habe ihn mehr in seinem Leben erschüttert und das Gefühl der „Erhabenheit“ vermittelt als jenes Ereignis, das nur zwei Minuten dauerte. „Es war nicht anders“, schrieb Adalbert Stifter, „als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hätte es verstanden.“ Mehr als 150 Jahre liegt das Himmelsschauspiel zurück, das der Autor in „Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842“ beschrieb, die er in Wien erlebte.

Der Alltag damals war von weit weniger „Events“ geprägt als der des Jahres 2015, da verwundert der Überschwang seiner Gefühle nicht sonderlich: Die Sonne verfinsterte sich vor den Augen der Menschen, für einen Moment hatte Stifter eine Ahnung von dem, was die Sonne für das Leben ist.

Morgen wird sich von 9.32 Uhr an wieder der Mond vor die Sonne schieben. Dabei werden nicht jedem die Himmelsbilder so nahegehen wie Adalbert Stifter. Aber dass jemand unberührt bleibt, ist kaum vorstellbar. Besonders aber wird der Eindruck bei jenen sein, für die eine Sonnenfinsternis nicht einfach eine astronomische Erscheinung, sondern ein Zeichen am Himmel ist.

Seit mehreren Monaten schon kursieren Abhandlungen, in denen Weltuntergangspropheten zu bedenken geben, dass eine Sonnenfinsternis noch nie ein gutes Omen war. Und diese wäre es schon gar nicht. Die „schwarze Sonne“ fällt morgen nämlich mitten in eine Tetrade, das heißt in eine Viererreihe von „Blutmonden“.

Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Bezeichnung einer Mondfinsternis: Der vom Erdschatten bedeckte Mond wird nicht mehr voll von der Sonne bestrahlt und erscheint rot – für manche „blutrot“. Die „Blutmond“-Tetrade begann am 15. April 2014 und endet am 28. September 2015. Für einige sehr bibeltreue Autoren ist es kein Zufall, dass die jeweilige Mondfinsternis immer an einem jüdischen Feiertag zu sehen war beziehungsweise sein wird.

Am 15. April 2014 war es der erste Tag des Pessachfestes, am 8. Oktober 2014 der Vorabend des Sukkot, des Laubhüttenfestes, am 4. April 2015 wird sich der Mond wieder am ersten Tag des Pessachfestes verdunkeln und rot färben und am 28. September 2015 beginnt erneut das Laubhüttenfest.

Es geschieht nur selten, dass eine „Blutmond“-Tetrade auf vier jüdische Feiertage fällt. Und die morgige Sonnenfinsternis fügt sich für die fundamentalistischen Deuter perfekt in die Reihe der vermeintlichen Zeichen. Der 20. März ist nämlich der Tag vor dem ersten Nisan, jenem Monat, mit dem in biblischer Zeit das Jahr begann.

Der US-amerikanische Geistliche Mark Biltz gehört zu den Ersten, die das besondere Zusammenspiel von religiösen Festen und Himmelserscheinungen in den Jahren 2014/2015 herausgestellt haben. Er verweist darauf, dass in den vorangegangenen Tetraden, die ebenfalls auf jüdische Feiertage fielen, sich immer etwas historisch Bedeutsames für das Judentum ereignet hätte. So fiel die Tetrade 1949 bis 1950 in die Zeit der Neugründung des Staates Israel, während der „Blutmond“-Viererreihe 1967 bis 1968 fand der Sechstagekrieg statt. Es könnte sich also wieder etwas Besonderes für Israel ereignen, sagt Biltz. Aber er sagt noch mehr. Er deutet die Himmelserscheinungen als Zeichen der Endzeit.

Tatsächlich sagt auch die Bibel zum Zeitpunkt des Weltendes: „Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater“ (Markus 13,32).

Schade eigentlich. Der Himmel ist so schön. Und kaum ein Ereignis führt das kosmische Zusammenspiel, die Tatsache, dass sich alles im All seit einem angenommenen Urknall bewegt, so unmittelbar vor Augen wie eine Sonne, vor die sich, für alle sichtbar, der Mond schiebt. Adalbert Stifter hat das Beglückende der Sonnenfinsternis ganz tief empfunden. Von Angst sprach er nicht.