Überstunden, Überwachung und Schikane: Gewerkschafter kritisieren Amazon-Boss Jeff Bezos. Sein Geschäftsmodell basiere darauf, „seine Mitarbeiter als inhumane Roboter zu behandeln“.

New York. Jeff Bezos, 50, ist um einen wenig schmeichelhaften Titel reicher. Der Amazon-Chef wurde von Gewerkschaftern zum „schlechtesten Chef des Planeten“ gewählt. Auf dem Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) in Berlin kürte die Mehrheit der 20.000 Teilnehmer den milliardenschweren Gründer des Online-Händlers als leuchtendes Negativbeispiel eines Arbeitgebers.

Die Gewerkschafter befanden, dass der Amerikaner der übelste unter den üblen Vorstandsvorsitzenden sei. Sein Geschäftsmodell basiere darauf, „seine Mitarbeiter als inhumane Roboter zu behandeln“, sagte Philip Jennings vom internationalen Gewerkschaftsdachverband UNI Global Union.

Bezos hat mit Amazon den weltweiten Einzelhandel revolutioniert. Schon 1999 kürte ihn das US-Magazin „Time“ deshalb zur „Person des Jahres“. Amazon ist heute der weltgrößte Online-Versandhändler und verkauft neben Büchern auch Elektronik- und Haushaltsartikel, Kunst und Lebensmittel.

Der dreifache Familienvater, der vor Kurzem die „Washington Post“ für 250 Millionen US-Dollar gekauft hat, werde von vielen als großer Innovator angesehen, so Jennings. „Amazon verdankt seinen Erfolg aber einer Zukunftsvision, die ihre Belegschaft behandelt, als bestünde sie aus Fabrikarbeitern im 19. Jahrhundert.“ Mitarbeiter seien gezwungen, unter enormem Stress zu arbeiten und müssten viele Überstunden machen. In den Logistikzentren des Konzerns müssten Angestellte am Arm befestigte Minicomputer tragen, die jede ihrer Bewegungen überwacht. Auch gäbe es keinerlei feste Vereinbarungen über Pausen und Arbeitstempo. Die Arbeitskultur des Unternehmens fördere „Mobbing und Schikanierungen“.

Doch nicht nur die Mitarbeiter würden unter dem Geschäftsgebaren des Konzerns leiden, sondern auch die Gesellschaft. Wie viele andere US-Online-Konzerne verschiebt das Unternehmen Gewinne so über Landesgrenzen, dass es Steuern minimieren kann.

Weg zur Kantine im englischen Rugeley war so lang wie neun Fußballfelder

In den USA, Großbritannien und Deutschland gab es zuletzt immer wieder Proteste gegen die schlechten Arbeitsbedingungen beim Online-Händler. Vor drei Jahren machte Amazon in den USA Schlagzeilen, weil es seine Arbeiter in den Logistikzentren bei glühender Hitze ohne Klimaanlage schuften ließ. Einige mussten deswegen sogar mit einem Hitzschlag ins Krankenhaus eingeliefert werden. Auf diese Kritik reagierte Amazon und installierte 2012 für 52 Millionen Dollar (38 Millionen Euro) Klimaanlagen in seinen Logistikzentren.

Ein Bericht des britischen Fernsehkanals Channel 4 deckte auf, unter welchen unmenschlichen Arbeitsbedingungen die 25.000 britischen Amazon-Angestellten arbeiten müssen. Die Mitarbeiter wurden mit GPS-Sendern überwacht. Die Zeit für Toilettengänge und andere Pausen wurden akribisch gezählt, und es wurde sichergestellt, dass die Arbeiter die Pausenzeit von 30 Minuten nicht überschritten. Um während der Mittagspause zur Kantine zu gelangen, mussten die Mitarbeiter in einem Logistikzentrum im englischen Rugeley zunächst das gesamte Lagerhaus durchlaufen – eine Entfernung von neun Fußballfeldern. Zum Essen blieb daher kaum noch Zeit. Ebenfalls wurde in diesem Bericht kritisiert, dass das Unternehmen seine Angestellten jeweils nach zwölf Wochen feuere und danach wieder einstelle. So umginge der Konzern viele arbeitsrechtliche Bestimmungen, die nur für unbefristete Vollzeitkräfte gelten. Vorarbeiter würden schließlich angewiesen, den Arbeitern widerrechtlich kein Urlaubsgeld auszuzahlen und zu pokern, dass die Mitarbeiter ihre Rechte nicht kennen.

Solche Extremfälle sind aus Deutschland nicht bekannt. Doch auch hier kam es 2013 zu Protesten gegen Amazon. Bundesweit unterhält Amazon acht Versandzentren und beschäftigt 9000 Mitarbeiter.