US-Forscher befürchten: Epidemie kann zwölf bis 18 Monate dauern, Zahl der Infizierten 20.000 pro Monat erreichen

New York. Die Ebola-Epidemie in Westafrika wird nach Ansicht von US-Experten noch deutlich schlimmer als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet: Den Prognosen zufolge dürfte der Ausbruch noch wenigstens zwölf bis 18 Monate andauern, berichtete die „New York Times“ am Sonnabend. Sie beruft sich auf Wissenschaftler mehrerer Universitäten, die die Entwicklung für US-Gesundheitsbehörden und das Pentagon verfolgen.

Die WHO befürchtet in ihrem Szenario eine Dauer von neun Monaten und mehr als 20.000 Ebola-Fälle. Dagegen kalkulieren die US-Forscher, bei der derzeitigen Wachstumsrate könnte es bis zu 20.000 Infektionsfälle pro Monat geben. Die Entwicklung hänge davon ab, wie gut die Infizierten versorgt würden, und ob es bald wirksame Medikamente oder Impfstoffe gebe. Zu den Experten, die das Blatt zitiert, gehören der Epidemiologe Bryan Lewis von der Technical University of Virginia, der Bioinformatiker Alessandro Vespignani von der Northwestern University, Jeffrey Shaman von der Columbia University und Lone Simonsen von der George Washington University.

In der ausufernden Ebola-Epidemie in Westafrika sehen viele Experten ein Zeugnis des Versagens der Weltgemeinschaft. Viel zu langsam hätten die WHO und die Staatengemeinschaft reagiert, kritisiert Peter Piot, Direktor an der London School of Hygiene & Tropical Medicine, im Fachmagazin „Science“. Piot hatte das Virus 1976 mitentdeckt, später leitete er verschiedene Uno-Programme, etwa das gegen Aids.

Eine Epidemie wie in Westafrika wäre in reicheren Regionen mit ihren besseren Gesundheitssystemen undenkbar. Zwar stehe es um die globale Gesundheit so vielversprechend wie nie zuvor, die regionalen Unterschiede seien aber nach wie vor groß, schreiben zwei US-Experten in „Science“. Am schwierigsten sei die Lage in Afrika südlich der Sahara sowie in Süd- und Südostasien.

Noch gehöre zudem Ebola zu den Epidemieverursachern, gegen die es kein zugelassenes Mittel gibt. Überwachung und Eindämmung sowie Information und Vermeidung seien die wichtigsten Maßnahmen gegen solche Infektionen. Dies sei beim Ebola-Ausbruch in Westafrika zu zögerlich erfolgt, kritisiert Peter Piot in „Science“. Ungeachtet zahlreicher Aufrufe von Ärzte ohne Grenzen (MSF) hätten WHO und Regierungen erst im August Besorgnis über die Entwicklung gezeigt. Erst dann sei die Epidemie als internationaler Gesundheitsnotfall eingestuft worden.

Dass das Virus anders als bei den 20 erfassten Ausbrüchen zuvor so außer Kontrolle geriet, führt Piot auf ein Zusammenspiel von Faktoren zurück: „zerrüttete Gesundheitssysteme als Resultat jahrzehntelanger Kriege, wenig Vertrauen der Bürger in die Regierungen und die westliche Medizin, traditionelle Vorstellungen, sogar Ablehnung von Ursache oder Existenz des Virus, und die Bestattungspraxis, die das Berühren der Ebola-Toten beinhaltet“.

Die WHO befürchtet, dass sich bis zum Ende des Ausbruchs mehr als 20.000 Menschen angesteckt haben könnten. „Die schnelle Ausbreitung von Ebola ist ein grausiger Denkzettel dafür, dass Epidemien eine globale Bedrohung sind“, schreibt Piot. „Und dass der einzige Weg, dieses Virus unter Kontrolle zu bringen, eine schnelle und massive globale Reaktion ist – eine viel stärkere als die bisherige.“ Nicht nur die Gesundheit sei in Afrika in Gefahr, sondern auch wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilität. „Der Einfluss dieser Epidemie wird lange anhalten.“

Eine mit dem Virus infizierte Ärztin aus Sierra Leone, die zunächst nach Deutschland gebracht werden sollte, ist am späten Sonnabendabend gestorben, Das sagte der oberste Gesundheitsbeamte des Landes, Brima Kargbo. Nur Stunden zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Bitte der Regierung Sierra Leones abgelehnt, die Kosten für den Transport der Ärztin Olivet Buck nach Hamburg zu übernehmen. Der Präsident von Sierra Leone, Ernest Bai Koroma, hatte den Transport nach Hamburg genehmigt. Dort seien die Ärzte bereit, die Infizierte zu empfangen, hieß es in dem am Freitag verschickten Brief an das WHO-Büro in Freetown. Ende August war bereits ein WHO-Experte aus dem Senegal zur Behandlung in Hamburg eingetroffen.

Buck ist die vierte Ärztin aus Sierra Leone, die an dem Virus gestorben ist. Bisher wurden nur ausländische Ärzte und Krankenschwestern aus Sierra Leone und Liberia ausgeflogen, nachdem sie sich mit Ebola infiziert hatten. Insgesamt haben sich nach Angaben der WHO mehr als 300 Angestellte aus dem Gesundheitsbereich infiziert. 2400 Menschen sind seit Ausbruch der Epidemie ums Leben gekommen, die meisten von ihnen in Sierra Leone, Liberia und Guinea.