Der Ex-Arcandor-Chef wurde am heutigen Freitag wegen Steuerhinterziehung und Untreue in 27 Fällen zu drei Jahren Haft verurteilt. Wegen Fluchtgefahr wurde ein Haftbefehl erlassen.

Essen. Paukenschlag im Untreueprozess gegen den Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff: Das Landgericht Essen verurteilte den einstigen Spitzenmanager am Freitag zu drei Jahren Gefängnis und verkündet noch im Gerichtssaal einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen den 61-Jährigen. Am Mittag erörterten Gericht und Verteidigung, ob der Haftbefehl womöglich kurzfristig wieder außer Vollzug gesetzt werden kann - nun ist klar: Thomas Middelhoff bleibt in Untersuchungshaft.

Das Essener Gericht befand den früheren Konzernchef in 27 Fällen von Untreue und in drei Fällen von Steuerhinterziehung für schuldig. In dem Strafverfahren ging es um diverse Flüge sowie eine Festschrift für Ex-Bertelsmann-Chef Mark Wössner, die der ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende des insolventen Handels- und Touristikkonzerns Arcandor teils über die Firma abgerechnet hatte.

Staatsanwaltschaft wollte drei Monate mehr

Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre und drei Monate Haft für Middelhoff gefordert. Der Anwalt des früheren Konzernchefs dagegen hatte auf Freispruch plädiert.

Arcandor war 2009 mitsamt seiner Tochterfirmen wie Karstadt und Quelle in die Pleite gerutscht. Middelhoff hatte seinen Posten einige Monate zuvor aufgegeben.

Der Vorsitzende Richter Jörg Schmitt sagte in der Urteilsbegründung, die Insolvenz von Arcandor habe in dem Essener Strafverfahren „keine Rolle gespielt“. Aber ohne die Arcandor-Pleite „würden wir heute hier nicht sitzen“, fügte Schmitt hinzu.

Über eine halbe Million Euro Schaden

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Middelhoff Arcandor einen Gesamtschaden von mehr als 500.000 Euro zugefügt hatte – 308.000 Euro durch die über die Firma abgerechneten Reisen, 26.000 Euro durch nicht gezahlte Steuern und rund 180.000 Euro durch die teilweise von Arcandor finanzierte Festschrift.

Middelhoff hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Die Urteilsverkündung verfolgte der 61-Jährige ohne erkennbare Gefühlsregung. Der Richter erinnerte daran, dass Middelhoff angegeben habe, um seine Ehre kämpfen zu wollen. Ehre habe aber „viel zu tun mit Ehrlichkeit“, sagte Schmitt. Leider habe Middelhoff sich an entscheidenden Stellen seiner Aussagen von „verteidigungstaktischen Überlegungen“ leiten lassen.

Unmittelbar nach der Urteilsbegründung ordnete Schmitt an, Middelhoff in Untersuchungshaft zu nehmen. Damit sei der 61-Jährige „aktuell festgenommen“, sagte der Richter. Derzeit sehe das Gericht Fluchtgefahr bei dem 61-Jährigen. Mit einem Ergebnis des anschließenden Gesprächs unter den Prozessbeteiligten wurde noch am Freitag gerechnet.

Der Middelhoff-Prozess von A bis Z

A wie Arcandor

Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern „nur“ um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll – vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff weist diese Vorwürfe entschieden zurück.

B wie Bombendrohung

Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess geht es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage auf 945 000 Euro.

C wie Cornelie

Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“

D wie Dauerstau

Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis – nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Zu Recht, findet Middelhoff: Er habe so nämlich effizienter arbeiten können. Zu Unrecht, findet die Anklage: Die Kosten für den Arbeitsweg seien Sache des Arbeitnehmers.

F wie Festschrift

Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft ist das Buch ein „persönliches Geschenk“ Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege.

G wie Gerichtsvollzieher

Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: „Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“

H wie Haftbefehl

Zeitweise wurde das Verfahren in Essen von einem drohenden Haftbefehl gegen Middelhoff überschattet. Eine Gerichtsvollzieherin hatte diesen laut einem „Spiegel“-Bericht beantragt, um den Manager im Zusammenhang mit Zahlungsforderungen des Arcandor-Insolvenzverwalters zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu zwingen. Das Thema erledigte sich nach Angaben der Middelhoff-Anwälte aber von selbst, als dessen Managerversicherung eine Haftungsgarantie für 3,4 Millionen Euro übernahm.

K wie Katze

Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße“, berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.

L wie Limousine

Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.

M wie Mittagessen

Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.

P wie Panne

Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.

S wie Schickedanz

Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.

V wie Verteidigung

Die Verteidigung Middelhoffs hat einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen verlangte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue – Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet.

Z wie Zwangsvollstreckung

Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.