Beim schwersten U-Bahn-Unglück in der russischen Hauptstadt sterben mindestens 21 Menschen, 160 werden verletzt

Moskau. „Wir waren eingeschlossen – und sind nur durch ein Wunder rausgekommen. Es gab viele Verletzte. Zahlreiche Verletzungen: Köpfe, Beine“, sagt ein überlebender Passagier: Mitten im Berufsverkehr gegen 8.30 Uhr am Morgen und bei Tempo 70 entgleisen in der Moskauer Metro in einem Tunnel kurz vor der Station Slawjanski Boulevard mehrere Waggons. Ein Wagen verkeilt sich zwischen den Tunnelwänden, die drei hinteren Waggons prallen mit voller Wucht darauf. Zu Dutzenden stürzen Passagiere, fallen in den voll besetzten Wagen aufeinander, erdrücken andere – bis zum frühen Abend bergen die Rettungskräfte 21 Todesopfer, 160 Menschen werden verletzt.

In der russischen Hauptstadt hat sich am Dienstag das schwerste Unglück in der fast 80-jährigen Geschichte der Metro ereignet. Sie galt bislang als zuverlässiges Verkehrsmittel. Doch die Bilder von Leichensäcken, die aus der U-Bahn-Station getragen werden, lassen jetzt Zweifel aufkommen an der technischen Sicherheit von Moskaus wichtigstem Verkehrsmittel, das täglich gut neun Millionen Fahrgäste transportiert. Und die Verletzten, die sich an die Erdoberfläche gerettet haben und auf Hilfe warten, wecken bei den Bewohnern der russischen Hauptstadt schlimme Erinnerungen an die Terroranschläge vor vier Jahren. Damals zündeten Selbstmordattentäter in der Metro Sprengsätze und rissen 40 Passagiere in den Tod. Deshalb fährt bei vielen Moskauern immer die Angst mit.

Einen Anschlag aber schließt der Sprecher der nationalen Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, diesmal aus. Es gehe um technische Ursachen. „Wir ziehen die Version in Betracht, dass ein Waggon nicht intakt war – sowie alle anderen Möglichkeiten“, sagt er. Demnach könnte es einen Defekt am Fahrgestell oder an den Gleisen oder Weichen auf der sogenannten Blauen Linie gegeben haben. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin aber steht auf dem Standpunkt, dass technische Unglücksursachen stets auf menschliche Fehler zurückzuführen seien. „Nach dem Abschluss der Ermittlungen wird es nicht nur Entlassungen geben, sondern auch Strafverfahren gegen die Schuldigen“, kündigt er wenige Stunden nach dem Unglück an. Er sichert den Opfern „jede notwendige Hilfe“ zu. Für Sobjanin kommt die Katastrophe zur Unzeit – am 14. September soll ein neues Stadtparlament gewählt werden. Der politische Kampf um Moskau ist in vollem Gange.

„Der Zug wurde regelrecht auseinandergerissen. Viele Leute wurden verletzt, viele eingeklemmt“, sagt ein Augenzeuge im Staatsfernsehen. „Wir waren eingeschlossen. Ich dachte, das ist das Ende“, sagt ein Überlebender im TV-Sender Rossija-24. Die meisten Menschen sterben Ermittlern zufolge im ersten Waggon, als der Zug 200 Meter vor der Haltestelle verunglückt. Die Überlebenden retten sich durch die dunklen Tunnelgänge. Mehr als 1000 Menschen saßen in dem Zug.

Überlebende berichten von „Panik“ in den Waggons. „Funken und viel Rauch“ habe es gegeben, sagt ein Passagier mit blutverkrusteter Nase. Ein junger Mann sagt dem Sender LifeNews: „Es gab eine Panik. Wir sind geklettert, um aus dem Wagen zu kommen, waren aber eingeschlossen. Männer nahmen Hämmer und Zangen und haben das, was uns den Weg versperrt hat, zerstört, und wir sind raus.“

Hunderttausende kommen wegen des Unfalls zu spät zur Arbeit. Überall in den U-Bahnstationen und -zügen stauen sich die Menschen. Der Unglücksort liegt an einer der wichtigsten Straßen zwischen den großen Wohnvierteln in Moskaus Außenbezirken und der Innenstadt. Wegen der vielen Krankenwagen und Rettungshubschrauber kommt es in der schon bei Normalverkehr von Riesenstaus geplagten Stadt zum Chaos. Entspannen dürfte sich die Lage zunächst nicht. Moskaus Blaue U-Bahn-Linie bleibt voraussichtlich bis Donnerstag gesperrt.