Die Helfer kommen nicht an die noch verbliebenen Opfer von Flug MH17 heran. An der Absturzstelle in der Ostukraine toben heftige Kämpfe. Die Niederlande machen Druck, doch Kiew will den Augenblick militärisch nutzen.

Den Haag/Brüssel/Donezk. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat eine sofortige Waffenruhe an der Absturzstelle von Flug MH17 in der Ostukraine verlangt. Rutte forderte den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit Nachdruck auf, die Gefechte zu stoppen, um die humanitäre Arbeit zu ermöglichen, teilte ein Regierungssprecher am Dienstag in Den Haag mit.

Eine große Gruppe niederländischer und australischer Experten, die sich in Donezk bereithält, konnte den dritten Tag in Folge wegen der Kämpfe das Katastrophengebiet nicht erreichen. Sie sollen die dort noch liegenden sterblichen Überreste und das persönliche Eigentum der insgesamt 298 Opfer sichern. Ein Großteil der Toten wurde bereits früher geborgen – die meisten Opfer kamen aus den Niederlanden und wurden inzwischen dorthin zurückgebracht.

Kostbare Zeit gehe verloren, sagte Rutte nach den Worten des Sprechers. Der ukrainische Präsident soll zugesichert haben, alles für den sicheren Zugang der Experten zu tun. Allerdings war nach Berichten vom Dienstag aus der Region genau das Gebiet umkämpft, in dem die Boeing 777-200 der Malaysia Airlines am 17. Juli abgestürzt war – getroffen mutmaßlich von einer Rakete. Die ukrainische Armee sieht sich derzeit auf dem Vormarsch.

In Brüssel steuerte die Europäische Union erstmals auf einschneidende Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu. Die Botschafter der 28 EU-Regierungen hielten am Dienstag die entscheidende Beratungsrunde ab. Die EU will Moskau zwingen, die Separatisten in der Ostukraine nicht mehr zu unterstützen. Vor allem soll der Zugang russischer Banken zum europäischen Kapitalmarkt erschwert werden. Zu den Wirtschaftssanktionen gehört auch ein Ausfuhrstopp für Waffen, Hochtechnologieprodukte und Spezialanlagen zur Ölförderung.

Die EU-Botschafter können die Maßnahmen aber nur beschließen, wenn sämtliche Staats- und Regierungschefs ihr Einverständnis gegeben haben, wie von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erbeten. Schon am Montagabend hatten sie Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Personen beschlossen, die zum engeren Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehören sollen.

Die bisherigen Maßnahmen des Westens gegen Personen oder Firmen haben bereits die Wirtschaft in Russland geschwächt. Die neuen Sanktionen sollen es für russische Firmen schwieriger machen, an europäische Kredite zu kommen. Auch die russische Ölindustrie würde dadurch getroffen. Ihrerseits muss die EU eine Flucht russischen Kapitals vom Finanzplatz London befürchten. In der Öltechnikbranche wie im Russlandhandel drohen Arbeitsplätze in Europa verloren zu gehen.

In der Ostukraine gingen die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungseinheiten und prorussischen Separatisten unvermindert hart weiter. In der Stadt Gorlowka seien mindestens 31 Zivilisten getötet worden, unter ihnen acht Kinder. Seit Tagen liege der Ort bei Donezk unter Artilleriebeschuss, teilte die Stadtverwaltung am Dienstag mit. Zudem seien 43 Menschen verletzt worden. Armee und Aufständische machten gegenseitig verantwortlich für die zivilen Opfer. Das Militär sprach zudem von mindestens 44 Verletzten in eigenen Reihen.

Bei einem Granateneinschlag in einem Seniorenheim in Lugansk starben der Stadtverwaltung zufolge fünf Menschen. Acht wurden verletzt. Weite Teile der Großstadt seien ohne Gasversorgung und Strom, hieß es. Weiter hartumkämpft war auch die Stadt Schachtjorsk im Gebiet Donezk. Die ukrainische Armee habe dort mindestens vier Luftangriffe auf feindliche Stellungen geflogen, sagte der Kiewer Militärexperte Dmitri Tymtschuk. Schachtjorsk liege unter Minenwerferbeschuss.

In Russland geben die meisten Bürger einer Umfrage nach dem Westen die Schuld an der Ukraine-Krise. Rund 64 Prozent der Befragten werfen den USA und Europa ein „unbefugtes Einmischen“ vor, teilte das unabhängige Lewada-Institut am Dienstag in Moskau mit. Rund 52 Prozent befürchteten, dass sich der erbitterte Konflikt in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik zu einem Weltkrieg ausweiten könnte.