Seit der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima ist die höchste bisherige Strahlung gemessen worden. Unklar ist, woher die hohe Belastung von fünf Sievert pro Stunde komme.

Berlin/Tokio/London/Köln. Rund vier Monate nach der schweren Erdbebenkatastrophe und dem anschließenden Tsunami, die das Atomkraftwerk Fukushima in Japan zerstört haben, misst die Betreiberfirma Tepco den höchsten Strahlen-Wert "innerhalb eines Kraftwerksgebäudes“ seit Beginn der Reaktorkatastrophe. Das meldet der japanische Fernsehsender NHK und beruft sich dabei auf Tepco. Am Dienstag sei im Reaktorgebäude von Block 1 der Anlage Fukushima eine Strahlung von fünf Sievert pro Stunde gemessen. In den vergangenen Tagen war zwar über Werte von mehr als zehn Sievert pro Stunde berichtet worden. Sie waren jedoch außerhalb, an einem von den Reaktorgebäuden wegführenden Rohr gemessen worden.

So reagierten internationale Atomexperten auf die extrem hohen Strahlenwerten: "Die Messwerte sind schockierend, aber nicht überraschend.“ Drei Arbeiter hätten an der Oberfläche eines Gasabzugsrohrs zwischen Block 1 und 2 des Kraftwerks "über 10 Sievert in der Stunde“ gemessen, schrieb Tepco in einer Pressemitteilung – unter "Verschiedenes“, im vorletzten Absatz, wie nebenbei. Das ist die höchste Radioaktivität, die außerhalb der Gebäude seit der Atomkatastrophe festgestellt wurde. Dass es sich dabei nicht um einen einmaligen Messwert handelte, wurde am Dienstag klar: An einer anderen Stelle des Rohr stellte Tepco erneut "über 10 Sievert“ in der Stunde fest.

"Es ist erschreckend, weil wir hier über eine tödliche Dosis sprechen“, sagte der britische Berater für Atomenergie Shaun Burnie. "Aber ich bin eher überrascht darüber, dass nach den heftigen Explosionen in Fukushima noch nicht früher solche Werte gemessen wurden.“

Der in Paris lebende Energie- und Atomexperte Mycle Schneider fordert schon seit Monaten eine Ausweitung der Messungen. "Man kann nur Radioaktivität feststellen, wo und wenn man misst. Nicht nur Tepco misst nicht genug, alle Beteiligten messen nicht genug“, beklagte Schneider. "Die Anzahl der Messstellen und Labors müsste dramatisch ausgeweitet werden.“

Die Betreiberfirma Tepco, die schon vielfach wegen schlechter Informationspolitik kritisiert wurde, hielt sich auch in diesem Fall zurück. Erst nachdem die japanische Presseagentur Jiji Press über die Messwerte berichtet hatte, legte Tepco diese ihrerseits offen. Allerdings geht aus den knappen Zeilen kaum etwas über die Herkunft der gemessenen Radioaktivität hervor. Wo die eigentliche Strahlenquelle liegt, ist deshalb noch unklar.

Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), hält es für unwahrscheinlich, dass aus einem neuen Leck Radioaktivität austritt. "Die anderen Messwerte auf dem Gelände haben sich seit Tagen nicht verändert,“ sagte Dokter. "Das deutet darauf hin, dass Tepco einfach an dieser Stelle zum ersten Mal gemessen hat und dass es da schon seit März so gestrahlt hat.“

Möglich wäre folgendes Szenario: Die beiden Blöcke 1 und 2 teilen sich einen Abluft-Schornstein. Diese wurden benutzt, als in den ersten Tagen nach dem GAU die sogenannten "Ventings“ stattfanden – also kontrollierte Entlüftungen der Sicherheitshüllen um die Reaktoren. Dabei war massiv Radioaktivität entwichen. Teile davon könnten dort im Rohr sein, an dem jetzt gemessen wurde.

Atomexperte Shaun Burnie hält jedoch ebenfalls für denkbar, dass die Strahlenquelle "frischer“ ist. "Wenn diese Radioaktivität von Anfang an dort so hoch gewesen wäre, hätte sie eigentlich schon früher bei einer anderen Messung in der Umgebung festgestellt werden müssen“, sagte er. "Ebenso plausibel ist ein neues Leck durch die Stürme und Regenfälle der vergangenen Wochen, und dadurch eine neue Freisetzung.“

Tepco versprach am Dienstag, die Messstelle abzuriegeln. In diesem Teil des Geländes seien derzeit keine Arbeiten notwendig. Von einer Ausweitung der Messungen sagte die Betreiberfirma nichts. "Dabei muss die Priorität jetzt der Schutz der Arbeiter sein“, sagte Burnie und prognostizierte: "Sie werden noch weiterhin solche katastrophalen 'Überraschungen' finden – noch monatelang, wahrscheinlich jahrelang.“

Die an einem Rohr des Atomkraftwerks Fukushima in Japan gemessene hohe Radioaktivität wird nach Experten-Einschätzung wahrscheinlich nicht in die Umgebung getragen. "Wir sind ziemlich sicher, dass es sich hier nicht um eine Freisetzung von Stoffen in die Umwelt handelt“, sagte Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), am Mittwoch in Köln.

Sei ein Mensch etwa eine halbe Stunde zehn Sievert ausgesetzt, habe er ohne Behandlung nur eine 50-prozentige Chance, die nächsten vier Wochen zu überleben, sagte Dokter. Auch in einem Raum von Block 1 soll die Strahlung stark erhöht sein. Durch diesen Raum führen nach seinen Angaben Leitungen zur Druckentlastung.

"In den ersten Tagen nach dem Unglück wurde Druck aus den Behältern abgelassen, das heißt, ein sehr hoch kontaminiertes Gemisch von Stoffen ist durch diese Leitungen und von dort durch den Schornstein gegangen“, erläuterte der GRS-Sprecher. "Da liegt die Vermutung nahe, dass sich an den Innenwänden der Leitungen und des Kamins radioaktive Stoffe festgesetzt haben. Das ist die klassische Kontamination: Radioaktive Stoffe setzen sich auf Flächen ab.“ Dies sei vergleichbar mit einem Kamin, bei dem sich an verschiedenen Stellen Ruß ablagere. (abendblatt.de/dpa/dapd)