Bundesgerichtshof schränkt Anonymität von Samenspendern ein. Zwei Geschwister hatten geklagt.

Karlsruhe. Wie alt muss ein Kind sein, um Anspruch auf den Namen seines genetischen Vaters zu haben? Dürfen schon Kindergartenzwerge oder Teenager auf ihr Recht pochen, umfassend über ihre wahren Wurzeln aufgeklärt zu werden, wenn sie mithilfe von Spendersamen gezeugt wurden? Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe meint: Ja. Damit hat er das Recht von Spenderkindern weiter gestärkt und jenes der anonymen Samenspender und auch der Eltern beschnitten. Kinder haben grundsätzlich und ohne bestimmtes Mindestalter ein Recht darauf, frühzeitig den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren, heißt es im Urteil.

Zwei Schwestern aus Niedersachsen, die eine zwölf, die andere mittlerweile 17 Jahre alt, hatten versucht, von einer Reproduktionsklinik den Namen ihres Vaters zu erfahren. Die Samenbank sperrte sich, die Mädchen zogen vor Gericht, und in Hameln, beim Amtsgericht, bekamen sie 2013 zunächst auch recht. Doch die nächsthöhere Instanz hatte das Urteil wieder kassiert. Das Landgericht Hannover entschied, es bestehe zwar ein Recht, die eigene Abstammung zu kennen – doch erst nach dem 17. Geburtstag.

Dem widersprach nun der BGH. „Das Recht der Kinder hat ein ganz erhebliches Gewicht”, betonte der Vorsitzende Richter des XII. BGH-Zivilsenats, Hans Joachim Dose. Schließlich würden Kleinkinder im Vorschulalter über sich nachdenken.

Die Mädchen waren nie selbst bei Gericht oder bei der Klinik erschienen. Die Klinik vermutet daher auch, dass es letztlich die Eltern selbst waren, die das Verfahren vorantrieben. Die hatten allerdings einst bei der „donogenen Insemination“, die ihnen zwei Töchter beschert hatte, die Anonymität des Spenders akzeptiert und notariell auf Auskunft über die Identität verzichtet.

Der Begriff der „donogenen Insemination“ ist noch weithin unbekannt, obwohl es diese Form der künstlichen Befruchtung durch Spendersamen schon lange gibt. „Donogen“ ist vom Lateinischen donum, Geschenk, abgeleitet, und schon vor gut 100 Jahren wurde in Deutschland zum ersten Mal ein Kind durch diese Spendemethode gezeugt. Bis in den 1980er-Jahren dann aber – wegen des Aufkommens von Aids – Samenbanken aufgebaut wurden, war es üblich, Spender und Empfänger möglichst zeitnah zu behandeln.

Mittlerweile jedoch werden die Spermien tiefgefroren – weshalb die damit gezeugten Menschen auch „Eiskinder“ genannt werden. Schon 2007 schätzte der Essener Reproduktionsmediziner Thomas Katzorke, dass seit den 1970er-Jahren rund 100.000 Kinder auf diese Weise gezeugt wurden.

Nur jedes zehnte dieser Kinder wird von seinen Eltern über die Umstände seiner Entstehung aufgeklärt. Psychologen und Pädagogen raten aber, das mithilfe einer Samenspende gezeugte Kind möglichst früh zu informieren. „Es ist besser, es immer wieder zu erwähnen, beispielsweise wenn man sich mit dem Kind Bilder von der Geburt anschaut“, sagt Claudia Flynn vom Bayerischen Landesjugendamt. Für Kinder sei es schlimm, wenn sie beispielsweise erst zu ihrem 14. Geburtstag das erste Mal die Wahrheit erfahren.

Das Recht, die eigenen biologischen Wurzeln zu kennen, wurde über Jahrzehnte hinweg von deutschen Gerichten immer wieder gestärkt. Richtungweisend war, dass das Bundesverfassungsgericht 1989 das „Recht auf die Kenntnis der eigenen Abstammung“ festgeschrieben hatte. Es folgten Regelungen wie jene von 2007, die Spender-Zentren zu mehr Aufklärung und Transparenz verpflichtete: Die derzeit 14 Kliniken in Deutschland müssen Spendern mitteilen, dass irgendwann möglicherweise Kinder mit ihnen den Kontakt suchen. Auch sind die Unterlagen mittlerweile 30 Jahre lang aufzubewahren. Vorher war es üblich, die Akten nach 10 bis 15 Jahren zu schreddern.

Aus einer Samenspende können bis zu 15 Kinder entstehen

Mit diesem Argument verweigerte Thomas Katzorke, der auch einst die Mutter von Sarah P. behandelt hatte, zunächst die Auskunft über den Spendervater. Katzorke ist der Meinung, dass Sarah P., heute 24, mit 18 hätte erfahren müssen, dass sie im Reagenzglas gezeugt worden war – und zwar mit fremdem Samen. Um ihren leiblichen Vater kennenzulernen, zog sie vor Gericht und gewann. Mit dem Hinweis, die Aufzeichnungen seien längst vernichtet, wollte der behandelnde Arzt dennoch die Identität des Spenders schützen. Mittlerweile soll die junge Nordrhein-Westfälin jedoch Kontakt zu dem Mann, einem homosexuellen Lehrer, haben und ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. In einem TV-Auftritt hatte sich Sarah P. zudem darüber gefreut, womöglich bis zu 14 Halbgeschwister zu haben. Nicht ausgeschlossen: Denn die in dem Arbeitskreis Donogene Insemination zusammengeschlossenen Fachärzte haben sich darauf verständigt, dass von jedem Samenspender bis zu 15 Kinder gezeugt werden können.