Athen/Berlin. Griechenlands Finanzminister soll den Mittelfinger gezeigt haben, während er über die Eurokrise sprach. Bei Jauch war es das Streitthema.

Gianis Varoufakis tritt so lässig auf wie immer. Schwarzes Jackett, weißes Hemd aus der Hose, so sitzt der griechische Finanzminister am Sonntagabend vor einer Bücherwand in Athen. Er ist live in die ARD-Talkrunde von Günther Jauch zugeschaltet. Erstmals hat Varoufakis so die Chance, sich persönlich an ein Millionenpublikum in Deutschland zu wenden - nicht unwichtig, schließlich sind die Steuerzahler Athens größte Gläubiger.

Varoufakis und der im Berliner Studio sitzende bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) spielen sich die Bälle zu - jeder bleibt im Schuldenstreit bei seinen Positionen. Das war zu erwarten. Der Grieche bekommt viel Beifall.

Der Stinkefinger

Dann aber spielt Jauch ein Video ein, um den schillernden Werdegang von Varoufakis vorzustellen. Der sei im Mai 2013 bei einer Konferenz in Zagreb aufgetreten und habe eine klare Botschaft an die Deutschen ausgesprochen: Zeigt Berlin den Stinkefinger - passend dazu wird eingeblendet, wie Varoufakis die obszöne Geste zu machen scheint.

Der Grieche ist empört: Das Video sei ein Fake, der Stinkefinger hineinmontiert worden. „Das ist getürkt. Das hat es nicht gegeben“, schimpft er. Er schäme sich, dass ihm so etwas zugetraut werde. Er glaube aber, dass Jauch von der Fälschung nichts gewusst habe. Der ARD-Startalker verspricht den Zuschauern rasche Aufklärung.

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Schon zuvor war Varoufakis am Wochenende international in den Schlagzeilen. Ein paar Tage ist es her, da holt sich Varoufakis Reporter und Fotografen des französischen Promi-Magazins „Paris Match“ in sein Penthouse. Beste Athener Lage, Blick auf die Akropolis. Dazu die attraktive Gattin, ein Glas Wein und leckere Speisen - für die vielen Arbeitslosen in Griechenland dürften diese Bilder eine Provokation sein.

„Ich bereue es“

Dann rudert der smarte Varoufakis zurück: „Ich bereue es“, sagt er im griechischen Fernsehen. Er habe mitgespielt, weil der Begleittext für sein Land so positiv gewesen sei. Der Fauxpas dürfte ins Bild passen, das die Euro-Finanzminister sich längst von dem hemdsärmeligen Ökonomen, Blogger und Autor gemacht haben. Viel Show, wenig Substanz, viele gebrochene Versprechen.

Noch braucht Premier Alexis Tsipras den „Rocker“ Varoufakis. Er soll die sich anbahnende Wende, weg von Wahlversprechen und hin zu mehr Sparen, der Welt in perfektem Englisch und bewusster Dosierung verabreichen. Der Macher in Sachen Finanzpolitik ist ohnehin Vizeregierungchef Giannis Dragasakis. Ein besonnener Ökonom, der weiß, dass Athen am Ende wird nachgeben müssen.

Noch aber sind die Hardliner am Drücker - allen voran Panos Kammenos. Der Rechtspopulist, Chef der Unabhängigen Griechen und damit Juniorpartner in Tsipras’ Links-Rechts-Koalition, rührt im „Bild“-Interview einen giftigen Cocktail zusammen, von Schäubles Verwicklung in die CDU-Parteispendenaffäre bis zu Hunderttausenden Flüchtlingen, die er losschicken will, wenn Berlin gerade bei den umstrittenen Weltkriegs-Entschädigungen nicht spurt.

Griechische Diplomaten fassungslos

Viele griechische Diplomaten sind fassungslos. „Wir fahren mit Vollgas gegen die Wand“, heißt es. Das Verhältnis zwischen Athen und Berlin sei so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wer an diesem Wochenende die griechischen Sonntagszeitungen aufschlägt, glaubt, eine kriegerische Auseinandersetzung stehe bevor. „Die Schlacht um Berlin“, lautet der Tenor der Traditions-Sonntagszeitung „To Vima“.

Andere Kommentatoren rufen zur Mäßigung auf. Die Rückgriffe in die Nazi-Zeit seien gefährlich. Athen und Berlin dürften den weltpolitischen Blick nicht verlieren. Eine Eskalation des Schuldenstreits mit einem Euro-Austritt Griechenlands würde nicht nur Populisten in Spanien und Frankreich, sondern auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen: „Er wartet auf die Amputation des Fußes der EU im Südosten Europas“, meint ein Diplomat in Athen.

Während in Berlin sich niemand von Kammenos & Co. provozieren lässt, juckt es in Brüssel Martin Schulz in den Fingern. Der Sozialdemokrat und EU-Parlamentschef knöpft sich Kammenos vor („Elefant im Porzellanladen“) und berichtet von Tsipras’ Geldsorgen. Schäuble, der am Wochenende in seinem Offenburger Wahlkreis unterwegs ist, will jetzt auf belastbare Zahlen der Ex-Troika-Prüfer warten, die in Athen einen Kassensturz machen. Eine Milliardenlücke wäre keine Überraschung, weil die griechischen Steuereinnahmen zuletzt zweistellig eingebrochen waren.