Sehen und gesehen werden, trinken und betrunken werden - in München herrscht wieder der Ausnahmezustand: Oktoberfest! Hier gibt es Schaulaufen der Prominenz neben rauschhaftem Chaos.

München. Boris Becker war schon da, Henry Maske, Claudia Effenberg samt Geburtstagsgästen – und auch Ernst August Prinz von Hannover sowie Gloria Fürstin von Thurn und Taxis. München herrscht seit Sonnabend wieder im Ausnahmezustand: Es ist Oktoberfest. Die Massen strömen zur Theresienwiese. Wolken und Regen halten sie nicht auf.

In sich überschlagenden Fahrgeschäften johlen Menschen, in den Zelten drängen schwitzend feiernde Gäste, die Musik macht Gespräche schwierig. Im Schutz der Menge scheint alles möglich. Es herrscht anarchisches Chaos. Grenzen lösen sich rauschhaft auf. Eine Million Liter Bier sind etwa am ersten Wochenende durch eine Million durstige Kehlen des internationalen Publikums geflossen.

Die Folgen sind teilweise im Polizeibericht aufgelistet. Eine Französin schwimmt nackt in der Isar und muss gerettet werden. Ein Dirndl-Dekolleté verleitet einen Italiener zum Hinfassen – der Mann muss zur Wiesn-Wache. Zwei Bulgaren treten als Donald und Daisy Duck auf, und wollen dafür Geld – und müssen Strafe zahlen. Ein Maßkrug fliegt im Bierzelttrubel – Opfer operiert, Täter in der Zelle.

Andere leeren zu viele Maßkrüge. Später am Tage sieht man sie vornübergebeugt hinter den Zelten sitzen, das Gesicht manchmal in einer Art Verzweiflungsgeste in die Hände vergraben. Ziemlich viele können nicht mehr sitzen. Sie liegen meist auf der einzigen richtig grünen Wiese auf der Wiesn – die aber als Liegewiese schon nach den ersten Tagen kaum benutzbar ist, weil verdreckt.

Auch dieser Ort wirkt – wie das Zelt-Getümmel – rechtsfrei, und die wehr- und willenlosen Bier-Opfer scheinen leichte Opfer auch von Taschendieben. Doch auch wenn alles nach Auflösung jeglicher Ordnung aussieht: Die Polizei ist mit 500 Beamten rund um die Wiesn präsent und greift durch. Fast 50 Festnahmen gab es allein am ersten Wiesn-Tag. Dennoch sprechen die Beamten von einem „sehr ruhigen Auftakt“.

OB Reiter knackt das Fass

Der im Frühjahr gewählte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte am Sonnabend das erste Fass Bier mit vier Schlägen und ohne peinliche Bierfontäne angezapft – und sich damit bei seiner Premiere wacker geschlagen. Der vierte Schlag war eigentlich überflüssig. Er hätte es mit drei Schlägen schaffen können. Die zwei Schläge seines Vorgängers und Rekordhalters Christian Ude waren allerdings unerreichbar.

Ex-Oberbürgermeister Ude, erstmals als Ehrengast in der Stadtratsempore, ist mit seinem Zögling an dieser Stelle sehr zufrieden. Reiters Wiesn-Start sei sogar optimal, sagt Ude: „Er steigt gleich sehr stramm ein, kann sich aber noch steigern.“

Reiters Einzug in die Anzapfboxe zum Defiliermarsch ist wohl wirklich ein bisschen weniger herrlich als bei Ude, sein Winken in Richtung Besucher nicht ganz so groß und kühn, und das Anzapfen ein bisschen bodenständiger. Beiden gemeinsam ist freilich das alljährliche Bangen, ob die Lederhose noch passt.

Die Politik feiert mit - aber nicht jeder darf

Während sich in den einschlägigen Zelten die gesellschaftliche Prominenz trifft, fehlt die politische beim Anstich auf der Ehren-Empore im Schottenhamel.

2002 kam Angela Merkel als CDU-Chefin zur Wiesn-Eröffnung, ebenso der damalige SPD-Innenminister Otto Schily. Der Grüne Jürgen Trittin war einmal da, oft Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Claudia Roth, die auch dieses Jahr gerne gekommen wäre, durfte nicht – der Ältestenrat der Stadt verwies auf die Regeln: Geladen sind nur Abgeordnete mit Wahlkreis in München. Die Grüne Roth hat ihren in Augsburg.

So ist man unter sich. Während in manchem Zelt die Stimmung hochkocht, wagen auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und Kultusminister Ludwig Spaenle (beide CSU) auf der Empore einen Tanz. Als ihr Chef Horst Seehofer, der traditionell die erste Maß bekommt, aus der Anzapfboxe nach oben kommt, sitzen sie wieder artig auf den Bänken.