Die Horrorvorstellung jedes Elternpaares: In einer französischen Klinik wurden zwei Babys vertauscht. Für eine der Mütter hatte der Fehler tragische Folgen. Die Eltern wollen nun Millionenentschädigung.

Grasse. Manon und Mathilde, zwei neugeborene Mädchen, verbindet zunächst nur eines – beide bekommen Tage nach ihrer Geburt Gelbsucht und werden aus Platzgründen zusammen in ein Kinderbettchen gelegt. Viele Jahre später erst wird klar, dass sie damit auch ein ganz dramatisches Schicksal teilen: Denn nach ihrer UV-Bestrahlung vertauscht eine Angestellte einer Geburtsstation in Cannes die beiden Mädchen. Als dieses endlich aufgeklärt ist, klagen die aufgebrachten Eltern und verlangen über zwölf Millionen Euro Schadensersatz. Ob das gerechtfertigt ist, entscheidet am Dienstag ein Gericht in Grasse.

Der Fall ist spektakulär und klingt nach einem guten Drehbuchstoff. Den Film über vertauschte Babys gibt es aber bereits. „Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss“, so heißt das Werk von Étienne Chatiliez von 1988, der eine 50 Jahre zurückliegende Vertauschung thematisiert. Die französische Justiz hatte nur selten solche Fälle zu richten. Das Landgericht in Grasse nahe der Côte d'Azur kann also nur auf wenig Erfahrung zurückgreifen. Wie wird ihr Urteil nach der Verhandlung hinter verschlossenen Türen ausfallen?

„Wenn es uns da passiert ist, dann kann es auch anderen passieren“, empörte sich Sophie Serrano, eine der beiden Mütter. Sie hat Manon aufgezogen, während ihre biologische Tochter Mathilde 30 Kilometer entfernt aufwuchs. Dabei hatten beide jungen Mütter in der Klinik Zweifel angemeldet, als ihnen ihre angeblichen Kinder ausgehändigt wurden. Denn ein Elternpaar war hellhäutig, das andere stammte von der französischen Insel La Réunion im Indischen Ozean. „Ich habe es am Ende geglaubt“, jung und erschöpft von der Geburt wie sie war, so erklärte Serrano, warum sie das Kind akzeptierte. Auch die andere Frau fand sich damit ab. Wie aber ist die Vertauschung aufgeflogen?

Dem Ehemann von Sophie Serrano war es nach zehn Jahren zu bunt geworden: Einem süffisanten Spott ausgesetzt, weil seine Tochter doch einen sehr anderen Teint hatte als er, der angebliche Vater, ließ er einen DNA-Test machen. Dieser deckt auf, dass beide nicht die Eltern sind. Ein Schock. Nachforschungen enthüllen die Vertauschung, die zu einer dicken Gerichtsakte wird, denn die Klinik will freiwillig keine Entschädigung zahlen. „Die Vertauschung geht auf eine Angestellte der Klinik zurück, die die Verhaltensregeln nicht eingehalten hat, weil sie an schwerer Depression litt und an chronischem Alkoholismus“, so argumentiert eine Anwältin der Klinik im Fernsehsender BFMTV. Und sie wirft die Frage auf, warum die jungen Mütter das damals so hinnahmen.

Was ist nun mit den vertauschten Kindern? Die beiden Elternpaare – das zweite will anonym bleiben – leben in der Umgebung von Grasse. Sie haben sich und ihre biologischen Töchter getroffen, ohne dass ein „Rücktausch“ vereinbart worden ist. Die jungen Frauen ihrerseits wollten auch nicht zu ihren eigentlichen Eltern zurück: Im Juli feiern sie 21. Geburtstag und ziehen offenbar den Blick nach vorn vor. „Nach dem Prozess werde ich besser vorankommen“, sagt die eine. Die Wiederbegegnung mit der leiblichen Mutter sei sehr verwirrend und seltsam gewesen: „Man trifft auf eine Frau, die einem unbekannt ist.“

Vertauschte Babys kein Einzelfall

Dass Babys im Krankenhaus vertauscht werden, kommt nur äußerst selten vor, hat aber meist dramatische Folgen:

2013: In Vietnam erwartet eine Mutter einen Jungen und bekommt im Krankenhaus ein Mädchen in den Arm gelegt, eine andere wird mit einem Sohn statt einer Tochter überrascht. Nach drei Monaten stellt sich heraus: Die Säuglingen wurden in der Klinik wohl beim Waschen verwechselt. Die Eltern tauschen Junge und Mädchen zurück.

2012: 37 Jahre lang wachsen zwei Russinnen in falschen Familien auf, weil sie nach der Geburt vertauscht wurden. Die Frauen aus Orenburg am Ural sind seit der Schule befreundet und hatten sich gewundert, dass sie ihren Eltern nicht ähneln. Ein DNA-Test bringt Klarheit.

2009: Eine Klinik in Kuri (Südkorea) muss einer Mutter umgerechnet 40 000 Euro Schmerzensgeld zahlen, weil eine Krankenschwester 17 Jahre zuvor ihr Baby mit einem anderen Neugeborenen vertauscht hatte.

2008: In einer Klinik in Saarlouis werden zwei neugeborene Mädchen vertauscht. Nach einem halben Jahr wird der Irrtum entdeckt, als bei einem Kind mit einem Gentest die Vaterschaft geklärt werden sollte. Dabei wird festgestellt, dass weder „Vater“ noch „Mutter“ mit dem Mädchen verwandt sind. Die Kinder kommen zu ihren leiblichen Eltern.

2006: Nachdem sie monatelang mit einer „falschen“ Tochter gelebt haben, erfahren zwei Paare aus Tschechien, dass ihre Kinder nach der Geburt vertauscht wurden. In der Klinik in Trebic kam es wohl zur Verwechslung, weil beide Mütter mit Vornamen Jaroslava heißen. Kurz vor dem ersten Geburtstag kommen die Kinder zu den leiblichen Eltern.

1991: Nach einer Blutuntersuchung bei einem Fünfjährigen wird klar, dass der Junge 1985 im Kreiskrankenhaus Wittmund (Niedersachsen) mit einem anderen Baby vertauscht wurde. Die Elternpaare beschließen, den jeweils von ihnen großgezogenen Jungen zu adoptieren und keinen Kontakt zueinander aufzunehmen.