Im Prozess um den Tod des kleinen Dano kommt es zu Tumulten unter den Zuschauern im Bielefelder Landgericht

Bielefeld. Almedin Kajtazi muss immer wieder in allen Einzelheiten hören, wie sein Sohn Dano umgebracht wurde. Wie der Nachbar an jenem 14. März 2014 im Wohnzimmer die Bettdecke auf das Gesicht des Fünfjährigen gepresst hat, wie er dem Kind auf den Kopf schlug, bis es sich nicht mehr rührte. Wie er den toten Jungen, noch in der Bettdecke eingewickelt, in eine große Tasche packte, mit einem Einkaufstrolley wegbrachte und in einem Gebüsch am Fluss Werra in Herford versteckte.

Der mutmaßliche Mörder Ibrahim B. sitzt nur wenige Meter vom Vater entfernt auf der Anklagebank. Almeddin Kajtazi beherrscht sich, einmal wischt er sich Tränen aus den Augen. Viele Verwandte sind gekommen und sitzen im Zuschauerraum von Saal 1 des Landgerichts Bielefeld. Viele weinen, als der Vorsitzende Richter aus den Vernehmungsprotokollen zitiert und einen Kriminalbeamten als Zeugen befragt. Immer wieder blicken Danos Verwandte zum Angeklagten hinüber und zischen: „Dieses Arschloch.“

Einige halten die Grausamkeit der Details nicht aus. Irgendwann wird es dem Opa von Dano zu viel: Der kleine Mann in der Jacke aus schwarzer Ballonseide steht auf, flucht in einer fremden Sprache, drischt seine Faust gegen die Banklehne vor ihm, wird vom Vorsitzenden Richter Wolfgang Korte verwarnt. Der Großvater beruhigt sich wieder. Vorerst.

Der erste Prozesstag, der den Mord an dem kleinen Dano aufklären soll, ist kaum zu ertragen. Das Gericht hat sich darauf eingestellt, dass es Tumulte geben könnte: Viele Polizisten mit Schutzwesten stehen vor und im Saal, die Sicherheitskontrollen sind streng. Der Angeklagte Ibrahim B. will sich nicht am ersten Verhandlungstag zur Tat einlassen, sondern erst am zweiten. Doch allein die Schilderungen aus den Akten, aus dem, was der Angeklagte in der polizeilichen Vernehmung gesagt hat, sind schrecklich genug.

Der Angeklagte könnte auch der Mörder der kleinen Jenisa sein

Zudem kommt im Bielefelder Prozess zur Sprache, dass der Angeklagte auch der Mörder der kleinen Jenisa sein könnte, die 2007 tot gefunden wurde. Die frühere Lebensgefährtin von B. war die Tante der Siebenjährigen, und B. stand damals unter Verdacht. Er kam in Untersuchungshaft, doch beweisen konnte man ihm nichts. Einen neuen Hinweis bekamen die Ermittler, als ein Zellenkumpan jüngst ein angebliches Geständnis mit der Unterschrift von B. in der Untersuchungshaft präsentiert. Der Häftling bezog sich auf Angaben von B. und nannte auch den Fundort von Jenisa, wo die Polizei tatsächlich Leichenteile des Mädchens fand. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt weiter.

In Bielefeld geht es um den Tod von Dano. Die Eltern sind Nebenkläger und müssen den 14. März 2014, einen Freitag, noch einmal durchleben, als ihr Sohn starb. Die 27-jährige Mutter Samira soll erzählen, was sie damals gemacht hat. Die zierliche Frau soll zunächst Angaben zu ihrer Person machen, dann stellt der Vorsitzende Richter die übliche Frage, ob sie mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert sei. Da springt Danos Opa wieder auf: „Wir sind nicht verwandt mit ihm. Wir sind nicht Zigeuner. Wir sind Sinti-Roma“, schreit er. Die Polizisten müssen ihn rauszerren, auch ein jüngerer Verwandter von Dano flippt aus: „Ich werde deine Frau umbringen, du Hurensohn.“ Draußen vor dem Saal kommt es fast zu einer Schlägerei.

Die Situation beruhigt sich wieder. Dann schildert die Mutter, wie sich Dano damals am frühen Nachmittag verabschiedete, um zu spielen, wie sie den Jungen suchten, als er nicht auf dem Spielplatz zu finden war. Sie ist damals offenbar auch dem Angeklagten begegnet, als er möglicherweise ihren toten Jungen in der Tasche über der Schulter trug. „Dann habe ich den Teufel mit einer Tragetasche gesehen“, sagt die Mutter. Sie hat am nächsten Tag bei B. unten geklingelt und gefragt, ob er Dano gesehen habe. „Nein, hat er gesagt. Er war ganz locker“, sagt die Mutter.

Der Tod des Jungen ist auch deshalb so tragisch, weil er B. offenbar in einem falschen Augenblick begegnete. Der Junge klingelte bei B., weil er mit dessen Sohn spielen wollte. B. befand sich offenbar in einem emotionalen Ausnahmezustand, weil Frau und Sohn ausgezogen waren und seine Beziehung in Trümmern stand. „Verpiss dich“, soll er an der Tür zu Dano gesagt haben. Zudem soll B. den Jungen an der Tür auch geohrfeigt haben, weil er offenbar genervt war. Als der Kleine damit drohte, es seinem Vater zu erzählen, zerrte B. ihn in seine Wohnung. Der Junge sollte sich aufs Sofa setzen, fernsehen und sich beruhigen. Dann rief die Lebensgefährtin an und sagte B., dass es endgültig aus sei. In diesem Moment wollte der kleine Dano fliehen. B. packte ihn, Dano schrie, dann presste B. die Bettdecke auf sein Gesicht. Es gibt noch Unklarheiten, wie die Tat geschah, denn man fand Spuren einer Strangulierung am Hals des Kindes.

Bilder von Dano, als der noch lebte, will der Angeklagte sich nicht ansehen

Die Familie von Dano hatte den vorbestraften B. schon früh in Verdacht, noch ehe die Polizei auf ihn kam. Anfang April 2014 gestand er dann in einer Vernehmung den Mord an Dano. Er sei ganz ruhig gewesen, erinnert sich der Vernehmungsbeamte im Zeugenstand des Bielefelder Landgerichts. Auch im Prozesssaal sitzt B. ruhig da und verfolgt emotionslos, wie die schrecklichen Einzelheiten berichtet werden. Nur einmal reagiert er, als der Vorsitzende Richter ihn fragt, ob er an den Richtertisch kommen will, um sich Bilder von Dano anzusehen, als er noch lebte: Ibrahim B. schüttelt den Kopf. Er will nicht.