Berliner wegen versuchten Totschlags zu fast drei Jahren Haft verurteilt. Aber offener Vollzug möglich. Weitere Übergriffe

Berlin. Nur ein einziges Mal hatte der Angeklagte Torben P., 18, im sogenannten U-Bahn-Schläger-Prozess die Fassung verloren. Als die psychiatrische Sachverständige in ihrem Gutachten davon sprach, wie sehr die Krankheiten seiner Eltern den Alltag der Familie geprägt haben, konnte der Schüler die Tränen nicht zurückhalten. Als gestern am siebten Prozesstag das Urteil gesprochen wurde, verzog er keine Mine.

Die Jugendkammer des Landgerichts Berlin verurteilte den Gymnasiasten zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten - wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Sie folgte damit im Wesentlichen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese hatte allerdings vier Jahre Haft für P. gefordert. Seine Anwälte wollen in Revision gehen.

Auf der einen Seite herrschte in Berlin Erleichterung, dass P. nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkam. Doch es gab auch Kritik, dass der Schläger seine Haft nicht sofort antreten muss und auf freiem Fuß bleibt, bis das Urteil rechtskräftig ist. "Das ist das falsche Signal für Nachahmer", sagte Opferanwältin Elke Zipperer. Auch von der U-Haft war der Schüler verschont worden. Das Gericht glaubte dem Jugendlichen seine Reue. Man wolle ihm die Zukunft nicht verbauen, sagte Richter Uwe Nötzel. Möglich ist auch, dass der Schläger seine Strafe im offenen Vollzug absitzt und in der Zeit sein Abitur macht. Er will Jura studieren.

Torben P. hatte im April einen Mann auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße angegriffen und schwer verletzt. Die zum Teil von einer Videokamera aufgezeichnete Tat hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Eine Szene zeigt, wie P. mehrfach sein hilflos am Boden liegendes Opfer tritt. Richter Nötzel sagte in der Urteilsbegründung, der stark betrunkene Gymnasiast sei in "Provozierlaune" gewesen. Die Tritte gegen den Kopf des bereits reglos auf dem Bahnsteig liegenden Opfers Ostersonnabend seien gezielt und weit ausholend von oben herabgeprasselt. "Er erkannte die Gefährlichkeit der Tritte" - auch, dass er den heute 30-jährigen Installateur hätte tödlich verletzen können. "Das nahm er hin", hieß es.

Das Schicksal des Opfers Markus P. sei dem Angeklagten egal gewesen. Der Handwerker fiel durch die Gewaltorgie in eine extrem tiefe Bewusstlosigkeit. "Er hätte ersticken können", betonte Nötzel. Zugleich hielt das Gericht den Angeklagten wegen seiner Alkoholisierung für vermindert schuldfähig. Das Opfer folgte der Urteilsverkündung mit gesenktem Kopf. Im Verfahren hatte Torben P. die Tat gestanden. Hinsichtlich der Tritte verwies er auf Erinnerungslücken, da er betrunken gewesen sei. Zu Prozessbeginn hatte der Schüler gesagt: "Die Tat ist eine Schweinerei."

Das Video von dem Übergriff hatte in Deutschland Entsetzen ausgelöst. Es schloss sich eine heftige öffentliche Debatte über den Umgang mit jugendlichen Gewalttätern sowie die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr an. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) zeigte sich zufrieden mit dem Urteil. Der Bundesvorsitzende Rainer Wendt sagte, das Gericht habe sich offensichtlich nicht von der "Theatervorstellung" des jungen Mannes beeindrucken lassen. Der Angeklagte habe den Eindruck erwecken wollen, die Tat sei nur ein Ausraster gewesen. Das habe ihm das Gericht offenbar nicht geglaubt.

Das Urteil sei im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen der Berliner Justiz zu sehen, sagte Wendt und nannte als Beispiel die am Sonntag ergangenen Haftbefehle gegen zwei junge Männer, die zusammen mit anderen am U-Bahnhof Kaiserdamm einen 23-Jährigen angegriffen hatten. Dieser war geflüchtet und dabei von einem Auto erfasst und tödlich verletzt worden. Den Verdächtigen wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Den Ermittlern sind die 21 und 22 Jahre alten Männer, die sich selbst gestellt hatten, bereits wegen Raubdelikten und Körperverletzung bekannt. Bei den ersten Vernehmungen räumten die beiden Neuköllner ein, an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen zu sein. Sie hätten aber nichts mit dem Unfall zu tun.

Keine Angaben wollten sie zu dem dritten mutmaßlichen Angreifer machen, der weiterhin auf der Flucht ist. Wendt sagte: "Unser Eindruck ist, dass die Berliner Justiz endlich die abschreckende Wirkung konsequenter Rechtsprechung erkennt."

"Wir sind am Boden zerstört", sagte der Onkel des Opfers. Sein Neffe habe sogar einen Anti-Konflikt-Kursus besucht. Der Vater des 23-Jährigen betonte, dass sein Sohn sich freiwillig zur Bundeswehr gemeldet habe. Im Oktober hätte er den Wehrdienst bei den Gebirgsjägern antreten sollen.

Schon wenige Stunden nach diesem tödlichen Zwischenfall kam es in Berlin zu einem weiteren Überfall. Mit einem Messer wurde ein 15-Jähriger von einem Mann am U-Bahnhof Alt-Mariendorf bedroht und ausgeraubt.