Lauter wichtige Fragen im Achtelfinale der Autoren: Was hilft der Schweiz gegen gewohnheitsmäßig impertinente Argentinier? Und wieso um Himmels willen kopiert Lionel Messi ständig sich selbst?

Martín Kohan über die Unoriginalität Messis:

Am 29. Februar 2012 spielte Argentinien in der fernen Stadt Basel gegen die Schweiz und gewann die Partie mit einem 3:1 durch Messi. Natürlich war es ein Freundschaftsspiel, natürlich liegt es zwei Jahre zurück und natürlich muss, was einmal geschehen ist, nicht unbedingt wieder geschehen. Aber am heutigen Tag ist es nun mal die Messlatte für die Hoffnung des argentinischen Fußball: dass die Zukunft nämlich eine Replik der Vergangenheit sein wird. Dass die Zukunft, genau genommen, nicht den Gesetzen gehorcht, denen sie gehorchen muss (also von Unsicherheit und Abenteuer geprägt ist, als Hort des noch nicht Existenten und noch Unbekannten), sondern wie eine Vergangenheitsform agiert (als schon Gewesenes und Bekanntes, als schon Zutreffendes und Erprobtes).

Kann sich ein Ereignis womöglich trotzdem völlig neu und zugleich wiederholt ereignen? Ist es möglich, dass so etwas passiert? Natürlich ist es möglich. Film und Literatur liefern uns häufig Handlungen dieser Art. Und auch die bildende Kunst praktiziert so etwas seit mindestens einem Jahrhundert immer wieder. Erfindungsgeist und Wiederholung haben aufgehört, ein Gegensatz zu sein: die Wiederholung (das Zitat, das Recycling, die Kopie) hat sich zu einem Genre entwickelt.

Und das ist, muss man sagen, die Besonderheit des Spiels von Lionel Messi. Sein Genius ist nicht einfallsreich im konventionellen Sinn: Er tut nichts nie Gesehenes, er tut nichts nie Getanes. Er macht, was er schon einmal gemacht hat, er tut, was man schon gesehen hat, und gerade auf diese Weise gelingt es ihm irgendwie, so seltsam das auch klingen mag, uns zu überraschen und in Erstaunen zu versetzen. Ein aktuelles und beredtes Beispiel ist der Freistoß, den er gegen Nigeria verwandelt hat.

Warum hat es Enyeama, der nigerianische Torwart, nicht geahnt und sich dem Ball entgegengeworfen und ihn aufgefangen, wo doch Messi nur Minuten zuvor die Blaupause eines genau gleichen Freistoßes gegeben hatte und Enyeama sich in die Luft werfen, den Ball halten und das Tor hatte verhindern können? Genau deswegen. Genau deswegen konnte er es nicht, weil er nicht erwartet hatte, dass Messi exakt das Gleiche tun würde wie zuvor. Es handelt sich zweifelsohne um einen außergewöhnlichen Fall: den der Überraschung, die überraschend wirkt, weil etwas wiederholt geschieht und nicht, weil es völlig neu ist. Das Kunstwerk als Reproduktion, das Gleiche zu tun, aber mit einem anderen Ergebnis, das ist Messis Spiel; seine größte Glanzleistung ist keine andere als diese.

Ob er sein Markenzeichen auf eine ganze Mannschaft übertragen kann? Ob er es über die ganze Spieldauer ausdehnen kann? Möge der Nachmittag in San Pablo eine Replik des Abends in Bern sein. Möge sich die Geschichte wiederholen. Einmal in Gestalt eines Sieges. Und von Neuem in Gestalt eines Sieges.

Linus Reichlin über die gebotene Taktik der Schweiz:

Der Argentinier ist von Natur aus impertinent. 1981 beispielsweise wollte ich am Schalter einer Überlandbusgesellschaft im östlichen Teil des Landes gelegenen San Miguel de Tucumán eine Fahrkarte umtauschen. Ich hatte irrtümlich die nordwärts führende Strecke Tucumán–Asunción gebucht anstatt die ins südliche Rosario.

Als ich dies dem Schalterbeamten erläuterte, zeigte er mir als Erstes eine Landkarte Argentiniens. Er behauptete, nicht einmal un hippie loco wie ich könne so dumm sein, zwei so unterschiedliche Himmelsrichtungen wie Norden und Süden zu verwechseln. Folglich glaube er mir nicht. Er glaube vielmehr, dass ich die Fahrkarte nach Asunción jemandem gestohlen habe und nun versuche, sie bei ihm zu Geld zu machen.

Ich sagte, ich wolle das Ticket ja nicht verkaufen sondern umtauschen. „Ja!“, sagte er. „Weil die Fahrt nach Asunción weniger kostet als die nach Rosario!“ Ich sagte: „Senior, por favor, ich kann Ihrer Logik nicht folgen! Ich bin ja bereit, den Aufpreis zu bezahlen!“ „Ach“, sagte er, „sind Sie das?“ Und von welchem Geld, bitte schön, ich denn den Aufpreis bezahlen wolle? Ob ich dem Betreffenden etwa auch noch die Brieftasche gestohlen habe?

Am Grinsen seines argentinischen, folglich impertinenten Assistenten merkte ich nun, dass es sich wohl um eine incineración handelte, eine argentinische Verarschung: Der Chef wollte seinem Untergebenen zeigen, wie man mit einem langhaarigen gringo suizo umgeht.

Also sagte ich: „Senior, ich stelle fest, Sie meinen das alles gar nicht ernst. Das beruhigt mich. Denn einen Moment lang glaubte ich tatsächlich, dass Sie den Unterschied zwischen den Bruttosozialprodukten unserer beiden Länder nicht kennen. Ich meine, wenn es in diesem Land jemand nötig hat, einem anderen die Busfahrkarte zu klauen, dann doch wohl ein Argentinier und nicht ein Schweizer. Man könnte noch weiter gehen und sagen: Wenn in diesem Land jemand Oppositionellen die Finger verdreht, dann gleichfalls ein Argentinier und kein Schweizer. Darin sind wir uns ja wohl einig.“

Und genau so muss man mit den Argentiniern auch im Fußball umgehen: Einfach offensiv reintreten! Dann fällt ihnen nämlich nur eins ein: die Polizei zu rufen. Während der Assistent mir den Kopf auf den Verkaufstresen drückte, hörte ich den Beamten mit der Polizei telefonieren, er sagte: „Und bringt auch gleich ein paar tausend Volt mit.“ Es stellte sich heraus: Auch das war letztlich nur ein Scherz. Ich kriegte zwei in die Fresse, und dann war’s gut. Und jetzt hopp Schwiiz!!, zahlt’s ihnen heim!