Wie eine Walze rollte ein Unwetter mit Starkregen und Hagel über Nordrhein-Westfalen, mindestens sechs Menschen fanden den Tod. Meteorologen geben auch für andere Regionen noch keine Entwarnung.

Düsseldorf. Bei dem heftigsten Unwetter seit Kyrill sind in Nordrhein-Westfalen sechs Menschen ums Leben gekommen. Blitze, Donner, Sturm und sintflutartige Regenschauer schlugen am Montagabend und in der Nacht zum Dienstag eine Schneise der Verwüstung in viele Städte vor allem an Rhein und Ruhr. Die ganze Nacht über heulten Feuerwehr- und Polizeisirenen auf. Am Morgen kämpften sich Arbeiter mit Motorsägen durch dicke Äste umgestürzter Bäume. Der Verkehr auf Straßen, Schienen und in der Luft war vielerorts unterbrochen. Im Berufsverkehr entstanden Staus von bis zu 30 Kilometern Länge.

Der ehemalige ARD-Wettermann Jörg Kachelmann erhob schwere Vorwürfe gegen den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und forderte den Intendanten Tom Buhrow zum Rücktritt auf. In einem offenen Brief auf seiner Website schrieb Kachelmann, er habe schon morgens um 8.47 Uhr auf Twitter vor „Unwettergedöns im Westen“ gewarnt. Der WDR habe dagegen bis zum Abend praktisch nicht reagiert.

Der WDR stritt die Vorwürfe vehement ab: „Der WDR hat am Pfingstmontag ab 6 Uhr morgens durchgehend Unwetterwarnungen und Schlechtwetterprognosen gemeldet“, teilte WDR-Sprecherin Kristina Bausch am Dienstag in Köln mit. „Die Unwetterwarnungen, die WDR-Radios vom Deutschen Wetterdienst vorlagen, haben wir wie üblich in allen Nachrichtensendungen übernommen.“

WDR-Sprecherin Bausch wies darauf hin, dass der WDR ab dem Vormittag auch auf seiner Internetseite wdr.de eine Unwetterwarnung gehabt habe. In der Mittagszeit habe es zudem einen Hinweis über Twitter gegeben. Auch im Videotext seien den ganzen Tag über aktualisierte Unwetterwarnungen bereitgestellt worden. „Wie nach jedem Katastrophen- oder Kriseneinsatz werden wir auch in diesem Fall nacharbeiten, was wir künftig gegebenenfalls noch besser machen können.“

Mittwoch keine Schule in einigen Städten

Als Folge des Unwetters vom Pfingstmontag fällt am Mittwoch in zahlreichen Schulen Nordrhein-Westfalens der Unterricht aus. Betroffen ist vor allem das Ruhrgebiet. Flächendeckend bleiben dort die Schulen in Essen, Mülheim, Herne, Bochum, Gelsenkirchen und Castrop-Rauxel geschlossen. Auch in Neuss wird nicht unterrichtet. Dies teilten die zuständigen Behörden am Dienstag mit. Schäden an Schulgebäuden, sowie Gefahren auf den Schulwegen durch weiterhin umstürzende Bäume oder Aufräumarbeiten machten dies notwendig, hieß es bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Auch einige Kitas bleiben geschlossen. In Düsseldorf fällt der Unterricht an 24 Grundschulen und 6 weiterführenden Schulen aus. Drei Kindergärten bleiben zu, teilte die Stadt mit. Einen allgemeinen Unterrichtsausfall gebe es aber nicht. Auch in Dormagen bleiben drei Schulen geschlossen.

Tragischer Unfall in Düsseldorf

Ein tragisches Unglück ereignete sich am Montag in Düsseldorf. Dort stürzte eine große Pappel auf ein Gartenhaus, in dem mehrere Menschen Zuflucht gesucht hatten. Zwei Männer im Alter von 56 und 53 Jahren sowie eine 52 Jahre alte Frau verloren ihr Leben, wie die Polizei berichtete. Feuerwehrleute konnten aus den Trümmern des Gartenhauses sechs weitere Menschen befreien. Sie mussten verletzt in Krankenhäuser gebracht werden. In Krefeld zerstörte ein umgestürzter Baum eine Stromleitung. Ein 28 Jahre alter Radfahrer wurde von dem Baum erfasst und begraben, wie die Polizei berichtete. Vermutlich sei er an einem Stromschlag gestorben.

In Köln wurde am Montagabend ein Mann nach Polizeiangaben von einem Baum erschlagen. Vermutlich durch einen Blitzeinschlag war eine etwa 20 Meter hohe Buche durchgebrochen. Sie stürzte auf die Fahrbahn und traf den Radfahrer. In Essen starb ein Mann während Aufräumarbeiten. Er hatte nach Informationen der Polizei versucht, Gegenstände von der Fahrbahn zu räumen. Dabei brach er plötzlich zusammen. Zu der medizinischen Ursache konnten keine Angaben gemacht werden.

Bilanz der Landespolizei

Die Bilanz der Landespolizei: „In der Intensität war es außergewöhnlich“, sagte ein Sprecher des Lagezentrums. Insgesamt musste die Polizei in NRW in der Nacht zu fast 5000 Einsätzen ausrücken, resümierte die Landesleitstelle. Überflutete Straßen und zahlreiche umgestürzte Bäume machten ihnen zu schaffen. Zu den sechs Todesopfern kommen 30 schwer verletzte und 37 leicht verletzte Menschen.

