In den USA werden vom Handy abgelenkte Fußgänger immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko – selbst beim Überqueren der Straße schauen viele Passanten auf ihr Smartphone. Die Behörden reagieren. Manche versuchen es mit sprechenden Bussen, andere mit Strafzetteln.

Washington. Die Szene ist mittlerweile allgegenwärtig: Ein Fußgänger läuft mit gesenktem Kopf über die Kreuzung, den Blick auf sein Smartphone gerichtet. Die Ampel springt auf rot, Autos hupen, ein Unfall ist manchmal unausweichlich. In den USA ist das sogenannte „distracted walking“ (abgelenktes Laufen) inzwischen eher die Regel als die Ausnahme – und beschäftigt nun sogar die US-Regierung.

Neun von zehn US-Bürgern besitzen mittlerweile ein Handy. Mehr als zwei Drittel von ihnen kontrollieren einer Studie des Pew Research Centers zufolge regelmäßig ihr Telefon auf Neuigkeiten, selbst wenn es weder klingelt noch vibriert – und das sogar mitten auf der Straße. Forscher an der University of Washington beobachteten im Jahr 2012 in Seattle mehrere Straßenkreuzungen. Ergebnis: Mehr als 15 Prozent der rund 1100 erfassten Passanten waren mit ihrem Handy beschäftigt, während sie über eine viel befahrene Kreuzung liefen. Und das ist nicht ungefährlich, warnen Experten. „Abgelenktes Laufen ist im Prinzip das gleiche wie abgelenktes Autofahren. Und beides nimmt zurzeit zu“, sagt Jack Nasar von der Ohio State University.

Der Professor für Stadtplanung ermittelte im vergangenen Jahr, dass sich der Anteil von Fußgängerunfällen, die auf die Handy-Nutzung zurückgehen, von 2005 bis 2010 mehr als verdoppelt hat. Demnach mussten 2010 über 1500 Passanten in ein Krankenhaus, nachdem sie parallel zum Laufen auf ihrem Handy tippten oder telefonierten. Während Autofahrern die Handy-Nutzung ähnlich wie in Deutschland mittlerweile in vielen US-Staaten verboten ist, lässt sich das für Fußgänger nicht ganz so einfach umsetzen – und bringt viele US-Städte ins Grübeln.

Das US-Verkehrsministerium hat sich des Themas angenommen und experimentiert in Portland im Bundesstaat Oregon mit sprechenden Bussen, die unachtsame Fußgänger aufschrecken sollen. Seit März wurden 45 Busse des örtlichen Verkehrsbundes TriMet mit unterschiedlichen Warnsystemen ausgestattet. „Wir wollen prüfen, wie man Fußgänger am besten warnt, insbesondere beim Abbiegen des Busses“, sagt Harry Saporta, Sicherheitsbeauftragter von TriMet. Aus Lautsprechern, die an den Bussen installiert wurden, ertönen Sätze wie: „Fußgänger, der Bus biegt ab“.

Getestet werden auch visuelle Warnsignale wie das Aufleuchten von LED-Lichtern am Bus. Das Ministerium bezuschusst das sechsmonatige Projekt mit 400.000 Dollar (290.000 Euro). Ob die sprechenden Busse nach der Testphase dauerhaft eingesetzt werden, sei derzeit noch offen, sagt Saporta. Auf den Straßen von Cleveland im Bundesstaat Ohio seien solche Busse aber auch schon unterwegs.

Initiativen hingegen, die „abgelenktes Laufen“ generell unter Strafe stellen wollen, scheiterten bislang mehrheitlich. So zum Beispiel im US-Staat Utah, wo der Verkehrsbetrieb des Landes ein 50-Dollar-Knöllchen für Passanten forderte, die in der Nähe von Bahngleisen SMS schreiben, telefonieren oder Kopfhörer tragen. Das Parlament von Utah stimmte 2012 gegen den Vorschlag. „Das schießt über das Ziel hinaus, und schon bald haben wir für alles ein Gesetz, was wir in der Gesellschaft tun“, sagte der republikanische Abgeordnete Val Peterson der Zeitung „Salt Lake City Tribune“.

Auch Stadtplanungs-Professor Nasar zweifelt an der Berechtigung solcher Gesetze: „Ich glaube nicht, dass Städte dazu in der Lage sind, feste Regeln für Fußgänger einzuführen.“ Das Ganze sei eher eine Frage der Erziehung: „Eltern sollten ihren Kindern sagen, dass sie das Handy beim Laufen wegstecken sollen. Anders wird sich das nicht ändern.“

Mindestens eine Stadt in den USA schaffte es bisher dennoch, ein entsprechendes Gesetz durchzubringen: In Rexburg im Bundesstaat Idaho ist das SMS-Schreiben auf Straßenkreuzungen oder Zebrastreifen im Jahr 2011 verboten worden – wer dagegen verstößt, muss rund 100 Dollar (72 Euro) Strafe zahlen. Da überlegt man sich doch zweimal, ob man das Handy aus der Hosentasche zieht – oder ob man es nicht ausnahmsweise für fünf Minuten ruhen lässt.