Singapur.

Cool wollten sie sein, mutige Helden ihrer Szene. Jetzt bekommen sie wahrscheinlich den Hintern versohlt. Die beiden Leipziger Graffiti-Sprayer Elton H. und Andreas K. werden am Donnerstagmorgen ihr Urteil erfahren. Sie sind in Singapur angeklagt wegen Vandalismus und Hausfriedensbruchs. Beide Vergehen sind in dem südostasiatischen Stadtstaat keine Kavaliersdelikte, sondern gelten als schwere Straftaten, die mit Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden. Und eben mit der Prügelstrafe: drei bis acht Hiebe mit einem dünnen Rattanstock auf das blanke Hinterteil.

Sie werden das Urteil „akzeptieren“ und sich vor dem Richter im Singapurer State Court schuldig bekennen, sagte ihr Anwalt Christopher Bridges. Die 21-Jährigen waren bereits in Deutschland wegen illegaler Graffiti zu Jugendstrafen verurteilt worden. Sie mussten auch diesmal wissen, was sie erwartet, wenn sie erwischt werden.

Doch die beiden hatten es darauf ankommen lassen, die möglichen Strafen erhöhten wohl noch den Reiz, als sie in den frühen Morgenstunden des
8. November 2014 über den mit Stacheldraht gesicherten Zaun des U-Bahn-Depots in Bishan in Singapurs Norden kletterten und mit zwölf Sprühdosen einen Waggon bunt besprühten. Ihr Kunstwerk war nicht abwaschbar – das hätte ihnen die Strafe ersparen können. Doch für einen echten Graffiti-Künstler kommt „abwaschbar“ nicht infrage, und die beiden Leipziger hatten schließlich einen Ruf in der Szene zu verlieren.

Angestellte des Bahn-Depots entdeckten bei Dienstantritt das anderthalb Meter hohe Kunstwerk über die gesamte Breite des Wagens. „Krude Worte und Symbole in verschiedenen Farben“, so die Definition der örtlichen Behörden. Die Täter waren da längst verschwunden.

Doch nicht für lange. Obwohl die beiden Leipziger das Land schon Richtung Thailand verlassen hatten – zwei Wochen lang waren sie unbehelligt durch Südostasien gereist – wurden sie schließlich geschnappt. Am Ende ihrer Asientour kamen sie in Malaysia, Singapurs Nachbarland, an und wollten mit einem „Work- und Travelvisum“ weiter nach Australien reisen. Am Flughafen von Kuala Lumpur nahm sie die Polizei fest und lieferte sie nach Singapur aus. Dort sitzen sie seitdem im Changi-Gefängnis.

Die ältere Schwester des einen jungen Mannes bat den Stadtstaat öffentlich um Verzeihung: „Im Namen meiner Familie möchte ich mich für das, was mein Bruder getan hat, entschuldigen“, erklärte sie nach einem Gefängnisbesuch öffentlich.

Für das Eindringen in ein gesperrtes Gelände können die Angeklagten mit bis zu zwei Jahre Gefängnis und umgerechnet bis zu 650 Euro bestraft werden. Bei Vandalismus reagiert die Justiz in Singapur noch empfindlicher: Er kann mit bis zu drei Jahren Haft, 1300 Euro Geldstrafe und bis zu acht Stockschlägen geahndet werden.

Singapur ist für seine harten Strafen berüchtigt. Seine Vandalismus-Gesetze stammen noch aus britischen Kolonialzeiten, wurden aber bewusst in die neuen Gesetze integriert, als Abschreckung. 1994 hatte der Stadtstaat schon einmal Schlagzeilen gemacht, als ein US-Teenager mit Stockhieben bestraft wurde, weil er Autos und öffentliches Eigentum beschädigt hatte. Die Gnadengesuche der US-Regierung hatten damals nichts bewirkt.

Drei Jahre später wurde ein Schweizer zu sieben Monaten Gefängnis und drei Schlägen mit dem Rattanstock verurteilt. Auch er hatte einen Zug mit Graffiti „verziert“.

Die Haltung der Bundesregierung zur Prügelstrafe ist eindeutig: Straf- und Erziehungsmaßnahmen sollen auch ohne Eingriff in die körperliche Unversehrtheit auskommen. In Singapur aber werden die Stockschläge als Abschreckungs- und Bestrafungsmethode von der Öffentlichkeit vollkommen akzeptiert. Die Behörden betrachten sie als Notwendigkeit – gerade in Fällen von Vandalismus. Und im Stadtstaat gilt das Prinzip, Ausländer nicht anders zu behandeln als Einheimische – ob es nun um die Todesstrafe geht, oder um Hiebe mit dem Rattanstock.

Die Zahl der Verurteilungen ist hoch: Mehr als 2200 Personen haben laut einem Bericht des US-Außenministeriums allein im Jahr 2012 Prügel bezogen. Die Höchstzahl der Hiebe beträgt 24 bei erwachsenen Verurteilten, zehn bei Jugendlichen. Die Häftlinge müssen sich auf einem Gerüst nach vorn beugen, dann erfolgen die Schläge auf die nackten Oberschenkel oder den unteren Teil des Allerwertesten, wobei die Nieren mit einer starken Binde geschützt werden. Ein Arzt prüft derweil den Blutdruck und kann die Strafe abbrechen. Anschließend werden die Wunden antiseptisch behandelt.


„Es ist nicht unerträglich“, sagt Neville Tan, der den Stock oft zu spüren bekam

„Es ist nicht unerträglich“, sagt Neville Tan. Der ehemalige Bandenführer hat in seinen jungen Jahren im Gefängnis oft den Stock zu spüren bekommen. „Ich denke, die Tage oder die Momente vor den ersten Stockhieben überhaupt sind mental am schlimmsten, weil du nicht weißt, was dich erwartet, oder was genau passieren wird. Du bist nicht sicher, wie weh das tut. Das sind die schmerzhaftesten Momente.“

Heute ist der einstige Gangster ein Priester und berät selbst Häftlinge, auf den rechten Weg zurückzukehren. Den beiden Leipzigern hätte Neville Tan am liebsten von Herzen einen Rat gegeben, bevor sie sich für ihre Tat entschieden haben: „Das ist es nicht wert! Es wird euch nicht den Ruhm einbringen, den ihr euch erhofft! Es ist nur eine Portion eures Lebens, die ihr wegschmeißt! Ich selbst habe 15 Jahre meines Lebens weggeworfen, und ich will nicht, dass ihr dasselbe tut!“