Die Polizei in Duisburg meldete Sachschäden in Höhe von etwa 1,2 Millionen Euro im Stadtgebiet. Allein in Düsseldorf waren bis 6.00 Uhr 1200 Einsätze aufgenommen worden. Die Landeshauptstadt wurde so schwer getroffen, dass Feuerwehren aus anderen Städten und Kreisen den Kollegen zu Hilfe eilten, unter anderem aus Köln, Heinsberg, Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis.

Stärkstes Unwetter seit Kyrill

Das Unwetter war nach Einschätzung von Wetterexperten in dem bevölkerungsreichsten Bundesland vermutlich das stärkste seit Kyrill. Die Schwere des sommerlichen Unwetters mit Starkregen und Hagel, das wie eine Walze über das Bundesland rollte, lag vor allem an den hohen Windgeschwindigkeiten. Am Düsseldorfer Flughafen seien fast 145 Stundenkilometer gemessen worden, in Neuss 133 und in Castrop-Rauxel 124 Stundenkilometer. „Das sind alles Orkanstärken“, sagte Meteorologe Lars Dahlstrom von der Meteogroup in Bochum.

„Im Sommer reichen schon 90 km/h, um Bäume umzuknicken, weil sie viel Laub tragen“, erläuterte der Meteorologe. Und die brisante Wetterlage in Nordrhein-Westfalen dauert noch an. „Eine Entwarnung gibt es nicht“, berichtete der Deutsche Wetterdienst am Dienstag. In weiten Teilen von NRW seien bei Temperaturen um 30 Grad bis zum Mittwochmorgen immer wieder heftige Gewitter mit Orkanböen, heftigem Regen und Hagel möglich.

Die Folgen des Unwetters von Montagabend werden Nordrhein-Westfalen noch eine Weile beschäftigen. Die Aufräumarbeiten an Straßen und Bahnstrecken könnten noch einige Wochen dauern, teilte der Landesbetrieb Straßen.NRW mit. Allein auf der A 52 bei Essen waren etwa 150 Bäume auf die Fahrbahn gestürzt. Auch die Räumarbeiten auf der A 40 bei Mülheim dauerten bis mindestens Dienstagabend, sagte Sprecher Bernd Löchter.

Chaos im Bahnverkehr

Im Bahnverkehr sorgten umgestürzte Bäume und beschädigte Oberleitungen für Verspätungen und Streckensperrungen. „Das Ausmaß der Schäden ist überhaupt noch nicht abzusehen“, sagte DB-Sprecherin Nicole Knapp. Erkundungszüge seien unterwegs, um Strecken zu inspizieren. An anderer Stelle seien Strecken wieder freigegeben worden. In Essen und Düsseldorf fuhren am Morgen keine Straßenbahnen, zahlreiche Oberleitungen waren beschädigt.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) rief die Bürger zu Geduld auf. Die Verkehrsprobleme blieben auch in den kommenden Tagen bestehen. „Mit einer Entspannung ist vorerst nicht zu rechnen.“ Die Aufräumarbeiten liefen auf Hochtouren: „Die Helfer tun alles, um die Schäden zu beseitigen“, sagte der Minister.

Weitere Unwetter im Anzug

In mehreren Städten forderten Behörden die Menschen auf, möglichst zu Hause zu bleiben. In Essen, Neuss, Bochum, Castrop-Rauxel und Gelsenkirchen soll am Mittwoch der Unterricht an den Schulen ausfallen, wie die Städte mitteilten. Eine Sprecherin des Schulministeriums sagte, dass Eltern selbstständig entscheiden können, ob sie ihre Kinder bei solch einer Gefahrenlage zur Schule schicken.

Die Folgen der Gewitter: Diese Versicherungen zahlen

Regen rinnt durch das abgedeckte Dach, das Blumenbeet liegt unter abgebrochenen Ästen begraben. Hagel hat den Rollladen durchlöchert. Und im Keller steht das Wasser: Sommergewitter richten große Schäden an. Dafür kommen verschiedene Versicherungen auf, erläutert der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV):

Dachziegel und Fensterscheiben: Alle Schäden, die direkt am Gebäude entstanden sind, übernimmt die Wohngebäudeversicherung. Wird aber der Keller überschwemmt, zahlt das Unternehmen nur, wenn extra eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen wurde. Sie gleicht Schäden durch Überschwemmung, Rückstau, Erdbeben, Erdrutsch oder Lawinen aus.

Elektrogeräte und Möbel: Für Schäden am Wohnungsinventar ist die Hausratversicherung zuständig. Dazu gehören etwa Elektrogeräte, die nach einem Blitzschlag beschädigt wurden, oder Möbel, die in Folge einer zerbrochenen Scheibe vom Regen durchnässt wurden. Auch hier muss es eine Elementarschadensklausel in den Verträgen geben.

Auto: Schäden am Auto zahlt die Teilkaskoversicherung. Die Kosten für verbeultes Blech oder kaputte Scheiben werden in der Regel in voller Höhe erstattet. Der GDV rät, die Schäden mit einer Kamera zu dokumentieren und innerhalb einer Woche der Versicherung zu melden.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt veröffentlichte auf Twitter ein Satellitenbild, auf dem das Ausmaß des Unwetters über Deutschland und Europa deutlich wird.