Udo Reiter, der nach einem Autounfall seit 1966 im Rollstuhl saß, war am Freitag auf der Terrasse seines Hauses leblos aufgefunden worden; in der Nähe des Leichnams lag eine Waffe. Die Kriminalpolizei geht von Selbsttötung aus.

Berlin. Nach der mutmaßlichen Selbsttötung des früheren MDR-Intendanten Udo Reiter ist eine neue Debatte um das Thema Sterbehilfe entbrannt. Für Diskussionen sorgt dabei auch eine vor wenigen Tagen gestartete Kampagne der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und der Giordano-Bruno-Stiftung. Plakate zeigen Prominente, darunter Reiter, mit geschlossenen Augen und der Aufschrift „Mein Ende gehört mir! Für das Recht auf letzte Hilfe“.

In der „Bild am Sonntag“ kündigte DGHS-Präsidentin Elke Baezner an, die Aktion trotz Reiters Tod auch mit seinem Porträt fortzusetzen. „Es wäre ganz sicher in seinem Sinne gewesen, dass alles so weiterläuft.“ Kritik kam dagegen von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Einen Suizid als Zeichen von Stärke zu präsentieren, rufe möglicherweise Trittbrettfahrer auf den Plan, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er sei „in großer Sorge, dass andere diesem Weg folgen“, sagte Brysch.

Reiter, der nach einem Autounfall seit 1966 im Rollstuhl saß, war am Freitag auf der Terrasse seines Hauses leblos aufgefunden worden; in der Nähe des Leichnams lag eine Waffe. Die Kriminalpolizei geht von Selbsttötung aus. Der Journalist hatte zuletzt mehrfach angedeutet, über einen Suizid nachzudenken. „Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen, frisiert und abgeputzt wird.“

Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering distanzierte sich in der ZDF-Sendung „aspekte“ von der Einstellung Reiters. Wenn jemand sage, „ein Leben ist für mich nicht lebenswert, wenn ich gewindelt werden muss oder wenn ich dement bin“, dann erhebe er sich damit über Mitmenschen, die eben dies erduldeten, sagte Müntefering, der 2007 sein Amt als Bundesarbeitsminister niederlegte, um seine an Krebs erkrankte Frau bis zu deren Tod zu pflegen.

Kritik kam auch von den Kirchen. Der katholische Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff warnte vor einem falschen Verständnis von Selbstbestimmung. Abhängigkeit von anderen und das Angewiesensein auf Hilfe seien keine menschenunwürdige Zustände, sondern eine Grundverfassung des Menschen, sagte Schockenhoff bei einer Veranstaltung des Diözesanrats im Bistum Rottenburg-Stuttgart.

Selbsttötung müsse ein gesellschaftliches Tabu bleiben, forderte der Theologe. Wenn der assistierte Suizid gesellschaftlich anerkannt würde, ändere sich „die Entscheidungsgrundlage für alle denkbaren Lebenssituationen“. Ortsbischof Gebhard Fürst warb für eine offensive Debatte. Es sei Aufgabe der Kirche, „dass wir eine Kultur der Hilfe im Sterben entwickeln und nicht eine Kultur der Hilfe zum Sterben“.

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, warnte davor, unheilbar Kranke unter Druck zu setzen. Viele, die auf Betreuung und Pflege angewiesen seien, hätten bereits jetzt das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, so Käßmann in ihrem wöchentlichen Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“. „Ich finde, wir brauchen weniger neue Gesetze als mehr Geduld mit der Schwäche des Alters, der Krankheit, der Pflegebedürftigkeit und auch mit den Sterbenden.“

Der Bundestag will am 13. November in einer „Orientierungsdebatte“ über das Thema Sterbehilfe beraten. Dazu liegen mehrere Positionspapiere vor. Unterdessen wurde bekannt, dass die Jungen Liberalen, die Jugendorganisation der FDP, bei ihrem Bundeskongress in Braunschweig einen Beschluss für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe für unheilbar erkrankte Kinder verabschiedeten.